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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


Werke zur Ausstellung, und fettgedruckte Zeitungsreclamen lockten das Publicum bald hierhin, bald dorthin.

Für ein gemüthliches häusliches Leben blieb nur wenigen Leuten Zeit übrig, und was immer die warme Jahreszeit gebracht haben mochte – jede Erinnerung, war sie zu Anfang des Winters auch noch so frisch gewesen, wurde jetzt von der rauschenden Gegenwart übertönt.

In dieser großen rauschenden Welt der Hauptstadt bildeten die fünf Personen, welche im jüngst verflossenen Jahre zwei schöne Wochen mit einander auf Rügen verlebt hatten, eine kleine Welt für sich, ein Zauberkreis umschloß sie; er ward von tausend zarten, bunt durch einander gewebten Fäden gebildet, die der Spätsommer damals so natürlich auf öden Dünen und im stillen, dunkeln Buchenwalde angesponnen hatte.

Um Arndt’s Herz, der jetzt wieder mitten im unruhvollen Leben und Treiben der Welt stand, aber in seiner Berufsthätigkeit seit seiner Rückkehr von Norwegen einen neuen Aufschwung genommen hatte, zogen sich diese leisen Sommerfäden wie Strahlen eines goldenen Lichtes, das seine Augen um so durstiger einsogen, je weniger das Gewölk, das bis vor Kurzem an seinem Horizonte stand, ihm je den Schimmer einer ähnlichen Sonne vergönnt hatte.

Nicht so deutlich, wie er, sah Henriette diese flimmernden Fädchen; nur manchmal fühlte sie vorahnend wie im Traume, daß sich etwas Liebes und Freundliches anscheinend gefahrlos um sie her wob, aber nachgerade so nahe an sie heran kam und so unentwirrbar und dicht wurde, daß es sie in Netzen fangen mußte, welche nur mit schmerzender Gewalt zu zerreißen sein würden; der halb spielende, halb sinnende Curt dagegen ließ es sich angelegen sein, diese Netze, an denen auch für ihn schöne Erinnerung und freundliche Gegenwart gleich emsig woben, in leidenschaftlichem Ungestüm immer fester zu ziehen.

Auch die beiden Malerinnen waren nicht unbetheiligt. Sie bedurften keine Lupe für ihr kluges Freundschaftsauge, um das zarte Gewebe des Sommers jetzt, unter dem Schatten des Winters, geheimnißvoll wachsen zu sehen, und mit ängstlicher Spannung hingen oft Adelheid’s Blicke, wenn Niemand sie beobachtete, an den schwebenden Maschen dieser Fäden, während Auguste wohl ebenso interessiert wie die Schwester, aber weniger aufgeregt, der Dinge harrte, die da kommen sollten.

Henriette, die seit ihrer Verheirathung in äußerlich günstigen Verhältnissen in Berlin lebte, hatte nach und nach einen ziemlich weiten Bekanntenkreis in der unruhigen Großstadt gewonnen, in welchem die Malerinnen den ersten Platz einnahmen; sie zog sich auch in diesem Winter keineswegs ganz von den Anforderungen zurück, welche an sie gestellt wurden, doch waren dieselben im Allgemeinen sehr vorübergehender Natur.

Daß Arndt sofort nach seinem ersten Besuche, den er ihr in Berlin machte, auch äußerlich als Gleichberechtigter an die Seite der Malerinnen trat, war als eine Folge der Rügener Beziehungen eigentlich etwas Selbstverständliches, und als ebenso selbstverständlich mußte es erscheinen, daß er durch die Vermittelung des Knaben, dem er immer mehr ein väterlicher Freund wurde, nach und nach manchen Schritt über die Gleichberechtigung hinausthat und in eine immer engere Sphäre aufgenommen wurde.

Es dauerte gar nicht lange, so theilte er sich mit ihr in die Erziehung des Knaben, genau wie Vater und Mutter sich oft in diese verantwortungsvolle Arbeit zu theilen pflegen: der Vater ist des Sohnes Berather und Bildner in allen praktischen und wissenschaftlichen Dingen – die Mutter erzieht die junge Seele; der Vater wird dem mehr und mehr Heranwachsenden ein Freund – die Mutter ist ihm die erste Geliebte, die Geliebte mit dem Heiligenschein.

Um die Mitte des Winters hatte sich Curt bereits so eng an Arndt angeschlossen, daß man für gewöhnlich gar nicht mehr an die Zeit zurück dachte, in welcher es anders gewesen war. Kaum, daß Arndt des Abends die Schwelle betreten hatte, so mußte er dem Knaben auch schon irgend eine mathematische Formel erklären, ihm wunderliche lateinische Vocabeln übersetzen, die gewiß nicht in den Wörterbüchern zu finden waren, oder doch wenigstens allerlei spitzfindige grammatische Regeln deuten.

Arndt fühlte auch jetzt noch, daß etwas im Grunde von Henriettens Wesen schlummere, das er noch nicht enträthselt hatte, und doch zweifelte er in diesen Wintermonaten keinen Augenblick daran, daß es ihm gelingen müsse, sich über kurz oder lang völlige Klarheit und mit der Klarheit auch völligen Besitz dieser Frau zu verschaffen, ohne welche er sich überhaupt keine Zukunft mehr denken mochte.

Um ganz leben zu können, wie es ihm gefiel, hatte er fast allen anderen geselligen Verkehr in diesem Winter abgebrochen, und er bereute diese Consequenz keinen Augenblick – um so weniger, als er in der ersten und letzten Gesellschaft, welche er in dieser Saison bei früheren Bekannten mitgemacht hatte, nach langer Pause wieder einmal Erna Lepel begegnet war.

(Fortsetzung folgt.)




Die Tauben im Dienste des Mars.

Es läßt sich wohl zweifellos behaupten, daß unsere heutigen Haustauben den Weg nach Deutschland allein vom Morgenlande her gefunden haben. Nur theilweise wurden sie direct über Griechenland und Italien eingeführt, wobei die Annahme nicht ausgeschlossen bleibt, daß einzelne Taubenarten durch die Mauren von Spanien her, oder durch den Handel zur See über die Niederlande und von hier schließlich selbst über östliche deutsche Häfen zu uns gelangt sein können. Ebenso kann mit Sicherheit angenommen werden, daß die ersten Haustauben, welche nach Deutschland kamen, von weißer Farbe gewesen sind, und es darf auch wohl als berechtigt (? die Red.) erscheinen, wenn man die Bezeichnungen: „die Taube“, „den Taubert“ mit dem althochdeutschen Worte „Dagobert“ in Verbindung bringt, was den Tag-hellen, den Licht-hellen bezeichnet. Erst aus Taube und Taubert sind dann die niederdeutschen Worte: „Duvu“, „Duwert“ entstanden.

Die Taube ist im Morgenlande von altersher als Hausthier gepflegt worden, es geht dies unter anderm daraus hervor, daß schon die Taube Noah’s durchaus eine gezähmte gewesen sein muß, denn eine wilde Art hätte die Freiheit benutzt und wäre nicht wieder zu der Arche zurückgekehrt. Auch im Sanskrit, einer Sprache, welche Tausende von Jahren vor der christlichen Zeitrechnung gesprochen worden ist, finden sich gegen dreißig verschiedene Namen für sicherlich unterschiedliche zahme Taubenarten. Das Gleiche gilt für die alte persische Sprache, in welcher sich ebenfalls über ein Dutzend Bezeichnungen für Haustauben vorfinden, und auch Aegypten liefert in seiner Hieroglyphenschrift den Beweis, daß die Tauben 3200 Jahre vor Christi Geburt als Haustiere bekannnt gewesen sind. – Abgesehen von der Erwähnung der Tauben in der Bibel gelegentlich der Sündfluth, wird derselben noch öfters an anderer Stelle gedacht, und werden speciell solche von weißer Farbe als besonders zum Opfer geeignete Thiere erwähnt. Die weißen Tauben spielen aber auch in der Götterlehre anderer alter Völker eine hervorragende Rolle, namentlich bei Ausübung des Cultus der Venus, und kann von diesen Tauben sogar behauptet werden, daß sie die ersten Brieftauben gewesen sind, abgesehen davon, daß gelegentlich der griechischen Kampfspiele Tauben benutzt worden sind, um Freunden und Verwandten den Ausfall der Wettkämpfe so schnell wie möglich zu melden, und zwar durch Briefe, die man den in’s Theater mitgenommenen Vögeln anheftete, ehe sie, direct vom Zuschauerraum aus, freigelassen wurden.

Daß diese Tauben abgerichtet gewesen und nicht allein ihrem Instinct folgten, welcher sie trieb, der Heimath zuzufliegen, geht wohl aus der Art und Weise hervor, wie die Priester der Aphrodite die Tauben benutzten, um sich selbst und der Göttin der Liebe das nöthige Ansehen zu geben. Der Venusdienst verlangte nämlich unter Anderem, daß die Abreise der Göttin von Sicilien nach Libyen alljährlich festlich begangen werde, bei welcher Gelegenheit die in dem dortigen Tempel gepflegten weißen Tauben freigegeben wurden, um unter Anführung einer rothen, vielleicht mit Purpur gefärbten Schwester, welche die Göttin der Liebe selbst vorstellte, dem Meere zuzufliegen. Nach neun Tagen kehrten die Tauben dann wieder zum Tempel zurück.

Dieses Spiel ist wohl nicht anders zu erklären, als durch einen kleinen Betrug, der darin bestand, daß die Priester Tauben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 714. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_714.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)