Seite:Die Gartenlaube (1882) 699.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Wenn man bei Menschen, die von Kindesbeinen an gewohnt waren, nackend zu gehen, ja denen jede Kleidung unbequem und verhaßt ist, voraussetzt, daß sie die Unbilden ihres milden Klimas mit Leichtigkeit ertragen und ihr Körper gegen Witterungseinflüsse vollkommen gestählt und abgehärtet sein müsse, so irrt man in dieser Voraussetzung. Das lernte ich während meines Aufenthaltes daselbst kennen. Die Regenzeit, welche im December eintrat und bis Mitte März fast ununterbrochen anhielt, warf mit ihrer feuchten, kühlen Witterung, in der das Thermometer bis 19½° R. fiel, bald ganze Dorfschaften mit Krankheit darnieder, die einen epidemischen Charakter annahm. Es war Hals-und Brustkatarrh, das, was bei uns, glaube ich, mit „Grippe“ bezeichnet wird, also ein im Ganzen nicht gefährliches Uebel. Aber es forderte unter den Eingeborenen viele Opfer, und namentlich im Februar verging kaum ein Tag, wo nicht ein oder ein paar meist ältere Personen starben. Zwar machte man mehrmals den Versuch, den bösen Geist der Krankheit durch allgemeines Lärmen, Schlagen mit Knüppeln an Häuser, Zäune und Bäume, Abfeuern von Flinten etc. zu vertreiben, aber es half nichts, und die Bevölkerung ergab sich nun ruhig in ihr Schicksal, ohne irgend ein anderes Heilmittel zu kennen, als Blutlassen mittelst Einritzen durch Glassplitter. Diese Universalmethode der Eingeborenen, welche damit jede Krankheit behandeln, fand in dieser Zeit die umfassendste Anwendung. Kaum eine Person war zu sehen, die nicht Spuren dieser Curmethode, welche an den mit Kalk eingeschmierten Wundmalen leicht kenntlich ist, an sich trug. Wie überall verschonte der Tod selbst die Höchsten nicht, und der Eingeweihte erkannte einen solchen Fall leicht an der Heftigkeit des Klagegeschreies, welches sich dann erhob. Eines Abends ließ sich dasselbe stärker als sonst vernehmen: es mußte etwas ganz Besonderes passirt sein. Und so war es. Turumane, der älteste und höchste sogenannte König, der größte Grundeigenthümer auf der Insel Matupi und an der Küste, der mächtigste Geldprotz, hatte sein Leben beschlossen. Noch an demselben Abend eilte Alles herbei, um beim Todten zu klagen, und selbst große Männer schienen so von Schmerz überwältigt, daß sie für keine Frage Gehör hatten.

Am andern Tage entwickelte sich die eigentliche Begräbnißfeier, die mit zu den glänzendsten gehörte, welche ich in Neu-Britannien zu sehen bekam. Schon am Vormittage setzte sich die Bevölkerung nach dem Trauerhause in Bewegung, die Weiber in langen Gänsemarschreihen mit den unvermeidlichen Körben im Nacken, die an einem Bande über den Vorderkopf getragen werden. Viele Männer waren mit Glasperlenhalskragen und Federbüschen geschmückt; Häuptlinge nahten in feierlichem Aufzuge mit ihrem Anhange. Sie ließen einen Theil ihres Reichthums in mächtigen eingestrickten Muschelgeld-Ringen sich nachtragen, um denselben zur Verherrlichung des Tages zur Schau zu stellen. Trompeter, welche großen Tritonshörnern dumpfe, klagende Töne entlockten, eröffneten den Zug; Bewaffnete beschlossen denselben. Im Trauerhause herrschte bereits Leben; in langen Reihen saßen die Weiber für sich und aßen Betel, ohne welchen keine Zusammenkunft denkbar ist. Der Platz selbst war festlich geschmückt, wobei sich wiederum der natürliche decorative Geschmack dieser Eingeborenen vortheilhaft bekundete. Der Verstorbene selbst war im höchsten Schmucke zur Parade, und zwar in sitzender Stellung, ausgestellt, wie dies mein nach der Natur gezeichnetes Bild am besten zeigt, dem die zum besseren Verständnisse so nöthigen Farben im Holzschnitte allerdings fehlen (vergl. S. 697). Man wolle sich dieselben nach der folgenden Beschreibung dazu denken: Ein breiter weißer Streif bedeckt Brust und Unterleib des Todten, seine Stirn eine rothe mit Muschelgeld und an den Seiten mit gelben Haubenfedern vom Kakadu verzierte Binde. Was unter derselben noch frei bleibt, ist blau bemalt, unten von weißen Strichen begrenzt. Ein gleicher, aber rother Streifen ziert den Nasenrücken, während die Backen eine weiße rechtwinkelige Zeichnung tragen. Der Bart, welcher mit stutzerhafter Eitelkeit gepflegt wird, hat diese Sorgfalt auch beim Todten erfahren und ist weiß bepudert. Der Mund, dessen Lippen mit Betel roth gefärbt sind, hält eine lange Thonpfeife, wie sie dem Lebenden lieb und werth war, auf dem Kopfe aber prangt eine weiße Federkrone aus Schwanzfedern des Kakadu, die in einem hohen Aufbau aus bunten Papageien- und anderen Federn endet. Um die Arme trägt der todte Häuptling breite weiße, kostbare Ringe aus Riesenmuscheln, die ihm in’s Grab folgen müssen, da sie so fest in’s Fleisch eingewachsen sind, daß sie sich nicht mehr abstreifen lassen. Die Rechte hält die Lieblingsstreitaxt, die Linke einen Prachtspeer mit reichem buntem Federschmucke in geschmackvollem Muster. Auf dem Schooße des Todten aber liegt ein Spiegel; seine Beine endlich sind am Fesselgelenk roth bemalt, und an diesen selbst mit Bändern von Muschelgeld umflochten.

Der Todte sitzt unter einer Art Baldachin, welchem eingerammte Speere, mit Menschenknochen verziert, als Stützen dienen, an welchen Stücke buntgemusterten Baumwollenzeuges befestigt sind. Zu den beiden Seiten dieses Baldachins sind, zum Theil durch Prachtruder gestützt, die nur bei solchen Gelegenheiten in Gebrauch kommen, die gewaltigen Ringe Muschelgeld aufgestellt, von denen ich an dreißig zählte. Sie waren zum großen Theil Eigenthum des Verstorbenen oder sind von anderen Häuptlingen hergeliehen. An jeder Seite des entschlafenen Königs sitzt ein junges Mädchen, ein Büschel buntfarbiger Blätter in der Hand, mit welchem es die Fliegen verscheucht.

Man erkennt die niedlichen Geschöpfe kaum wieder; denn sie sind heut in der landesüblichen Trauerfarbe: in Schwarz – zwar nicht gekleidet, aber angestrichen; das Gesicht glänzt, gleich Stiefelwichse, und der übrige Körper zeigt einen matteren Ton; die Jungfrauen ähneln in diesem Schwarz mehr kleinen Teufeln als Menschen. Weiber kommen noch immer truppweis daher, lassen sich vor dem einst gewaltigen Todten nieder und stimmen ihr Klaggeheul an, wobei sie den Augen Thränen zu entlocken versuchen. Hat dies eine kurze Zeit gewährt, so machen sie Anderen Platz; sie setzen sich unter die übrigen Weiber und empfangen als nächste Belohnung Betelnüsse, Pfefferblätter und pulverisirten Kalk als Vorspiel der späteren großen Mahlzeit. Aber nicht diese ist es, auf welche die Menge jetzt sehnsuchtsvoll harrt und die sie erst durch Gesänge gleichsam erwerben muß, sondern etwas ganz Anderes hält die Aufmerksamkeit gespannt.

Nachdem nämlich Alles versammelt und sich gruppenweis, nach den Geschlechtern getrennt, niedergesetzt hat, fängt das eigentliche Todtenopfer an: Zwei große Ringe Muschelgeld werden herbeigeschleppt und ihrer Hülle entkleidet; dieses Geld wird nun an die Anwesenden nach Rang und Würde vertheilt. Häuptlinge und Große erhalten natürlich das meiste, ein bis zwei klafterlange Stränge, aber Keiner geht leer aus, und selbst der ärmste Knabe bekommt mindestens ein Stück so lang wie von der Fingerspitze bis zum Handgelenk. Mit dieser Geldvertheilung ist zunächst die Hauptfeier beendet, die Menge geht in derselben Ordnung, in welcher sie kam, wieder nach Hause, um sich am Nachmittage abermals im Trauerhause zum eigentlichen Begräbnisse zu versammeln.

Schon in der Nacht hat man Vorkehrungen getroffen und in der Eile eine neue mit grünen Palmblattmatten gedeckte Hütte errichtet, wie dieselbe der Hintergrund meines Bildes zeigt. Diese Hütte, welche die Ruhestätte überdacht, ist sinnig geschmückt. Die beiden runden Giebelspitzen sind mit buntbemalten Cocosnüssen und Blättern verziert, und von ihnen führen bis zur Mitte der Firste weiße flaumige Schnüre herab, die wie Schwanenhälse aussehen und in der That mit weißen Daunen von Hühnern umsponnen sind. An diesen Schnüren hängen die beiden unglücklichen Opfer eines so hohen Festes, zwei lebende Hühner, die – ich muß es zur Schande der Eingeborenen leider gestehen – hier hängen bleiben, bis sie elendiglich verschmachten. Es ist dies übrigens die einzige Thierquälerei, welche mir bei diesem Volke begegnet ist. An der Hütte selbst sind schlanke Bambus mit den zarten Blattwedeln befestigt, an diese wiederum zum Theil künstlich gezackte und verzierte Blätter.

Der Todte wird nun in dauerhafte Matten aus dem zähen Baste oder aus der Borke der Betelpalme gewickelt, und alle seine Verwandten und Freunde geben ihm etwas mit auf den Weg. Da fliegen längere und kürzere Stücke aufgereihtes Muschelgeld, Tabak, Betelnüsse, Kupferhütchen, Streichhölzer, Pulver, Glasperlen, selbst Messer und Beile mit unter die Leichenhülle, während dieselbe noch eingeschnürt wird, und ich habe selbst bei geringerem Range des Verstorbenen den Werth der mit in’s Grab versenkten Waaren auf sechszig bis achtzig Mark veranschlagt. Irgend eine andere Bedeutung als den einer letzten Liebesgabe an den Verstorbenen haben diese Geschenke nicht; denn der Glaube an irgend eine Fortdauer nach dem Tode, welche die Mitgabe nützlicher Gegenstände als nothwendig erscheinen lassen könnte, ist den Neu-Britanniern nicht eigen.

Inzwischen haben vorzugsweise die Weiber in der Todtenhütte ein schmales, kaum zwei Fuß tiefes Grab ausgekratzt und

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 699. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_699.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2023)