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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

„Gut!“ sagte Arndt. „Aber bekanntlich hat Rügen zwanzig Quadratmeilen. In welchem Ufernest wollen wir denn diesmal unser Zelt aufschlagen?“

„Lappes sind wieder auf Mönkgut in ihrem alten Lieblingsdorfe,“ meinte Henriette.

„Ah! die guten alten Wanderschwalben!“ rief Curt. „Auf Reisen sind sie noch netter, als in Berlin. Ich stimme für Mönkgut.“

„Und ich habe durchaus Nichts dagegen,“ sagte Arndt.

„Dann werde ich an Lappes schreiben und sie bitten, uns Quartier zu bestellen,“ bemerkte Henriette.

„Wozu?“ protestirte Arndt. „Es ist unbequem, sich zu binden. Wenn auf Mönkgut kein Quartier ist, gehen wir weiter.“

„Also eine Reise in’s Blaue!“ rief der Jüngling und schloß mit außergewöhnlicher Hast den Band Horazischer Oden, den er gerade in der Hand hielt.




16.

Es war am ersten Tage nach Arndt’s Ankunft auf Mönkgut. In der kleinen nach Norden gelegenen Wohnstube der Schwestern Lappe stand eine junge Dame vor der Staffelei, beobachtete das darauf lehnende Bild, wiegte das Köpfchen hin und her, trat einen Schritt zurück und beobachtete von Neuem.

Es lag eine rehhafte Grazie in der Art, wie sie vor- und rückwärts trat. Doch nicht nur die biegsame Gestalt, auch den hübschen durchaus nicht alltäglichen Kopf umschwebte eine gewisse Waldpoesie. Aber es war nur die Sonnenseite des Waldes, nur das leichte, neckische Flüstern der Blätter und das heitere Zwitschern der Vögel, woran der Ausdruck dieses lieblich-frischen Gesichtchens mahnte; die Seufzer in den Gründen und das klagende Murmeln der Bäche fielen Keinem bei diesen Zügen ein.

Nach einer Weile trat Auguste Lappe in’s Zimmer und deckte zum Frühstück auf.

„Aber wo bleibt denn Adelheid? Wollen wir nicht auf sie warten?“ fragte das junge Mädchen, sich lebhaft umkehrend. „Sag’ ’mal, Auguste, was ist denn mit ihr? – Ich weiß nämlich, was mit ihr ist.“

„Warum fragst Du dann noch, Kind?“

„Ich muß immer Alles ehrlich heraussagen,“ erwiderte die Bespöttelte unbeirrt und warf sich in einen hinter ihr stehenden Stuhl, indem sie die Palette in den Schooß und den Malstock auf die Diele fallen ließ. „Ihr habt damals von der dummen Geschichte mit Arndt gehört, und nun denkt Ihr, wunder wie fatal es mir ist, ihn hier wieder zu sehen.“

Wir? – Ich denke gar nichts. – Ich denke nie Etwas,“ versicherte Auguste halb lächelnd, halb ernsthaft.

„Etwas roth mag ich freilich bei seinem überraschenden Anblick geworden sein, aber das ist auch Alles,“ fuhr das Mädchen fort. „Und ich werde immer roth – bei allen passenden und unpassenden Gelegenheiten. Es ist mir wahrhaftig nicht fatal, ihn zu sehen. Im Gegentheil: ich freue mich schrecklich. Und nun gar seine Frau! – Ich habe ja vor fünf Jahren in Berlin darauf gebrannt, ihn und diese Henriette, für die ich schon als Kind schwärmte, zusammen zu sehen, aber Ihr ließt mich nie dazu kommen. Ich wußte recht gut, wie es stand; denn sie redete ja immer ganz unbefangen von ihm, wenn ich sie einmal allein bei Euch sah. Ich .... ich war wüthend auf Euch.“

„Hm, wir waren so frei, das zu bemerken,“ sagte Auguste und nahm der Sprechenden gegenüber Platz.

„Ja, ja!“ meinte diese und sprang auf. „Damals! – damals war das etwas Anderes. Arndt war meine erste Liebe.“

Sie lachte mit Thränen in den Augen und bückte sich, ihren Malstock aufzuheben.

„Ich war in dem Alter, wo man ‚Blumen und Sterne‘ und ‚Dichtergrüße an deutsche Jungfrauen‘ eifrig verschlingt,“ sprach sie dann leicht sprudelnd weiter. „Das Künstlerblut in mir war damals noch nicht recht in Fluß gekommen, aber seitdem ...“

„Seitdem? Ich will nicht hoffen ...“

„Seitdem habe ich begriffen. .... Siehst Du, ich habe einer Besseren weichen müssen. Ich würde mich schämen, daß Arndt meine erste Liebe war, wenn er so geschmacklos gewesen wäre, mich zu heirathen, nachdem er diese Frau kennen gelernt; sie ist eine bezaubernde Frau, diese Henriette. Ich weiß nicht, warum es so ist – denn ich sah schönere Gesichter – aber man möchte aufhören in ihrer Nähe zu athmen, um nichts zu thun, als sie anzusehen. Ich wollte, ich könnte Menschen malen, Auguste.“

Und sie lachte noch einmal, warf die langen kastanienbraunen Haare zurück, nahm Pinsel und Malstock zur Hand und trat wieder leichtfüßig an ihre Staffelei heran.

„Wie findest Du sie eigentlich?“ fragte sie nach einer Pause, indem sie aufmerksam ihr Bild betrachtete.

„Wen?“ fragte Auguste zurück, „Deine Robbe?“

„Natürlich! Meine Robbe.“

„O – recht hübsch, außerordentlich hübsch. Sie hat heute früh sehr an Ausdruck zugenommen.“

„Siehst Du, das finde ich auch. Der alte Putbrese wird glücklich sein.“

„Du erwirbst Dir ein unsterbliches Verdienst um sein Hôtel.“

„Das hoffe ich; ich werde mit großen Goldbuchstaben ‚Erna Lepel‘ darunter malen oder schickt es sich nicht, den Namen einer jungen Dame auf ein Gasthausschild zu setzen?“

„Nein, mein Kind; ich wenigstens würde mich in diesem Fall mit einem still genossenen Ruhme begnügen,“ meinte Auguste. „Aber ich will Deinen Gefühlen ...“

„Gut! Also keine öffentliche Profanirung meines Künstlernamens!“ fiel Erna ein, „das erhebende Bewußtsein, die alte Meerkatze durch einen anständigen Seehund ersetzt zu haben, bleibt ja auch dasselbe.“ Sie pinselte, während sie sprach, fortwährend emsig an ihrer schwarzen Robbe weiter.

„Ohne Schmeichelei: sehr gut!“ bemerkte Auguste, einen letzten Blick auf den Seehund werfend, „weißt Du, Erna, er hat jetzt wirklich eine frappante Aehnlichkeit mit – Arndt.“

„Ab ... scheulich! – Aehnlichkeit mit Arndt!

„Nicht? Dann hab’ ich mich also geirrt, obgleich Du in allen Schattirungen von Roth leuchtest, mein Kind.“

„Natürlich – ja! man kann in solchen Fällen Feuer an meinen Backen anzünden,“ rief Erna, leicht mit dem Fuß aufstampfend. Dann zuckte sie die Achseln: „Der letzte Tribut an meine Jugendliebe, Auguste! – Ein wundervoller Schnurrbart! Nicht? Ich mocht’ ihn immer so gern leiden.“

Und wieder lachte sie unter Thränen mit silberhellem, warmem Vollklang.




17.

Unterdessen war Adelheid im „schwarzen Seehund“ gewesen, sie hatte nur Henriette zu Hause getroffen, da Arndt und Curt zum ersten Bade an den Strand hinabgegangen waren. Henriette kannte durch Arndt längst die unbestimmten Beziehungen, welche einst vor ihrer Verheirathung zwischen ihm und Erna Lepel bestanden hatten. Erna war ihr immer, so oft sie das junge Mädchen im Lappe’schen Hause gesehen, sehr angenehm und sympathisch gewesen, und seit sie wußte, daß man annähme, Erna habe eine Neigung für Arndt, war diese gelegentliche Sympathie natürlich in ein tieferes Interesse übergegangen. Als sie nun aber gestern gelegentlich eines Besuches, den sie mit Mann und Sohn bei Lappes machte, zu ihrer Ueberraschung mit Erna Lepel zusammentraf, da war ihr diese Begegnung doch einigermaßen peinlich gewesen. Ja, als sie hörte, daß Erna, die bis vor Kurzem mit ihren Eltern auf Jasmund gewesen, nach deren Abreise ganz hierher übergesiedelt sei und sich für die Dauer der Saison bei den Schwestern eingerichtet habe, erwog sie allen Ernstes, ob es unter diesen Umständen nicht tactvoll sein würde, wenn sie mit Arndt und Curt weiter reiste. Doch schon nach Verlauf einer ersten, gemeinsam verlebten Viertelstunde schwand ihre Unruhe, und sie fand keinen Grund mehr, auf das übersprudelnd heitere Mädchen, das sich so harmlos mit ihrem Manne unterhielt, irgend welche ernsthafte Rücksicht zu nehmen.

Auch Arndt schien Nichts dergleichen für nöthig zu halten; er verlor nach dem gestrigen Zusammentreffen bei Lappes kein Wort über eine etwaige Weiterreise, sondern machte, wie vorher verabredet, noch am nämlichen Abende mit dem alten Putbrese einen vierwöchentlichen Miethscontract. – –

„Ein überaus anmuthiges Mädchen,“ sagte nun heute Henriette zu Adelheid, „so warm und graziös und zugleich so frisch, aber immer noch wie ein geniales Kind. Ich glaube nicht, daß wir ein Unrecht begehen, wenn wir hier bleiben.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 742. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_742.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)