Seite:Die Gartenlaube (1882) 720.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

beiden verneinenden Berichten die alte, so wohlverständliche und von so vielen scharfsinnigen Beobachtern unterstützte Erklärung zu verlassen.

Wie man sich leicht vorstellen kann, findet das Phänomen des tönenden Sandes nicht blos am Sinai, sondern auch an anderen Orten der Erdkugel statt, wo sich dieselben Bedingungen zusammenfinden: heißes, trockenes Klima, grober Sand und eine stark geneigte Rutschfläche. Während sich Darwin auf seiner Reise um die Welt in Copiapo im nördlichen Chile befand, erzählte man ihm von einem nahen Berge, den die Einwohner „El Bramador“ oder „den Schreier“ nannten, und er erfuhr, daß dieser Berg ganz mit Sand bedeckt sei, und nur dann ein Geräusch von sich gäbe, wenn Personen ihn erkletterten und dabei den Sand in Bewegung setzten. Die neueste Beobachtung des tönenden Sandes rührt von dem Afrikareisenden Oscar Lenz her, welcher die Erscheinung im Winter 1879 bis 1880 auf seiner von Tenduf aus angetretenen Wüstenreise durch das südliche Marokko nach Timbuktu, und zwar in dem Igidi genannten Gebiete der Sanddünen, wiederholt beobachtete.

Es war ein eigenthümliches, erst leise knisterndes Geräusch, welches bald in einen dumpfen, trompetenartigen Schall überging, der in der todtenstillen menschenleeren Wüste ein unheimliches Gefühl erweckte und bald von der einen Stelle der Dünen, bald von einer anderen erklang. Diese Dünen bestehen aus einem groben, trockenen Quarzsand, der sehr leicht in Bewegung geräth. Den Leser aber, der sich nicht vorstellen kann, wie das kleine Geräusch der fallenden Quarzkörnchen zu Trompeten-, ja zu Donnertönen anschwellen kann, müssen wir eben an die sich steigernde Wirkung der kleinen Anstöße und an das rollende Schneekörnchen erinnern, welches, von einem leichten Windhauche, ja von dem Laute einer menschlichen Stimme in Bewegung gesetzt, zur donnernden Lawine anschwillt, welche ganze Wälder und Ortschaften in den Abgrund reißt. Der Hauptunterschied ist der, daß die Bewegung der Sandlawine eine oberflächliche bleibt, weil die Ausdörrung wegen des starken Nachtthaus nur bis zu einer gewissen Tiefe fortschreitet.

Aber wie in dem Ellicot’schen Uhren-Experiment der leise Pendelschlag einer Uhr allmählich eine ganze Bretterwand in Schwingungen versetzt, sodaß eine zweite, entfernt von der ersten aufgehängte und stehende Pendeluhr davon in Gang gesetzt wird, so bringen hier die unzähligen hinabrieselnden Quarzkörnchen trotz ihrer Winzigkeit schließlich den ganzen Berg in Bewegung und erzeugen ein Klangphänomen, welches nach den einstimmigen Schilderungen aller Besucher zu den ergreifendsten Naturerscheinungen gehört, welche dem Weltreisenden winken.

Carus Sterne.


Deutsche Wohlthätigkeits-Gesellschaften im Auslande.

Die Deutschen sind von jeher Träger und Pioniere der Cultur im Auslande gewesen, leider aber ging früher ihre culturelle Thätigkeit oft der Nation verloren und gereichte nicht selten ausschließlich fremden Völkern zum Vortheil; denn so lange es noch kein deutsches Reich gab, war Deutschland in seiner Zerrissenheit dem Auslande gegenüber machtlos und entbehrte in der Fremde des so nöthigen Schutzes durch die heimathlichen Regierungsbehörden. Zahllose Deutsche im Auslande haben daher im großen Völkermeer jedes Vaterlandsgefühl abgethan, sodaß vollends ihre Nachkommen sich innerlich und äußerlich ganz mit der Nationalität vermischten, in deren Mitte sie ihre neue Heimath begründet. Manche legten schon bald nach der Uebersiedelung ihre deutschen Namen ab und romanisirten, englisirten oder slavisirten dieselben sogar. Man werfe aber darum keinen Stein auf diese Abtrünnigen! In ihrer Schutz- und Hülflosigkeit waren sie vielleicht zu schwach, um dem auf sie geübten Drucke zu widerstehen. Heute, nach Aufrichtung des mächtigen deutschen Reiches, ist die Sache freilich ganz anders und viel besser geworden.

Aber schon lange, bevor dieses heißersehnte Ziel erreicht worden, trat die erfreuliche Erscheinung zu Tage, daß thatkräftige Deutsche mit vereinten Kräften durchsetzten, was der Einzelne nicht zu erreichen vermochte, indem sie durch Privatthätigkeit in’s Leben riefen, was ihnen von obenher gebrach. Dieser Tendenz verdanken wir die deutschen Schutz- und Hülfsgesellschaften im Auslande.

Die ersten derselben entstanden in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, in den Hafenstädten Philadelphia, New-York und Baltimore; ihnen folgten solche in den Hauptstädten der alten Welt, in London, St. Petersburg, Constantinopel, Paris und in einer zweiten englischen Stadt, in Dalston, worauf wiederum der Gründungseifer nach Nordamerika zurückkehrte, wo in St. Louis, New-Orleans, San Francisco und Chicago Hülfsvereine gegründet wurden. Bald darauf folgten den zur Linderung materieller Noth gegründeten Zufluchtsstätten solche zur Abwehr politischer Verfolgung: die Schweiz und Belgien.

Nach dem Jahre 1870, welches dem deutschen Reiche seine frühere Machtstellung wieder gab und somit auch die Deutschen im Auslande mit dem Gefühle junger Kraft erfüllte, schossen dann die deutschen Hülfs- und Schutzvereine überall wie Pilze aus der Erde, und kaum irgend eine bedeutende Stadt Amerikas und Europas entbehrt heute eines solchen Vereins. Die Zahl der deutschen Hülfsvereine, soweit sie uns nach den uns ziemlich vollständig vorliegenden Statuten und Jahresberichten bekannt wurden, beläuft sich heute auf 64, deren Entstehen zu fast dreiviertel ihrer Zahl auf die Zeit nach dem Jahre 1871 fällt.

Der erste und älteste aller deutschen Hülfsvereine im Auslande ist die „Deutsche Gesellschaft von Pennsylvanien“. Die Gründung derselben hat ihre eigene Geschichte. Die Gesellschaft verdankt ihren Ursprung der deutschen Einwanderung. Diese nahm ihren Anfang im Jahre 1683; denn die früheren Einwanderer in die englischen Colonien Nordamerikas dürfen nur als versprengte Vorläufer betrachtet werden. Die Anregung aber zu eigentlichen Wanderzügen aus Deutschland gab kein Anderer als Wm. Penn selbst, der dreimal – und zwar die ersten beiden Male vor der Gründung Pennsylvaniens (1671 und 1677) – selbst in Deutschland war, um für seine Secte, die Quäker, Propaganda zu machen und das zu Ehren seines Vaters benannte Land zu bevölkern. Penn predigte in Krißheim bei Worms und erließ ein Manifest (1681), in welchem er die Ansiedelung plausibel machte; alsbald entstanden denn auch in Frankfurt und Crefeld unter den Gläubigen Auswanderungs-Gesellschaften.

Am 6. October 1683 gingen die ersten Auswanderer ab, welche sechs Meilen von Philadelphia, das damals nur einige Häuser zählte, die Stadt Germantown gründeten, und ihnen folgten, dank den damaligen unseligen Zuständen in Deutschland, bald andere Auswanderungszüge nach.[1]

Die großen Zuzüge aus Deutschland beunruhigten die angesiedelten Engländer und drückten wie ein Alp auf ängstliche Gemüther, sodaß James Logan, der berühmte Secretär W. Penn’s, die Befürchtung aussprach, es könne den dortigen Angelsachsen dasselbe Schicksal widerfahren, wie im fünften Jahrhundert den britischen Kelten durch die Angelsachsen. Auch in der englischen Gesetzgebung der Colonie sprach sich durch zum Theil später wieder zurückgezogene Repressivmaßregeln dieselbe Befürchtung aus.

Da nun die meisten Auswanderer zu arm waren, um die gegen 200 Mark betragenden Kosten der Ueberfahrt zu zahlen, so trafen sie mit den Schiffseigenthümern ein Uebereinkommen, wonach sie sich verpflichteten, nach ihrer Ankunft in Amerika ein Arbeitsäquivalent für die Fahrt zu leisten. Ein solcher Dienstcontract war, wie ein lettre au porteur, übertragbar. Ein guter Arbeiter mochte mit drei bis vier Jahren abkommen, die Dauer der Arbeitsknechtschaft konnte aber auch bis zu sieben Jahren sich


  1. Besonders stark waren die Bedrückungen auch in Württemberg, und aus diesem Lande gingen Massenzüge von Auswanderern nach Amerika ab, das erste Mal 1709, dann wieder 1717. In einzelnen Jahren, wie 1711 und 1716, war die Auswanderung sehr stark; im Herbste 1749 langten 25 Schiffe mit deutschen Einwanderern in Philadelphia an, und der Reisende Kalm veranschlagt die damalige Zahl derselben auf 12,000. Auch 1750 und 1755 kamen wieder viele Schiffe mit Auswanderern, und im Jahre 1752 waren unter den 190,000 Bewohnern des Landes 90,000, im Jahre 1755 unter 220,000 fast die Hälfte Deutsche.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 720. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_720.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2023)