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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

des kochenden Wassers, einer Zersetzung unterliegen, bei niedriger Temperatur und im luftleeren Raume bis zu dem gewünschten Grade concentrirt. Zu diesem Zwecke stehen die Vacuumapparate mit Luftpumpen in Verbindung. Durch kleine, in ihrer Wand angebrachte Glasfenster können wir uns jeden Augenblick davon überzeugen, daß ihr Inhalt, eine röthlich violette Flüssigkeit, wirklich kocht und brodelt, aber unter einem so geringen Wärmegrade, daß wir die Hand getrost an die Wand des Apparates legen können, ohne uns irgendwie zu verbrennen.

Das Princip, auf welchem die Thätigkeit dieser Apparate beruht, ist ein altbekanntes. Jeder weiß ja, daß schon die Wärme der geschlossenen Hand genügt, um Weingeist im luftleeren Raume sieden zu lassen; wir brauchen unsere Leser kaum an die mit rother Flüssigkeit gefüllten Glaskugeln, an die sogenannten „Temperamentmesser“ und „Liebesthermometer“ zu erinnern.

Die Handhabung, das Füllen und Ausleeren aller dieser Apparate ist durch die Maschinerie so leicht zu bewerkstelligen, daß wenige Menschenhände genügen, um den großen Saal in vollem Betriebe zu erhalten.

Aus allen diesen Kesseln verschiedenster Größe wird nun die gewonnene, der fertigen Tinte sehr nahe kommende Flüssigkeit in die Bottiche geleitet, die in den umfangreichen Kellereien der Fabrik (vergl. die nebenstehende Abbildung) aufgestellt sind. Der Anblick dieser Masse von Tinten, die hier gleich dem edlen Moste in dunklem Keller ihrer Klärung entgegengeht, läßt uns auf ein Weilchen vergessen, daß wir uns in der Schreibtintenfabrik befinden, und unwillkürlich an eine andere „rothe Tinte“ denken.

Die Kellereien der E. Beyer’schen Tintenfabrik in Chemnitz.
Originalzeichnung von G. Sundblad.

Von hier steigen wir auf einem Fahrstuhl wieder in höhere und lichtere Regionen. Unser Gang führt uns in das chemische Laboratorium, den geistigen Mittelpunkt der ganzen Fabrik, über dessen Bedeutung wir schon im Eingang dieses Artikels gesprochen haben. Nun geht es treppauf, treppab durch die verschiedenartigsten Räumlichkeiten, als da sind: Füllsaal, Packraum, Flaschenboden, Zusammenstellraum, Comptoir u. dergl. m. Wir ersparen uns die nähere Beschreibung dieser in jeder großen Fabrik vorhandenen Räume. Wenn der Leser seine Phantasie ein wenig anstrengen will, so wird er sich schon ein Bild des hier sich entwickelnden Treibens selbst construiren können. Er denke sich nur eine Unzahl von leeren und vollen Flaschen, die durch fleißige Hände gefüllt, etiquettirt und geordnet werden. Das giebt ein buntes Bild.

Nur Folgendes möchten wir besonders hervorheben: Der große Absatz der Beyer’schen Tinte wurde, abgesehen von der Güte der Waare selbst, durch die gute Packung und die geschmackvolle Ausstattung des Fabrikates errungen, zwei Umstände, die leider auch in anderen Industriezweigen in Deutschland nicht genügend beachtet werden und deren unverantwortliche Vernachlässigung so manchen guten deutschen Handelsartikel auf dem Weltmarkte zu Grunde gehen ließ.

Ehe wir diese Musteranstalt verlassen, müssen wir noch ihrer Geschichte gedenken, und wir geben zu diesem Zwecke dem Schöpfer und Leiter derselben das Wort:

„Als ich am 1. November 1856 die käuflich erworbene Löwenapotheke in Chemnitz übernahm,“ schrieb Herr Eduard Beyer vor zwei Jahren gelegentlich seines fünfundzwanzigjährigen Geschäftsjubiläums, „da verband ich gleichzeitig mit meiner Thätigkeit als Apotheker die Darstellung einer Tinte, welche zu dem in den fünfziger Jahren zu allgemeiner Anwendung gelangten Copirverfahren unerläßlich nöthig war, die aber bis dahin meist für schweres Geld von England und Frankreich bezogen werden mußte. Die Frucht vieler Vergleichs- und Verbesserungsversuche war eine Tinte, die in angenehm röthlicher Farbe aus der Feder floß, bald in Schwarzblau überging und eine dunkel veilchenblaue Copie lieferte, während die Originalschrift in ein tiefes Schwarzblau überging. Sie führte den so überaus gerechtfertigten und trotzdem mannigfach belächelten Namen ‚Chemnitzer veilchenblauschwarze Copirtinte‘ und mit ihrem Vertrieb wurde die hochangesehene Papier- und Schreibwaarenhandlung von Robert Winckler, die älteste in Chemnitz, betraut. Schnell erwarb sich die Tinte einen guten Ruf, welcher rasch die Grenzen von Chemnitz überschritt. Bald reichten die ersten, höchst primitiven Fabrikationsmittel, nur bestehend in einem großen Waschkessel und einigen Fässern, nicht mehr aus, und die Gründung einer besonderen Fabrik war schon im Anfang der sechsziger Jahre ein unabweisbares Bedürfniß. Im Jahre 1863 wurde in einem stattlichen, mit Dampfbetrieb und anderen reichen Hülfsmitteln ausgestatteten Gebäude die Fabrikation fortgesetzt und unaufhörlich erweitert. War im Jahre 1856 mit einer Tintensorte und einem Kunden begonnen worden, so wurde im Laufe der Jahre die Fabrikation von circa achtzig verschiedenen Sorten Thatsache; bei vielen tausend Kunden fanden dieselben freundliche Aufnahme und raschen Vertrieb, und heute giebt ein in jeder Hinsicht stattlicher Katalog beredtes Zeugniß von den erreichten Erfolgen, und seine Nummern finden, in den mannigfachsten Packungen, etiquettirt in fast allen Sprachen der Culturvölker, in ganz unglaublichen Mengen ihren Weg in alle Theile unseres Erdenrundes.“

Mit diesen Worten des bewährten Vorkämpfers der deutschen Tintenindustrie beschließen wir die Schilderung dieser Fabrik. Wir hoffen fest, daß sowohl er selbst wie auch andere deutsche Tintenfabrikanten in ihren Anstrengungen nicht erlahmen und ihr hohes Ziel, die endgültige Eroberung des Weltmarktes, zu Nutz und Frommen Deutschlands erreichen werden. An unsere Landsleute im Auslande möchten wir aber am Schluß die Bitte richten, auch ihrerseits für die deutsche Tinte einzutreten und nach Kräften dem deutschen Fleiße und der vorzüglichen deutschen Waare in fernen Ländern die Wege zu ebnen.

Valerius. 


Von Christiania nach Bergen.

Bilder aus Norwegen von Karl Konrad.0 Mit Illustrationen nach den Aquarellen von Prof. C. Werner.

1. 0 Christiania.

Der den germanischen Stämmen von Alters inne wohnende Wandertrieb, welcher in früheren Zeiten so häufig in die Geschicke der europäischen Länder und Völker eingegriffen, scheint in unserem Jahrhundert der Dampfkraft mit erneuter Stärke erwacht zu sein. Freilich hat er heutzutage nichts mehr mit Eroberungssucht und Beutelust gemein, verleugnet aber im Uebrigen keineswegs seinen alten Charakter. Nicht einzig und allein der Freude am Naturgenusse – denn diese finden wir auch bei anderen Völkern – sondern eher einem gewissen Hange zur Romantik und vor allem der Lust am Wechsel entsprungen, Eigenthümlichkeiten, die dem germanischen Nationalcharakter schon seit den ältesten Zeiten ankleben und ihm von je den Spott der Nachbarvölker eingetragen haben, hat dieser Wandertrieb in der sogenannten Vergnügungs- oder Ferienreise seinen neuesten Ausdruck gefunden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 734. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_734.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)