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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Der Feind schoß unerhört auf allen Seiten,
Daß man nicht sicher war auf eine Seit zu reiten.
Da kam eine Kanonenkugel, nahm mich mit sampt dem Pferd;
Mein Bein verlohr ich bald, mein Leben war nicht viel werth.
Gustavus eilet weiter fort, kaum funfzig Schritt von mir –
Da blieb der Held geschossen von einem Verräther, das sag’ ich Dir.“

Der vom Uebelthäter geschossene König blieb liegen, und das Blut floß ihm über das Gesicht, daß er nicht sehen konnte, erzählt Hans von Hastendorf in seinen Knittelversen weiter; der König schoß nach dem Verräther seine beiden Pistolen ab, in der Meinung ihn zu treffen, aber fehlte. „Der König taumelte sich mit seinem Pferde,“ heißt es alsdann, „etliche zwanzig mahl herum, der Verräther saß von ferne, und sah es an, wie es sollte ablauffen mit dem König. Als aber der König nicht länger kunte zu Pferde sitzen, stieg er von dem Pferde ab, und ließ ihn loß, und leget sich auf die Erde und befahl Gott seine Seele mit heller Stimme, und befahl, die neben ihm lagen, auch so zu thun. Da kam der Verräther, der das alles hatte gesehen, und hauet und stoßet dem König noch drei Wunden. Da rief der König dem Verräther mit Nahmen: ‚Gott bekehre Dich und vergebe Dir Deine bösen Thaten, wie ich Dir sie vergebe! Schauet alle, die Ihr noch das Leben habet, wie ich für meinen guten Glauben bin umgebracht.‘ Da reitet der Verräther hinweg. Der König hatte seinen Degen aus; mit Blut war er besprenget, wie auch sein Collet, Sattel und Pferd, daß man ihn kaum kunte kennen.

So lang’ ich leb’ thut mir das wehe;
Ich darf nicht sagen, was ich hab’ gesehen
Den 6. November[1] bei Lützen.
Ich sterbe darauf und zweifle nicht:
Gott ist ein Richter, das versichere ich Dich,
Du Mörder und Verräther!
Es geschieht hier, wie David spricht:
Der mein Brodt isset, mit Füßen mich tritt.
Das begegnete hier auch König Gustavo von dem Vierten,
Der mit ihm aus dem Lager ritte.“ …

Diese Erzählung, deren historische Werthlosigkeit sofort in die Augen springt, fand ebenso wie die anderen zum Theil mitgetheilten Lageranekdoten Eingang in die damals sehr florirende Flugschriftenliteratur, die Mutter des modernen Zeitungswesens, und dadurch eine ungeheure Verbreitung; mit diesen Flugschriften gingen sie dann in die großen zeitgenössischen und späteren Geschichtswerke über und erhielten sich unangezweifelt in der Geschichte fast bis auf unsere Tage, wo es der archivalischen Forschung gelang, den Hergang documentarisch festzustellen, die verdunkelte Wahrheit in das rechte Licht zu rücken und unter Anderem auch den vielgeglaubten Mythus von der Ermordung des Schwedenkönigs Gustav Adolf endgültig als eine leere Erfindung hinzustellen und so zu beseitigen.




Im Hydepark zu London.

Schneller, als man glauben sollte, gewöhnt man sich an das großartige Treiben in den Straßen Londons. Einige Wochen nach seiner Ankunft in der britischen Hauptstadt geht der Fremde über London Bridge, ohne den Mastenwald auf der Themse eines Blickes zu würdigen oder zur stolz aufragenden Kuppel von St. Paul empor zu schauen. Er fährt an Whitehall vorbei und denkt nicht mehr daran, daß aus einem jener hohen Fenster Karl der Erste auf das Blutgerüst trat. Die Nelson-Säule erinnert ihn nicht länger an den Sieger von Trafalgar. Westminster-Abtei erweckt in ihm ein abgeblaßtes Wohlgefallen, und das Parlamentsgebäude, welches ihn zuerst durch Größe und Wucht der Verhältnisse zum Staunen, zur Bewunderung hinriß, fordert nun vielleicht seine herbe Kritik heraus. Nur der Hydepark verliert niemals den ursprünglichen Reiz; im Gegentheil – er gewinnt bei näherer Bekanntschaft. Denn seine Physiognomie ist immer neu, wechselnd nach Stunden, nach Tagen, nach den Jahreszeiten.

Aber lassen wir uns durch unseren Enthusiasmus nicht zur Uebertretung der gewöhnlichen Höflichkeitspflichten verführen! Vergessen wir nicht, Hydepark unsern Lesern vorzustellen! Es ist zwar keine leichte Aufgabe, da er an 160 Hectare groß ist, doch wer einiges Interesse an ihm nimmt, wird sich die Mühe nicht verdrießen lassen, in Oxford Street, einer der größten von Osten nach Westen führenden Verkehrsadern Londons, mit uns einen Omnibus zu besteigen und in langsamem Tempo die Häuserzeilen entlang zu fahren, welche in der schönen Morgensonne des Maimonats fast reinlich erscheinen.

Da sehen wir ihn vor uns. Die rechte Häuserreihe strebt unabsehbar weiter, auf unserer Linken sind wir eben an dem letzten Gebäude vorübergerollt, und in südlicher Richtung dehnt sich der Park aus, eine weite grüne, von spärlichen Bäumen bedeckte Rasenfläche, die von breiten Wegen durchschnitten wird. Gerade vor uns, wo der hohe Staketenzaun eine Ecke bildet, erhebt sich ein prächtiges Eingangsthor in der Form eines Triumphbogens. Das ist Marble-Arch. Indem wir auf der breiten Straße vorwärts fahren, haben wir rechts die manchmal schönen Häuserfaçaden eines vornehmen Stadttheiles, links den etwas eintönigen Hydepark neben uns. Wenn wir aber rückwärts schauen, erblicken wir die Straßenfronte von Park Lane, welche ihn im Osten begrenzt.

Doch nun verändert sich die Scenerie. Baumgruppen und zu Spaziergängen einladende Alleen erheben sich über dem Rasengrund. Dies sind Kensington Gardens, welche die westliche Fortsetzung von Hydepark bilden. Wir verlassen den Omnibus, treten durch eines der Thore und schlendern unter dem Schatten majestätischer Ulmen auf einen blinkenden runden See zu, welcher mit unauslöschlichen Zügen in dem Herzen Londoner Knaben eingegraben ist. Dort lassen nämlich täglich Hunderte von Vertretern der jüngeren Generation eines seefahrenden Volkes kleine Segelboote über die leicht gekräuselten Wellen dieses Binnenmeeres gleiten.

Als Vorboten der jungen Welt, die dort ihr Wesen treibt, kommen uns Kindermädchen mit dem freundlichsten Kindermädchenlächeln und Gouvernanten in correcter Haltung entgegen. Man kann sicher sein, von einigen Knaben gefragt zu werden, wie viel Uhr es ist, und wenn wir besonderes Zutrauen erwecken, tritt vielleicht ein junger Teichfahrer mit der Bitte um etwas Bindfaden an uns heran, um sein Takelwerk wieder in Ordnung zu bringen.

Wir schreiten in südlicher Richtung vorwärts über den in allen Farbenschattirungen des grünen Sammet spielenden Rasen. Menschen kommen uns entgegen; Menschen liegen auf dem Boden ausgestreckt; Menschen sitzen auf Stühlen; Menschen wandeln auf den Wegen und neben den Wegen, was einen an schimpfende Schutzmänner und donnernde Gensd’armen gewöhnten Deutschen zuerst sehr in Verwunderung setzt. Man glaubt sich auf dem Lande zu befinden – so idyllisch ist es hier. In Wirklichkeit sind wir auf allen vier Seiten von dem Häusermeere Londons eingeschlossen. Doch jetzt schlägt der Lärm der Wagen, der in jener Stelle verstummt war, wieder an unser Ohr. Wir stehen vor der Fortsetzung einer andern großen Verkehrsstraße, nämlich von Piccadilly. Diese Straße läuft parallel mit Oxford Street und begrenzt den Park im Süden. Der kreisrunde Bau auf der andern Seite der Straße, um welchen ein Terracottenfries läuft, ist Albert Hall und enthält den größten Concertsaal Londons, ja vielleicht der Welt. Links von uns steht das mit unbeschreiblicher Pracht geschmückte, an fünfzig Meter hohe Albert-Denkmal. Eine gothische Spitze erhebt sich über der in sitzender Stellung modellirten Figur des Prinz-Gemahls.

Gehen wir an diesem Denkmal vorüber, so gelangen wir bald durch ein eisernes Thor wieder in den Hydepark. Bäume und Sträucher liegen hinter uns; wir erblicken wieder den grünen Rasen. Was uns allerdings zuerst in die Augen fällt, ist ein fast eine halbe Stunde langer, wohlgepflegter Reitweg, der wie ein breites Band auf das Wellington-Denkmal zu aufgerollt ist. Dies ist die berühmte Rotten-Row, deren Name aus dem französischen Route de Roi (Königsweg) entstanden sein soll und die auf beiden Seiten von reinlichen Fußwegen begrenzt wird.

Noch ist der Reitweg leer. Aber es fehlt nicht an Reitern; denn rechts vor uns, in einiger Entfernung, vor einer großen Caserne ist eine Schwadron Gardecavallerie mit Exerciren beschäftigt. Das Schmettern der Hörner hallt zu uns herüber; wir sehen ein rasches Aufsitzen und Absitzen schöner, schlanker, stattlicher, über sechs Fuß hoher Männer mit regelmäßigem, oft kühnem


  1. Alten Stils.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 752. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_752.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)