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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


fernen Ende des Boddens herüber. Dann lösten sich die verschiedenen Farben; in geheimnißvollem Hauch erstarben sie und gingen langsam in einander über und unter.

Plötzlich sah man nichts, als eine einzige, feuergetränkte, purpurrothe Gluth: Himmel, Wasser und Land – Alles war übergossen von einer einzigen flammenden Pracht. Tiefer und tiefer sank die Sonnenkugel herab, und athemlos standen die drei Wanderer, um das Scheiden des Tagesgestirns mit Andacht zu verfolgen. Jetzt tauchten die letzten Strahlen unter: der Bann war gebrochen, und das Menschenwort trat in seine Rechte zurück.

„Ah!“ sagte Arndt „so Etwas sah ich noch nie. Aber wer die Arme nach dieser Gluth ausbreitete, wäre ein Narr.“

„Die Arme nicht, aber die Seele soll man ihr entgegenbreiten,“ meinte Henriette hastig-leise.

„Henriette,“ flüsterte Arndt, „Sie sind kein Wesen von Fleisch und Blut. Ihre Seele ist anders, als die Seelen gewöhnlicher Sterblicher – sie hat volles Genüge in der Idee. Wir Anderen möchten an das Herz reißen, was schön ist, unser nennen, was entzückt. Und unser, ganz unser ist nur das, was wir in die Arme pressen dürfen. Nur an der Wirklichkeit erwarmt unser Idealismus und erstarkt unsere Kraft, Henriette!“

Sie preßte die Hand gegen das klopfende Herz; sie wollte ihm weichen, aber sie konnte nicht.

„Wirklichkeit ist wie heißer Sonnenglanz,“ sagte sie unruhig, „und Genuß der Phantasie ist wie Mondscheinbeleuchtung; ich weiß kaum, was schöner ist.“ Sie sah sich nach Curt um, der nur wenige Schritte von ihnen stand.

„Arndt“ begann sie dann wieder ernst, und wollte hinzusetzen „Nehmen Sie Rücksicht auf meinen Sohn!“

Aber sie brachte es nicht über die Lippen, sobald sie in das Gesicht ihres Freundes blickte.

„Ihr Blick, Ihr Ton macht mir einen Vorwurf,“ sagte er bitter. „O, ich fühle es wohl; ich muß um Verzeihung bitten. Können Sie verzeihen, Henriette, daß Sie geliebt werden? O, bedenken Sie, daß ich morgen abreise und nie gekommen wäre, wenn nicht dieser Knabe so bestrickend geschrieben hätte! Sagen Sie mir, was ich soll!“

„Nichts,“ erwiderte sie, „– jetzt nichts! – Lassen Sie uns weiter gehen, mein Freund!“

Dunkler wurden die fernen Küsten; über das Kiefernwäldchen sanken die träumerischen Schleier der Nacht, und jetzt verblaßte auch der feurige Schein am Himmel mehr und mehr. Dunkel ringsum, und der rothe Hauch auf den Wassern war nichts mehr als eine vorschwebende Erinnerung an die Pracht des Abends, nur der weiße Schaum leuchtete noch grell zwischen dem schwarzen Uferschilf hervor. Alles einsam – die Fluth schien zu schlafen, kaum daß sich der Wind ab und zu wie ein träumender Nachtgeist in den Kieferwipfeln regte.

Arndt machte mechanisch Feuer, um eine Cigarre anzuzünden. Das Leben seines in der Dunkelheit auf einmal grell beleuchteten Gesichts erschien ganz nach innen gedrängt.

„Er ist traurig, Mutter!“ rief eine Stimme in Henriettes Seele. Curt hatte das neulich gesagt, Curt, der mit seinem Freunde betrübt war und dem alle Quellen der Freude und des Genusses zuzuführen Henriette für ihre heiligste Pflicht hielt, den glücklich zu machen sie in ernster Stunde geschworen hatte – Curt!

„Arndt,“ sagte sie plötzlich mit schwacher und doch wundersam fester Stimme, „wollen Sie versuchen, glücklich mit mir zu werden? Ich will, was Sie wollen.“ Und sie ergriff mit einem leisen Zittern seine Hand.

„Henriette!“ flüsterte er, er fand nur dieses eine Wort.

Wie im Rausche ging er an ihrer Seite und preßte ihre Hand in der seinen, daß es sie schmerzte. Doch sie ließ es geschehen. Wortlos gingen sie weiter und weiter, und als es immer finsterer wurde und sie ihren Weg rücksichtslos über Haidebüsche und Sumpfstellen, über gefällte Kiefern und versprengte Steine nehmen mußten, da zog er ihren Arm fest durch den seinen und flüsterte:

„Weißt Du, Henriette, daß ich nun der Beschützer Deines Lebens geworden bin?“

„Ich danke Dir!“ antwortete sie, doch für sich sprach sie weiter. „Und weißt Du auch, daß ich Dich zum Vater meines Sohnes gemacht habe? Vergiß es nie!“ –

Unterdessen waren sie dem Dorfe immer näher gekommen, und seine kleinen, scheinbar beweglichen Lichter blitzten auf wie Glühwürmchen in der Johannisnacht.

„Seht!“ rief jetzt Curt mit ausgestrecktem Arme; er blieb stehen und wartete auf das langsam herankommende Paar. „Herr Arndt, haben Sie schon früher einen so schönen Tag erlebt?“

„Nein, mein Sohn; meine früheren Tage sind überhaupt wenig schön gewesen.“ –

Sie waren im Dorfe angekommen. Arndt begleitete Mutter und Sohn in’s Zimmer. Henriette zündete Licht an, und zu Curt gewendet, sagte sie mit unaussprechlicher Sanftmuth und Freundlichkeit:

„Sieh, mein Sohn, Freund Arndt wird Dein Vater sein. – Lieb’ ihn, wie Du mich liebst – und sei ihm noch gehorsamer, als Du mir warst! Denn ein Vater darf weniger vergeben, als eine Mutter.“

Curt sah sich eine Secunde lang wie zweifelnd um.

„Mutter, Mutter! ich wußte, daß Du gut bist,“ rief er dann leidenschaftlich und umschlang mit beiden Armen die schöne, holdselige Frau – den treuen, sorgsamen Schutzengel seiner Kindheit.

Arndt biß die Zähne zusammen. Noch einmal bäumte sich sein Stolz unmuthig wider sein eigenes Herz auf und schrie mit tobender Stimme in die Brandung seiner aufgewühlten Seele hinein: daß er verächtlich sei, wenn er Henrietten nicht auf der Stelle ihre Freiheit zurückgäbe. War es doch nur ein Opfer, das sie ihm entgegenbrachte – nicht Liebe, nicht Liebe!

Doch nun auf einmal sah er Curt vor sich knieen.

„Vater, ich will Dir gehorchen,“ sagte der feurige Knabe sanft und mit einem unbeschreiblichen Ausdrucke von Liebe und Ergebung – – da starb die Eifersucht in der Brust des erregten Mannes, und er schloß den Sohn liebevoll in die Arme.

Als Arndt aufblickte, war er nicht mehr derselbe. er fühlte plötzlich, daß er hier der Herr sei. Wie Jemand, dem unerwartet ein Königreich zufiel, hob er das Haupt. – Sie hatte ihm das Opfer ihrer selbst gebracht – wohl! er nahm es an, voll und ganz – er kannte keine Rücksicht mehr: er zog sie an sein Herz und drückte die ersten glühenden Küsse auf ihre zitternden Lippen

„Du wirst mich lieben“ sagte er, und seine Stimme klang mehr gebieterisch, als prophetisch, „Du wirft mich lieben, wie ich Dich liebe, Henriette.“

Sie nahm ihre ganze Kraft zusammen; sie lächelte freundlich und beinahe vergebend zu ihm empor.

Das rührte und beschämte ihn, und es war fast, als ob es eine Abbitte sein sollte, daß er jetzt nicht noch einmal ihren Mund küßte, sondern ihr nur warm in die Augen sah.

Das „Gute Nacht, lieber Arndt!“ „Gute Nacht, meine Braut!“ war bald darauf gesprochen. Henriette war allein mit ihrem Sohn. – –

„Mutter, hast Du ihn lieb? O, solch ein schöner Mann, solch ein guter, herrlicher Mann! Wie ein Meergott sieht er aus. Bist Du nicht glücklich, Mutter? O, sag’ ein Wort!“

„Ja, Curt, ich habe ihn lieb.“

„Ach, das ist schön. Ich wollte heute ein großes Gedicht machen und konnte es nicht; vielleicht kann ich es jetzt.“

Da schloß sie plötzlich die Augen, und ihre tief herabfallenden Wimpern lagen wie ein dunkler Flor auf ihrem blassen Gesicht. Ein Zweifel fuhr durch ihre Seele und berührte sie unheimlich, wie ein kalter Zugwind: ob es diesem ungewöhnlichen Knaben wirklich dauerndes Bedürfniß sein würde, einen Vater zu haben? – –

Während sie so fragte, ging Arndt durch die stille Augustnacht seiner Wohnung zu und redete sich unruhig ein, daß es schöner sei, nicht von vornherein ebenso leidenschaftlich geliebt zu werden, wie man selbst liebt – es blieb dann noch Etwas übrig, das man, mit der Zeit im Bunde, erobern mußte. Und selbst, wenn man es nicht erobern würde .... hatte nicht der glühende Mittag etwas Beängstigendes, und war nicht der Spätnachmittag mit seinen tiefer fallenden Strahlen und halb geschlossenen Blumenkelchen eigenthümlich süß und befreiend? – Und mit einem solchen Spätnachmittage durfte er wohl Henriettens Seele und ihr edelruhiges Wesen vergleichen.

„Gewiß!“ sagte er sich, „das freundlich hinnehmende Weib ist schöner als das verschwenderisch gebende, das sanfte beglückender als das erregte.“

(Fortsetzung folgt.)




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