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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Entschuldigung, wenn ich irgendwie indiscret gefragt habe. Ich war mir dessen nicht bewußt.“

Auguste legte die Arme in einander und lehnte sich mit dem Rücken ungenirt gegen die Wand.

„Sie müssen sich über so etwas nicht wundern,“ sagte sie trocken. „Meine Schwester würde eher sich selbst rühmen, als ihre Freunde.“

„Ein feiner Zug!“ sagte Arndt mit lebhafter Ungezwungenheit und fragte dann, plötzlich in einen gleichgültigeren Unterhaltungston übergehend, ob denn auch Fräulein Auguste selbst mit der jetzigen Frau Professor Brandenburg befreundet sei.

„Etwas,“ antwortete die Malerin, und der kleine satirische Lachteufel, welchen Arndt schon an ihr kannte, sprühte wieder einmal aus ihren Augen.

Er bemerkte ihn auch diesmal wohl und fixirte sie einen Augenblick scharf.

Sein Blick schien sie zu amüsiren; denn sie schwieg eine Weile hartnäckig.

„Sie wundern sich schon wieder,“ sagte sie dann gelassen. „Ich bin eben der Schatten meiner Schwester. Haben Sie das noch nicht bemerkt? – Alles, was sie sehr ist – bin ich folglich nur etwas.“

„Dann müßte sich nach den Gesetzen der Logik das Verhältniß auch umkehren lassen – Ihr Fräulein Schwester also sehr paradox sein – und daran glaube ich, offen gestanden, nicht. Das möchte ich eher ....“

„Das möchten Sie eher mir zuschreiben?“

„Ich muß Ihrem Scharfsinn einräumen, daß Sie richtig gerathen haben,“ war Arndt’s belustigte Antwort. „Aber jetzt sollten Sie Ihr Versprechen erfüllen und mir auch Einiges von Ihren eigenen Malereien zeigen – ich bitte darum, mein gnädiges Fräulein.“

„O gern, außerordentlich gern!“ sagte Auguste und führte in gewisser Reihenfolge ihre während dieses Sommers entworfenen, theils noch sehr unfertigen landschaftlichen Oelskizzen vor, welche Arndt genau so anziehend und genau so barock wie die Künstlerin selbst fand.

Diese war mit eigenthümlichem Lächeln seiner Betrachtung und seinen Aeußerungen gefolgt. Plötzlich sagte sie ohne jeden scheinbaren Zusammenhang:

„Sie interessiren sich also auch für Curt’s Mutter?“

„Gewiß; wen der Knabe interessirt, dem kann natürlich die Mutter nicht gleichgültig sein. Ich wußte übrigens bisher nicht, daß die jetzige Frau Professor Brandenburg nur die Stiefmutter Curt’s ist.“

„Mir scheint, daß sie das nur interessanter macht,“ bemerkte Auguste. „Man findet es sonst schon erstaunenswerth, wenn Frauen überhaupt einen Charakter haben,“ fuhr sie dann halb ernsthaft, halb ironisch fort; „aber wenn sie einen solchen Charakter haben, wie Henriette Brandenburg, und nicht emancipirt sind – nun, dann ist es wirklich ein Wunder. Meine Schwester würde für Frau Brandenburg durch’s Feuer gehen.“

„Und Sie?“

„Ich – natürlich auch; ich bin ja ihr Schatten, wie Sie wissen.“

Arndt sah die sonderbare Sprecherin prüfend an.

„Warum zeigen Sie für gewöhnlich so viel weniger Gefühl, als Sie besitzen?“ fragte er lächelnd.

„Aus Bequemlichkeit!“ war die schlagfertige Antwort.

„Eine Maske denke ich mir unter allen Umständen unbequem.“

Auguste räusperte sich.

„In der Architektur maskirt man auch,“ meinte sie und streifte Arndt’s Gesicht mit einem anscheinend ganz unschuldigen Blick.

Was war das? Bildete sich dieses originelle, alte Mädchen ein, er habe mehr, als ein allgemeines Interesse ....?

Er sah mit einem Aufblitzen selbstbewußter Sicherheit zu ihr hinüber und nahm dann gewandt den hingeworfenen Scherz auf.

Man?“ sagte er, „ja, mein gnädigstes Fräulein, man ist allerdings der ärgste Sünder auf der Welt. Und ich habe gar nichts dagegen, wenn ihm auch in der Architektur die infamste Charlatanerie aufgepackt wird.“ –

In diesem Augenblick erklang Curt’s Stimme auf dem angrenzenden Flur, und gleich darauf trat er in Begleitung seiner Mutter in’s Zimmer.

Seltsam – Henriette Brandenburg war jünger geworden. Ihr Gesicht hatte etwas lebhaftere Farben und ihr Auge einen erhöhten Glanz angenommen. Und was auch der Knabe behauptet hatte, sie erschien weniger ernst, als früher.

Das sah und empfand Arndt auf den ersten Blick, indem er alles Zufällige des erwartungsvollen Momentes, in welchem sie das Bild ihres Kindes sehen sollte, von dem Wesentlichen streng unterschied.

Als er ihr vorgestellt wurde, erröthete sie leicht, reichte ihm aber mit ebenso viel Anmuth wie Sicherheit die Hand.

„Mein Sohn hat mir von Ihnen erzählt,“ sagte sie; „ich kenne Sie seit Jahren und schulde Ihnen noch einen herzlichen Dank für den zurückbeförderten Ball!“

„Mein Sohn“ – wie eigenthümlich ... rührend dieses Wort von ihren Lippen klang; sie sah eben so unendlich viel jünger aus, als sie war.

„Man hat selten das Glück, für einen so leichten Dienst einen Dank zu erwerben,“ antwortete Arndt lebhaft.

„Vielleicht, weil man die kleinen Dienste meistens allzu gering anschlägt und deshalb unterläßt. – Man bedenkt nicht, welche Freude man oft mit Wenigem machen kann,“ bemerkte sie unbefangen und warm.

Dann trat sie vor die Staffelei, welcher schon beim Eintreten in’s Zimmer ihr erster Blick gegolten hatte, und Arndt nahm dabei wieder in ihren Bewegungen dieselbe ruhige Leichtigkeit und sanfte Energie wahr, welche er schon früher bewundert hatte.

Willig trat er einige Schritte seitwärts und verlor sich, während sie das Portrait betrachtete, in den Anblick ihrer Erscheinung.

„Adelheid! mit nichts aus der Welt hättest Du mich glücklicher machen können, als mit diesem Portrait Curt’s,“ sagte sie nach längerer Zeit eifriger Betrachtung.

„Also findest Du es gut?“ fragte die Malerin mit Lebhaftigkeit, und ihre dunklen Augen hingen unbeweglich an Henriettens Gesicht.

Diese war wirklich wie verklärt in schwärmerischer Freude. Immer von Neuem schaute sie förmlich in das Bild hinein.

„Ja, das sind seine Augen – gerade so wendet er den Kopf, wenn er fragt,“ sagte sie wieder nach einer Weile und sah sich gleich darauf im Zimmer um.

„Er ist fortgelaufen, nachdem er Herrn Arndt die genügende Zeit angestarrt hatte,“ erklärte Auguste; „sein Freund Putbrese ging vorbei.“

Da kehrte Frau Professor Brandenburg sich sofort wieder dem Bilde zu:

„Und wie Du das zerstreute Lächeln hast über das bewegte Gesicht zaubern können – ich fasse es nicht. – Und dann das Näschen – lacht nicht über seine häßliche kleine Nase! – es ist, als sähe man ihre durchsichtigen Flügel in kindischer Leidenschaft zittern. – Aber die Augen! Wenn Du wüßtest, Adelheid, wie wunderbar gut sie sind!“

„Vielleicht weiß sie es!“ meinte Auguste.

Henriette lächelte.

„Nein,“ sagte sie gedankenvoll, „ich glaube nicht, Auguste, daß sie es so durchaus weiß. Dann würde mehr Absicht und weniger Unmittelbares in dem Bilde liegen.“

„Da hast Du ganz Recht, Henriette; das Beste wird einem erst klar, wenn es heraus ist – wenigstens mir!“ bestätigte Adelheid mit ausdrucksvoller Hast.

„Natürlich hat sie Recht,“ sagte Auguste, die wieder mit verschränkten Armen im Hintergrunde des Zimmers stand. Dann wandte sie sich an Arndt und fragte: „Was sagen Sie dazu, Herr Architekt? Ich hoffe, Sie stehen nicht über den Parteien?“

„Nein mein gnädiges Fräulein, in dieser Region der kalten Langeweile halte ich mich selten auf, muß Ihnen aber gestehen, daß ich mit der Majorität für die unbewußte Intuition des Künstlers stimme.“

„Dann bin ich wieder einmal die Einzige, die kein Verständniß für das Wirken des Genius hat,“ antwortete Auguste mit launigem Achselzucken.

„Ach, Adelheid! – verzeihen Sie, Herr Architekt! – Aber sobald kann ich mich nicht von diesem Bilde trennen,“ rief

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 695. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_695.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2023)