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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Esaias Tegnér.
Nach einem Kupferstiche auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

Talent harmonirte, das hier reiche Gelegenheit fand, sich in seiner ganzen rhetorischen, aber von einem wirklich poetischen Inhalt getragenen Pracht zu entfalten. In den drei wunderbar ergreifenden Reden des alten Predigers, die den Hauptinhalt des Gedichtes bilden, erreicht dieselbe ihren Höhepunkt.

Noch größere Bewunderung und Begeisterung erregte das Gedicht „Axel“, das zwei Jahre später erschien und von den Zeitgenossen als das vorzüglichste Erzeugniß der schwedischen Literatur angesehen wurde. Die Nachwelt wird kaum dieses Urtheil zu dem ihrigen machen. In „Axel“ finden sich Stellen von großer Schönheit, aber als Ganzes betrachtet ist das Gedicht allzu sentimental.

Den Gipfel seines Ruhmes erklomm alsdann Tegnér mit seiner „Frithjof’s-Sage“, einer Dichtung, welche so große Vorzüge hat, daß es sich leicht begreifen läßt, wie sie sofort auf die Zeitgenossen eine förmlich bezaubernde Wirkung üben konnte und noch heutigen Tages sowohl in Schweden wie auch anderswo lebhafte Bewunderung erregt; ohne Zweifel ist die „Frithjof’s-Sage“ dasjenige Werk Tegnér’s, durch welches sein Andenken am längsten bewahrt bleiben wird. Sie besteht bekanntlich aus einem Romanzencyclus, der seinen Stoff der altnordischen Sage desselben Namens entnimmt. Der Dichter erhält dadurch Gelegenheit, eine Mannigfaltigkeit wechselnder Bilder vorzuführen, welche alle mit blendender Farbenpracht gemalt sind und von den schönsten Rhythmen getragen werden.

Es lassen sich viele, an und für sich berechtigte Einwendungen gegen diese Dichtung erheben, aber alle müssen sie verstummen, wenn man sich in dieselbe vertieft und sich von den wunderbar schön gebauten Versen und der bald kernigen, bald weichen und schmelzenden Sprache wiegen läßt. Aber nicht darin allein ist der Zauber zu suchen, den die „Frithjof’s-Sage“ seit ihrem ersten Erscheinen und bis auf den heutigen Tag ausgeübt hat; denn daß tiefer liegende Ursachen der allgemeinen Anerkennung vorhanden sein müssen, dafür spricht der Umstand, daß die Dichtung auch in der Uebersetzung, also wenn ihr das einschmeichelnde Gewand der Ursprache genommen ist, denselben oder doch annähernd denselben Effect ausübt, wie im Original. Das ist begreiflich: hat doch der Dichter bei seiner idealisirenden Schilderung von der Liebe Frithjof’s und Ingeborg’s in allgemein menschliche Stimmungen so tief hineingegriffen, daß Niemand das Gedicht zu lesen vermag, ohne in seinem innersten Herzen den vollsten Wiederklang der angeschlagenen Saiten zu empfinden.

Die „Frithjof’s-Sage“ ist es, die Tegnér’s Ruhm über die ganze civilisirte Welt getragen hat, aber außer dieser und den von uns besprochenen größeren Dichtungen hat er eine große Menge ausgezeichnet schöner lyrischer Gedichte geschaffen, unter

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 749. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_749.jpg&oldid=- (Version vom 8.8.2023)