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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

der Voraussetzung, daß der Zeichner jeden Strich correct gezeichnet und daß der Holzschneider ebenso correct geschnitten hat, giebt es demnach keine Reproductionsweise, welche das Original so genau wiedergiebt, wie der Holzschnitt; denn selbst, wenn der Künstler eine eigenhändige Radirung liefert, die also ein Originalbild ist, spielt der Zufall bei dem Aetzen immer noch eine nicht leicht zu berechnende Rolle. Der Kupferstecher aber, der ein Gemälde oder eine Zeichnung eines anderen Künstlers wiedergiebt, ist in derselben Lage wie ein Uebersetzer, der ein Original aus einer anderen Sprache überträgt. Mag die Uebersetzung noch so vortrefflich, mag der Uebersetzer sogar in der Behandlung der Sprache dem Verfasser überlegen sein, sodaß die Uebersetzung wirkliche Vorzüge vor dem Originale hat, so bleibt sie doch immer ein fremdes Werk. Ebenso geht es dem Stecher: ist sein Werk auch ein an und für sich bewundernswerthes Kunsterzeugniß, es bleibt doch nicht das eigene Werk des Schöpfers des Originals.

Ohne „Zurichtung“ gedruckt.   Mit „Zurichtung“ gedruckt.
Thüringer Mädchen.0 Oelgemälde von K. Ziermann.
Nach einer Photographie im Verlag von Löscher und Petsch in Berlin auf Holz übertragen.

In dem Obenerwähnten hatten wir nur den Holzschnitt vor Augen, wie er seinem Wesen nach sein sollte, wie er auch in den Meisterwerken Albrecht Dürer’s, Hans Holbein’s des Jüngeren und anderer Künstler des sechszehnten Jahrhunderts war (was auch zu der Annahme führte, daß der Zeichner zugleich der Holzschneider gewesen) und wie er sich heute noch mitunter findet. Es gehören jedoch hierzu einerseits Meister, die jeden Strich so zeichnen, wie er im Schnitt stehen muß, die also mit der Technik des Holzschnitts vollständig vertraut sein müssen, andererseits aber auch Holzschneider, die selbstlos ganz in dem Künstler aufgehen, nicht im Geringsten von der vorgezeichneten Linie abweichen, derselben in allen Anschwellungen und Abschwächungen auf das Genaueste folgen und die Zeichnung nicht nur als „schätzenswerthes Material“ betrachten, welches sie je nach ihrer technischen Begabung in der ihnen am besten convenirenden Weise benutzen können.

Die neuere Praxis sowohl der Künstler wie der Xylographen, und die an Umfang enormen Aufgaben die heute dem Holzschnitt gestellt werden, haben jedoch eine andere Arbeitsweise nöthig gemacht, durch welche wir zwar oft bewundernswerthe Holzschnitte erhalten, aber – wie beim Kupferstich – Uebersetzungen, nicht Originale.

Selten nämlich arbeitet heute der Künstler noch in der oben angedeuteten Weise, vielmehr liefert er sehr oft die Zeichnung auf Papier und überläßt entweder einem anderen Zeichner oder dem Holzschneider die Uebertragung auf Holz: wenn er aber selbst auf Holz zeichnet, so arbeitet er gewöhnlich nur einige Haupttheile mit Bleistift genau aus und behandelt das Uebrige als Tuschezeichnung, giebt nur die Töne durch Wischen an, setzt diese auch mitunter mit weißen Lichtern auf und überläßt die Durcharbeitung in Linien dem Holzschneider, der dann, wenn er gute Technik mit Geschmack verbindet, oft in der Lage ist, aus einer leicht hingeworfenen, sogar aus einer mittelmäßigen Skizze ein gutes Bild zu schaffen, andererseits aber auch eine geistreiche Zeichnung leicht verderben kann. Oft wird auch dem Holzschneider als Vorlage nur eine auf Holz übertragene Photographie geliefert.

Diese freiere Behandlung des Holzschnitts verdanken wir einem Lande, das zu der Zeit, wo Deutschland, Frankreich und Italien schon Meisterwerke der Typographie und der Xylographie in großer Zahl geliefert hatten, in diesen Künsten sich noch auf einer sehr niedrigen Stufe befand. Erst als gegen den Schluß

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 689. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_689.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)