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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

in der That eine Woche lang ungewöhnlich schwül gewesen und hatte sich vor einigen Tagen in einem schweren Gewitter entladen. Er fand den Baum fast zersplittert und die Erde um seine Wurzeln tief aufgerissen. Der Blitzstrahl selber hatte ein senkrechtes Loch hinterlassen, als ob ein Pfahl dort im Boden gesteckt hätte.

‚Ich weiß nicht, wie ich dazu kam,‘ fuhr er fort, ‚aber während ich in das Loch hinein starrte, schob ich auch zugleich den Lauf meiner alten Flinte hinab. Da stieß ich tief unten auf einen harten Gegenstand; ich stieß noch einmal, und es klang wie Metall. Aha, sagte ich mir, da unten ist etwas verborgen, das muß untersucht werden. Mit einem breiten Splitter des Weidenbaumes fing ich an zu scharren und zu graben, und nach einer halben Stunde fischte ich einen kleinen, verrosteten, eisernen Kasten herauf, der aber schon so mürbe und zerfressen war, daß ich ihn stellenweise mit den Händen eindrücken konnte. Inwendig fand ich feuchte Erde und eine Anzahl ganz verrosteter Eisenplättchen, die vielleicht von früheren Fächern herrühren mochten, und dann diesen Stein. Weiter nichts. Den zerbrochenen Kasten ließ ich liegen und den Stein habe ich behalten. Ecco!‘

Wenzel nahm den Stein, allerdings mit geringschätzigem Achselzucken, noch einmal in die Hand, wobei unser neuer Freund betheuerte, daß derselbe mindestens tausend Jahre alt sei; Julius Cäsar habe ihn in seiner Krone getragen.

‚Julius Cäsar trug überhaupt keine Krone, mein lieber Freund,‘ erwiderte Wenzel herablassend und gutmüthig. ‚Das Ding hier mag tausend Jahre alt sein, es kann aber ebenso gut auch nur zehn Jahre alt sein. Es kann ein Feuerstein sein; es kann auch ein – Achat sein. Ich weiß es nicht. Wollen Sie es auf die Gefahr hin verkaufen?‘

Bei diesen Worten warf er den Stein drei Mal hoch in die Luft und fing ihn ebenso oft wieder auf.

‚Ich bilde mir ein, daß er sehr werthvoll ist,‘ antwortete der junge Mann. ‚Hier in der Gegend werden alle Tage kostbare Sachen gefunden – warum sollte ich nicht auch einmal das Glück haben, wie so mancher Andere, und was Rechtes finden? Warum mußte der Blitz gerade in den Baum schlagen und in keinen andern? Weil mein Schutzpatron, der heilige Angelo, ihn gerade für mich dorthin gelenkt hat.‘

Er war gar nicht so einfältig, wie er aussah.

‚Wenn Du wirklich den Stein haben willst,‘ sagte ich zu Wenzel, ‚dann mach’ ihm Dein Gebot, damit die Sache zu einem Ende kommt!‘

‚Damit die Sache zu einem Ende kommt!‘ wiederholte Wenzel, ‚– das ist leicht gesagt.‘

Er überlegte einen Augenblick; dann steckte er entschlossen den Stein in seine Brusttasche, zog seine Börse hervor und warf langsam zehn Silberscudi, einen nach dem andern, in das Gras. Angelo – so hieß der Italiener – sah die Münzen fallen, machte jedoch keine Bewegung dieselben aufzunehmen. Aber seine Augen fingen an zu glänzen und in seinem Innern begannen Einfältigkeit und Verschlagenheit die Frage zu erörtern: Was thun? Verkaufen oder nicht verkaufen?

Das Häuflein Silber sah gar verlockend aus, andererseits aber wollte er auch kein schlechtes Geschäft machen. Er blickte Wenzel mit einem so bittenden Ausdruck in’s Gesicht, daß ich ganz gerührt davon wurde. Auch Wenzel blieb nicht kalt dabei; denn nach kurzem Zögern warf er noch einen weiteren Scudo klingend zu den übrigen. Angelo holte tief und enttäuscht Athem, mein Begleiter aber wendete sich kurz ab und setzte den Fuß in den Bügel. Gleich darauf saßen wir Beide im Sattel. Angelo stand regungslos und starrte auf das Geld.

‚Sind Sie zufrieden?‘ fragte Wenzel trocken.

Der Italiener lächelte seltsam.

‚Haben Sie ein gutes Gewissen?‘ fragte er mit einem Ausdrucke zurück, der in eigenthümlichem Gegensatze zu seinem vorherigen einfältigen Wesen stand.

‚Unverschämter Mensch,‘ schrie Wenzel, ganz roth in Gesicht. ‚Was geht Sie mein Gewissen an?‘

Damit gab er seinem Thiere die Sporen und sprengte, den Stein sicher in der Tasche, davon. Ich grüßte Angelo mit der Hand und folgte langsamer. Nach einer Weile blickte ich zurück. Der Italiener stand noch immer auf demselben Flecke und starrte uns nach. Er hatte das Geld augenscheinlich noch nicht angerührt.

Ich holte meinen Freund ein und ritt schweigend neben ihm her; ich grübelte über diesen eigenthümlichen Handelsabschluß; mir erschien die Geschichte nicht in der Ordnung. Wenzel legte Werth auf den Besitz des Steines, Angelo ebenfalls, und zehn Scudi und einer darüber waren nur ein elender Preis für etwas, das einem werthvoll ist. Nur mit Ueberwindung ging ich an den Gedanken heran, daß Wilhelm Wenzel, der Mann von sonst geradezu rauher Ehrlichkeit, sich hier zu einer Handlungsweise hatte hinreißen lassen, die zum Mindesten einer sehr künstlichen Erklärung und Entschuldigung bedurfte. Und mit dieser Erklärung rückte er auch schließlich heraus, halb ärgerlich und zornig, weil er sehr wohl wußte, daß seine Logik einen ziemlich grotesken Anstrich hatte:

‚Nur heraus damit!‘ begann er heftig; ‚sprich’s nur aus, um Himmelswillen! Ich weiß, was Du auf der Leber hast – ich habe den Tölpel dort hinten übervortheilt, nicht wahr? Und nun bin ich um Nichts besser als der erste beste Schwindler, he? Na, laß Dir aber sagen, daß ich durchaus keine Gewissensbisse darüber fühle, daß ich den Stein so billig erlangt habe! Hier hieß es: entweder zehn Scudi oder Nichts! Der Heller, den ich mehr geboten, hätte dem Menschen die schläfrigen Augen geöffnet. Also in die Tasche mit allen Bedenken, und zur That! Dem Dummkopf hätte man einen solchen Schatz nicht eine halbe Stunde länger anvertrauen dürfen; wer weiß, was sonst daraus geworden wäre. Und darum rettete ich das Kleinod, im Interesse der Kunst, der Wissenschaft und des Geschmacks.‘

‚Freund!‘ unterbrach ich ihn.

‚Laß nur!‘ fuhr er eifrig fort. ,Ich weiß schon – den vollen Preis dafür zu bieten hätte ich mir nicht einfallen lassen dürfen; denn wo sollte ich zehntausend Scudi hernehmen, um dafür ein Spielzeug zu kaufen? Und hätte ich mich verleiten lassen, hundert zu bieten, dann hätte unser pittoresker, dickköpfiger Freund sicherlich sogleich die Ohren gespitzt und den Stein fest gehalten. Er hätte sich Bedenkzeit erbeten und wäre spornstreichs in sein Dorf und zu dem verschmitzten alten Pfaffen, dem Onkel Girolamo, gelaufen. Der hätte die Weisen des Dorfes zu einem Conclave zusammengerufen, und es wäre vielleicht beschlossen worden, daß man sich nach Rom begäbe und den Signore Castellani oder den Director der königlichen Ausgrabungen zu Rathe ziehe. Irgend ein Schlaufuchs hätte von der Sache Wind bekommen und dem Padre Girolamo in’s Ohr geraunt, daß sein hübscher Neffe durch ein Gotteswunder zu Reichthum und Ansehen gekommen sei und nun auch eine Contessina heirathen könne. Und was wäre mir dann für meine Mühe geblieben?‘

‚Aber – –‘ warf ich ein.

‚Nichts von einem Aber!‘ unterbrach er mich. ‚Siehst Du, Freund, ich habe die Sache viel vernünftiger entschieden. Der Stein ist mein geworden; der kluge Angelo kann mit seinem Gelde vier Wochen lang lustig sein und dann meinetwegen wieder schlafen gehen. Mehr Geld würde ihn nur verdorben haben. Außerdem habe ich die Contessina gerettet; ich bin überzeugt, daß er sie nach acht Tagen schon geprügelt hätte. Auf diese Weise ist also alles in schönster Harmonie und Ordnung, und Du, mein Freund, willst allein ein finsteres Gesicht machen? Ich fühle mich durchaus ruhig, ich bin jetzt weder reicher noch ärmer. Ich bin nicht ärmer, weil ich die elf Scudi als ein Geschenk betrachte, das ich einem guten, harmlosen Kerl gereicht, damit er sich einen vergnügten Tag damit mache; ich bin auch nicht reicher, weil ich niemals den Stein zu Gelde machen werde. Hier liegt der Ehrenpunkt. Das Ding ist ein Stein und weiter nichts, und der ganze Genuß, den ich davon zu haben gedenke, wird der sein, daß ich die entzückten und funkelnden Augen der Leute beobachte, welchen ich das blitzende Kleinod zeigen und denen ich dabei erzählen werde, was für ein Kleinod es eigentlich ist.‘

‚Und was für ein Kleinod ist es denn nun, im Namen alles dessen, was den Menschen demoralisiren kann?‘ fragte ich in hoher Ungeduld.

Wenzel kicherte vergnügt vor sich hin.

‚Geduld!‘ sagte er und legte seine Hand auf meinen Arm. ‚Warte, bis ich ihn Dir eines Abends unter die Lampe lege und ihn funkeln lasse! Dann wird er Dir selber sagen, weß Geistes Kind er ist. Aber erst muß ich meiner Sache sicher sein,‘ fügte er, plötzlich ernst werdend, hinzu.

Während des Restes unseres Heimrittes sprachen wir nicht mehr viel. Wir waren bald zu Hause. Ich verlor die nächsten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 759. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_759.jpg&oldid=- (Version vom 14.8.2023)