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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

In gewissen Entfernungen zwischen den beiden Truppen sind Posten von je drei bis vier Mann aufgestellt, und dieselben vermitteln die Signale, welche der Führer der einen Abtheilung dem Commandanten der anderen zugehen lassen will.

Nicht wenig interessant sind auch die „Herbstfeuer“, welche die englische Jugend hier abzubrennen pflegt. Man duldet diese Belustigung, weil die Wiesen und freien Plätze des Hydepark so groß sind, daß der Rauch der Herbstfeuer das übrige Publicum kaum belästigt und eine Feuersgefahr vollständig ausgeschlossen ist.

Eine Hauptanziehung bilden aber seit zwei Jahren die freilich nicht kunstgerechten Concerte, die an Sonntagnachmittagen im Hydepark stattfinden – zum Entsetzen aller frommen Gemüther, welche in dieser Sonntagsentheiligung eine große Sünde erblicken, wie denn eine alte Dame dem Schreiber dieser Zeilen kürzlich alles Ernstes mittheilte, daß die ägyptischen Unruhen von der Einführung der Sonntagsconcerte her datirten.

Ein Spaziergang am Nachmittage im Hydepark ist in mancher Beziehung interessant: überall sehen wir auf dem Rasen Gruppen von Menschen zusammen stehen, die einem in ihrer Mitte befindlichen Redner lauschen. Der uns zunächst Stehende ist ein irischer Katholik. Unter dem lauten Gelächter seiner Zuhörer nennt er Luther einen Wüstling, Calvin einen Lügner, Kant einen Schurken und fordert seine Zuhörer auf, zur alleinseligmachenden Kirche zurückzukehren. Der Andere drüben ist ein Jude. Er greift das Wohlleben und die Sittenlosigkeit der christlichen Geistlichkeit in der heftigsten Weise an; er nennt das Christenthum eine schmutzige Institution und behauptet, daß das Evangelium die Menschen tief unglücklich gemacht habe. Ein anderer Haufen umsteht eine fromme Gruppe, welche unser Künstler mit großer Treue gezeichnet hat. Auf einer Fahne, welche von einer frommen Engländerin gehalten wird, lesen wir die Worte aus der Offenbarung: „Der Geist und die Braut sagen: ‚Komm!‘“

Siehe da – ein anderes Bild! Dort steht eine kampfbereite Compagnie der „Erlösungsarmee“ (salvation-army), welche man das aggressive Christenthum nennen könnte. Die Leutchen sind um einen Redner, ein Harmonium und eine blaue Fahne versammelt. Wir lesen auf der Fahne die Worte: „O Mensch, wo willst Du die Ewigkeit zubringen?“ Wir nähern uns der Gruppe und horchen auf die Worte des Redners. Er spricht von der Sündhaftigkeit irdischer Vergnügen an Sonn- und Feiertagen.

„Oft,“ sagt er, „sind auf dem Continente Häuser niedergebrannt, während die Besitzer derselben in einem Sonntagsconcerte sich an den lustigen Weisen eines Walzers ergötzten.“

Das ist unstreitig wahr. Da aber auch Häuser niederbrannten, während die Besitzer derselben sich in der Kirche befanden, so vermuthen wir, daß der Redende kein Apostel, sondern ein verkappter – Feuerversicherungsagent ist – wir verlassen ihn enttäuscht.

Nachdem die Engländer uns soweit auf der Bahn der Civilisation gefolgt sind, daß sie an Sonntagen das Spielen von profaner Musik gestatten, werden sie uns vielleicht bald auf die höchsten Höhen der deutschen Cultur nachfolgen. Was vermißt heute noch der biedere Deutsche, wenn er von den Höhen und Klippen der Insel Wight aus das tiefblaue Meer sich in duftige Ferne hinaus entrollen sieht? Was vermißt er, wenn er sich an dem herrlichen Laube weidet, welches den von Wellen umrauschten Saum der Insel umzieht? Ach, er vermißt den Klang eines soliden deutschen Biergartenconcertes. Er sehnt sich nach dem melodischen Klappern heimischer Kaffeetassen, dem lieblichen Klirren von Löffeln an einem gemüthlichen, deutschen Spießbürger-Gartentische.

Ja, wenn nach Jahrzehnten ein Anderer einmal wieder für die „Gartenlaube“ über das Leben im Hydepark zu berichten hat, dann wird er vielleicht gerührt die Thatsache verzeichnen, daß er überall die Inschrift gelesen habe: „Hier können Familien Kaffee kochen.“ Wilhelm Hasbach.




Blätter und Blüthen.

König Ludwig der Zweite von Baiern auf dem Schachen.[1] Lustig klapperten die Hufe einer Koppel feiner Rassepferde, welche, von königlichen Bediensteten in geschmackvoller blau mit Silber gestickter Livrée geritten, auf der Straße von Farchant einherzogen und im weiten Thorbogen des Gasthauses „Zur Post“ in Partenkirchen verschwanden. – Schon in der Nacht waren der Küchen- und der Bergwagen Seiner Majestät daselbst eingetroffen, um über das Mittenwalder „Gesteig“ nach der Elmau gebracht zu werden.

Hohes Interesse und mitunter recht abenteuerliche Vermuthungen erregte bei den zahlreichen Sommerfrischlern der große, finstere, wohl verschlossene Wagen, welcher die königliche Küche enthält, mehr aber noch der einsitzige, niedere, ledergepolsterte Bergwagen, der, nur auf zwei Rädern laufend, von einem starken Ardennenpferd in der Scheere gezogen wurde.

Der König ließ lange auf sich warten. Erst gegen halb zwölf Uhr Nachts hörte man den Galoppschlag eines Pferdes in der Hauptstraße des stillen Gebirgsfleckens ertönen, um gleich darauf, einem Schemen vergleichbar, einen Reiter vorüber sausen zu sehen, dessen im Bügel getragene Wachsfackel die reiche Silberstickerei seines Kollers beleuchtete; er war schnell in der Dunkelheit verschwunden.

Das war der Vorreiter des Königs, welch letzterer nun eine Secunde später in einem offenen Wagen in raschestem Laufe vorbeifuhr. Für jeden Begegnenden hat derselbe einen freundlichen Gruß. Man vergißt es nicht leicht, das männlich schöne Gesicht des Königs mit den dunkel blitzenden, so menschenfreundlich schauenden Augen: ein ideales, vom Hauche der Poesie durchgeistigtes Antlitz auf einem reckenhaften Körper.

In finsterer Mitternacht gelangt der Königszug, am Weiler „Klais“ von der alten Römerstraße abbiegend, zu dem romantisch am Fuße des Wetterstein gelegenen Einödhofe „Elmau“. Düstere Nebelschleier flattern gespenstig an den Wänden der Dreithorspitz, geisterhaft beleuchtet vom Vollmond.

Bei Fackelschein besteigt der König den Bergwagen, den das starke Pferd zwar im Schritt, aber doch in rasch förderndem Tempo auf den Serpentinen des vom königlichen Forstamte stets im besten Stand erhaltenen Steigs aufwärts zieht. Ein Führer und Fackelträger voran, geht es lautlos unter den Wipfeln der im Gewitterwind seufzenden Tannen der Höhe zu.

Nach zweimaligem Pferdewechsel erreicht der Bergwagen, die unter der gigantischen Schachenplatte gelegene Wettersteinsennalpe links lassend, den nun an der Seite des Gebirges auf Almboden meist eben hinlaufenden Weg. Geisterhaft wogen die Wetterwolken rechts unten über dem Thalkessel von Partenkirchen, hier und da von Blitzen durchschnitten; nur leise grollt aus der Tiefe der Donner. Hier oben, sechstausend Fuß über dem Meer, beleuchtet der Mond eines der großartigsten Alpenbilder. Links die jäh aufsteigenden Wände der Dreithorspitz; gegenüber rechts Alpspitz und Hochblassen, wie Brüder in fast gleicher Kegelform aufragend. Unten in schattiger Tiefe flimmert der Schachensee. Die Schachenalp selbst ist übersäet mit mächtigen Felsblöcken, auf und zwischen welchen unzählige Alpenrosen, Genzianen und Vergißmeinnicht in üppigster Fülle wuchern. Mächtige Wettertannen, vornehmlich aber die selten gewordene Zirbelkiefer, stehen in Gruppen umher, tiefschwarze Schlagschatten im Mondlicht werfend. Zwischen denselben ruhen bleiche Baumleichen, die ihre kahlen Aeste wie Erlösung heischende Knochenarme zum Nachthimmel emporstrecken, und sie wird ihnen, die Auferstehung aus Tod und Moder; denn fröhlich und lebenskräftig wuchern aus den halbverfaulten Stämmen ganze Generationen junger Tannen, Kiefern, Zirbeln und Blumen aller Art. Solcher Art sind die Bilder, wie sie König Ludwig liebt.

Gegen zwei Uhr erreicht er das Königshaus. Pferd und Wagen verschwinden in dem tief unten am See gelegenen Stallgebäude. Das Königshaus auf dem Schachen erhebt sich in einfacher Gebirgsarchitektur auf einem aus dem sogenannten Teufelsgesaß vorspringenden Hügel, größtentheils in Holzconstruction, deshalb aber nicht weniger fest, und fest mußte es auch gebaut werden; denn gewaltig sind die Föhnstürme und der furchtbare Schneedruck, dem das Gebäude den langen Winter über ausgesetzt ist. Den unteren gemauerten Stock nehmen außer den wenigen Räumen für die nächste Dienerschaft die Wohn-, Schlaf- und Arbeitszimmer Seiner Majestät ein, sämmtlich einfach, aber höchst geschmackvoll eingerichtet.

Das obere Stockwerk, ein Giebelaufsatz, enthält lediglich einen großen Saal im maurischen Stil. Die Decke, unter welcher eine Fontaine ihr klares Wasser in eine große Schale ergießt, bietet ein schönes Oberlicht. Das Ganze, aus reichem Gußwerk, kann von innen verschiedenfarbig beleuchtet werden. Die Wände sind in maurischen Dessins blau, roth, weiß und golden gemustert, und längs denselben laufen blauseidene, reich mit Gold gestickte Divans hin. Von hier liebt es der König hinauszutreten auf die Terrasse und sich zu erfreuen und zu erfrischen an den herrlichsten Bildern einer ewig schönen, ewig jungen Natur. Hier geht er seinen verschiedenen Studien nach, namentlich der Geschichte der Renaissance, welche Bauweise, besonders die Spätrenaissance, er in seiner Residenz, im Schloß Linderhof, und neuerdings in Herrenchiemsee so wunderbar veranschaulicht hat.

Hier feiert König Ludwig häufig seinen Namens- und Geburtstag, den 25. August. Bis herauf zum Königshaus krachen dann die Böllersalven vom Partenkirchner Keller, wo, wie auch in Garmisch, die Bevölkerung mit den verschiedenen Vereinen an jenem Tage ein fröhliches Fest feiert mit Scheibenschießen, Musik und Tanz und allen Arten von Volksbelustigungen.

Auf der Post zu Partenkirchen sind am 25. August der „Fräulei Expeditorin“ noch ein Telegraphenbeamter und ein Schreiber beigegeben, um die zahllosen Gratulationstelegramme abzulesen und aufzuschreiben, welche dann zum Schachen getragen werden.

Den Abend seines Geburtstages pflegt der König gern in einem


  1. Vergl. „Gartenlaube“ Jahrg. 1873, Nr. 13.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 755. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_755.jpg&oldid=- (Version vom 10.8.2023)