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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

welche freilich, da das Aufführen neuer untersagt ist, mehr und mehr verschwinden.

Von dem imposanten Centralbahnhofe führt die lange, elegante, laden- und verkehrsreiche Karl-Johann-Straße mitten durch das Herz der Stadt und an deren Hauptgebäuden vorbei, in ihrem letzten Theile zur linken Hand durch schattige Parkanlagen begrenzt, nach dem hochthronenden, die Aussicht stattlich abschließenden Schlosse, das seinerseits dominirend auf Stadt und Land herabschaut. Vor seiner kolossalen, aber etwas nüchternen Front erhebt sich das Meisterwerk Brynjulf Bergslien’s, die einfach edle Reiterstatue jenes genialen Emporkömmlings, der als Jean Baptiste Bernadotte in einem bescheidenen Advocatenhause zu Pau geboren ward und als König Karl der Vierzehnte im Stockholmer Residenzpalaste die Augen schloß.

Auf einem schmucklosen, aber mächtigen Unterbau, der als Inschrift nur den Wahlspruch des Königs zeigt: „Des Volkes Liebe mein Lohn“, steht das prächtige, lebendig vorwärts schreitende Pferd, auf dessen Rücken der Herrscher in leichter, ungezwungener und doch würdevoller Haltung sitzt, den Hut in der Hand, als ob er soeben aus dem Portal des Schlosses geritten käme, die Grüße des Volkes freundlich zu erwidern. So schickt er den Blick zur Stadt hinab, hinüber nach dem Hause des Storthings, mit dem er sich seine ganze Regierungszeit hindurch im Kampfe befand.

Noch imponirender in seinem Aeußeren als die Königsburg, wenngleich in einem seltsam gemischten bizarren Stil erbaut, aber breit und trotzig den Eingang zur innern Stadt bewachend, und somit den Charakter der in ihm herrschenden Gewalt trefflich zur Anschauung bringend, erscheint Norwegens Stolz, sein Parlamentshaus, dessen Auffahrt mit zwei prächtigen Löwen aus Granit geschmückt ist.

Inmitten der schattigen Anlagen, welche den Raum zwischen den Wohnstätten des Herrscherthums und der Volksvertretung ausfüllen, steht, wie ein Vermittler zwischen beiden feindlichen Gewalten, seit neuester Zeit das Standbild Henrik Wergeland’s, des größten lyrischen Dichters Norwegens, der zugleich einer der bedeutendsten Politiker des Nordens war. Wie er, der glühende Freiheitsschwärmer, den Heldenkönig Karl Johann in begeisterten Gesängen feierte, so hat auch hier seine Statue den rechten Platz gefunden.

Am Fuße des Schloßhügels gewahren wir ferner die Gebäude, welche den Zwecken der erst im Anfange dieses Jahrhunderts als erstes Zeichen der nationalen Erhebung gegründeten Hochschule dienen.

Die Zahl der Studenten in Christiania beträgt in der Regel 500 bis 600; sie tragen seltsame schwarze Baretts mit einer langen auf die Schulter herabhängenden Seidenquaste.

Vor vielen Städten ähnlicher Größe zeichnet sich Christiania durch gemeinnützige Anstalten aus. Von Pferdebahnen durchzogen und von einem ausgebreiteten Telephonnetz früher als manche deutsche Großstadt überspannt, ist es in jeder Hinsicht den Anforderungen der Zeit nachgekommen. Stattliche Schulen und Hospitale werden gebaut und eine prächtige Dampfküchenanstalt sorgt für die billige Verpflegung der ärmeren Classen. Auch an Kirchen – durchweg geschmackvolle, moderne Rohbauten – ist kein Mangel; denn es herrscht viel tiefe, oft sogar Auswüchse treibende Religiosität in Norwegen. Dahingegen kann eine so junge und zumeist durch den Handel emporgekommene Stadt nicht reich an Kunstschätzen sein. Was sich unter den Gemälden der kleinen Nationalgallerie an ausländischen Arbeiten findet, ist größtentheils werthlos, die norwegische Schule aber, die sich in diesem Jahrhundert nicht geringe Achtung erworben hat, ist auf das Stattlichste in mehreren Meisterwerken von Gude, Tidemand, Morton Müller, Arbo, Cappelen etc. vertreten. Höchst interessant sind ferner die verschiedenen Sammlungen der Universität, und unter diesen namentlich das altnordische Museum, welches, wenn auch nicht so reichhaltig wie die Sammlungen in Kopenhagen und Stockholm, manchen höchst seltenen Schatz besitzt. Eine solche Menge prächtiger, geschnitzter Thüren von alten Holzkirchen findet man nirgends wieder. Hier ist auch das berühmte Vikingerschiff zu sehen, dessen Auffindung vor einigen Jahren ein so allgemeines Interesse erregte. (Vergl. Jahrg. 1880, S. 472.) Das höchst merkwürdige, jetzt in geschickter Restauration befindliche Fahrzeug zaubert die romantischen Zeiten der nordischen Seekönige auf das Lebhafteste vor des Beschauers Auge.

Ein großer Schmuck Christianias sind die vielen öffentlichen Anlagen und Gärten, die sich in allen Stadttheilen finden. Im Frühling, wenn Syringen und Goldregen in unendlichen Mengen duften und blühen, rufen sie einen wahrhaft zauberhaften Eindruck hervor. Gleich hinter dem Schlosse dehnt sich der herrliche Schloßgarten aus, in dessen schattigen Laubgängen man den sechszigsten Grad nördlicher Breite vollständig vergißt. Schwäne gleiten auf einem kleinen See umher, ein hoher Springbrunnen verbreitet Kühle, wohlgepflegte Teppichbeete erfreuen durch ihren reichen Farbenschmuck das Auge. Hinter diesem Parke beginnt das eleganteste Viertel Christianias, die Homansby, in deren luftigen, mit geschmackvollen Villen besetzten Straßen vornehme Ruhe herrscht.

An Aussichtspunkten und interessanten Ausflugszielen ist Christianias Umgebung überreich und auch hierin mit der Neapels vergleichbar. Ein Uebelstand aber beeinträchtigt häufig den Genuß an den sonst so lohnenden Streifereien durch dieses Paradies. Nirgends nämlich, oder doch nur äußerst selten, finden sich Orte, wo sich der müde Wanderer erfrischen kann. Die norwegische Gesetzgebung will dem so trinklustigen Volke die Tugend der Mäßigkeit mit Gewalt anerziehen, und der unschuldige Fremde muß unter den strengen Maßregeln des Storthings mitleiden.

Ein elegantes Sommercafé aber befindet sich auf der Ladegaardsö, einer sich weit in den Fjord erstreckenden Halbinsel, die ebenso wohl deshalb, wie auch wegen ihrer Naturreize das Hauptausflugsziel aller Fremden und Einheimischen ist. Und dies mit Recht; denn ein so entzückend lieblicher Naturpark, wie die Ladegaardsinsel, wird in so unmittelbarer Nähe einer großen Stadt – kleine Dampfschaluppen vermitteln den Verkehr mit dieser – wohl schwerlich wieder gefunden. Zum besonderen Schmucke dient ihr das zierliche, im sogenannten Tudor-Stile erbaute Schlößchen Oscarshal, das sich nahe dem Strande auf einem terrassirten Hügel erhebt und, aus seiner dunklen Tannenumrahmung hell hervorleuchtend, von allen Aussichtspunkten in Christianias Umgebung gesehen wird. Ursprünglich von König Oscar dem Ersten erbaut, gehört es jetzt dem Staate, bleibt aber noch immer für die königliche Familie reservirt. Sein höchst sehenswerthes, die weit berühmten Gemäldecyklen von Gude, Irich und Tidemand enthaltendes Innere ist dem Publicum zugänglich; vom Thurme erschließt sich eine überwältigend herrliche Aussicht auf das dunkelgrüne, rings von leuchtendem Wasser umfluthete Laubmeer des Ladegaardsö bis zu den blauen Bergen des Askerlandes, die in lichten Wellenlinien den Horizont begrenzen.

Kein Fremder, der sich schon von hier aus einen Einblick in die eigentliche norwegische Gebirgsnatur verschaffen möchte, sollte es unterlassen, den circa 11 Kilometer nordwestlich gelegenen Frognersœter zu besuchen. Köstlich schattige Waldwege führen hinauf, und oben sieht man von der Gallerie eines im altnorwegischen Bauernstile erbauten Landhauses den ganzen Christiania-Fjord mit seiner interessanten Küstengliederung und seinem Inselarchipel wie eine Landkarte sich zu Füßen. Etwas höher auf der Tryvandshöhe, wo wir uns auf der Spitze eines hölzernen Aussichtsthurmes gegen 1800 Fuß über dem Meere befinden, öffnet sich die nach allen Seiten freie Aussicht auf ein Gebirgsbild voll düsterer Erhabenheit, das im Westen bis zu den fernen Hochgebirgen Thelemarkens reicht, aus welchen die etwa 17 deutsche Meilen entfernte und gegen 6000 Fuß hohe Schneekuppe des Gausta deutlich hervortritt.

Im Uebrigen aber ist es weniger die Großartigkeit der Formen, als vielmehr die innige Verschmelzung von Gebirg, Wald und Meer zu einem harmonischen Ganzen, was der Landschaft um Christiania ihren eigenthümlich bestrickenden Zauber verleiht. Eines ihrer anmuthigsten und eigenartigsten Elemente bilden die unzähligen, im Fjord gruppenweise verstreuten Eilande, jedes ein abgeschlossenes kleines Paradies für sich, jedes von individueller Physiognomie. Bald sind es winzig kleine nackte Felsklippen, bald große fruchtbare Gärten, hier mit einsamem herrlichem Hochwald bestanden, dort mit den reizendsten Villen besetzt. Die Vorliebe der Norweger für Landhäuser, in welchen sie ihre schönen, aber kurzen Sommer genießen, hat hier einen eigenen Villenstil geschaffen, der, wenn er sich auch in seinen Hauptelementen an das modernisirte Schweizerhaus anlehnt, vermittelst einer durch die leichte, luftige Holzconstruction begünstigten Fülle des reizendsten Schnitzwerkes, sowie zahlreicher Veranden, Gallerien und Balcons einen originellen Eindruck macht und neuerdings sogar im Auslande, z. B. in den Umgebungen Wiens, Nachahmung gefunden hat. Diese zahlreichen Landhäuser verleihen der Umgegend Christianias etwas ungemein Belebtes und Anmuthiges. Die besuchenswertheste unter allen Inseln ist nächst der Ladegaardsö

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 736. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_736.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)