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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

wurde. Vorher war der stark zerklüftete Boden durch Bohren und Sprengung bis zum gewachsenen Fels abgeräumt worden, und in diesen Fels hinein arbeitete man nun den Stahlbohrer an wuchtiger Stange, welche sodann als Hauptstütze fest eingegossen wurde.

Die Montirung des Kreuzes, eine halsbrechende, schwindelerregende Arbeit, besorgten mit gewohnter Bravour Babenstuber und Schweiger in München unter Assistenz von Max Krieger und einiger Freunde und Träger, und so war um halb zwölf Uhr das Kreuz fertig; es wurde mit einem Blitzableiter neuer Construction versehen, einem Geschenk und der eigenen Erfindung des Locomotiven- und Maschinenfabrikbesitzers Kernaul in München.

Unsere Illustration zeigt den Moment, wo die beiden genannten Herren das letzte Kreuztheil aufsetzen. Nun wurde von Max Krieger, der auf unserem Bilde links die Leiter hält, die Urkunde im Kreuz verschlossen, während die Leitungsdrähte des Blitzableiters von einigen Trägern möglichst tief in’s Höllenthal gelegt wurden. Als Vorstand der ganzen Expedition brachte Max Krieger alsdann noch ein begeistertes Hoch auf den Landesvater aus, der, wie im Eingange bemerkt, gerade zu jener Stunde sein Geburts- und Namensfest inmitten seiner geliebten Berge und seines treuen Volkes feierte. Dann begann wieder der Abstieg, und als die kleine Truppe auf dem Westgipfel mit den Uebrigen auf’s Neue vereinigt war, da ertönten begeisterte Hochrufe auf den deutschen Kaiser und seine Getreuen. Weiter beabsichtigte Ovationen mußten unterbleiben, da die vorgeschrittene Zeit und ein schneidend kalter Wind zum Aufbruch zwangen, der denn auch ohne Schwierigkeiten zur Knorrhütte hinab stattfand, wo die eigentlich auf der Spitze projectirte bengalische Beleuchtung vor sich ging.

Anderen Tages fanden Alle sich froh und munter zu Thal wieder zusammen, um theils weitere Hochgebirgstouren zu unternehmen, theils dem geliebten München zuzueilen.

Zum Schlusse sei hier noch der Spruch mitgetheilt, der mit der Urkunde in der Metallkugel des Kreuzes eingeschlossen worden. Er lautet:

„Möge dieses Kreuz den ihm nun auf des Landes höchster Zinne angewiesenen Platz behaupten bis in ferne Zeiten, möge es, wie schon sein Stifter wünschte: als ein Friedensstern noch den spätesten Geschlechtern herableuchten durch die Stürme der Zeit und sie zu jener brüderlichen Liebe, Eintracht und Treue ermuntern, die allein die Völker stark und glücklich macht!

Und so lange es da oben steht auf der Grenzscheide zwischen zwei mächtigen Reichen, möge es Deutschlands und Oesterreichs Herrscher und Völker immer einig sehen, wie in unseren Tagen, als ein Unterpfand des Friedens!

Aber auch der Einzelne, der da heraufsteigt, Gottes Herrlichkeit zu bewundern, er finde an dieser erhabenen Stätte den Frieden in seinem Herzen und Gefühle des Dankes gegen den Schöpfer all des Wunderbaren! Dem Berge mögen Unglücksfälle immerdar ferne bleiben! 0 Das walte Gott!“

Michael Sachs.     


Die höchsten Bauwerke und Denkmäler der Welt.

Zu einer raschen Wanderung durch die Jahrtausende, durch Völker und Länder laden wir heute unsere Leser ein. In dem „versteinerten Reiche der Töne“, wie man treffend die Baukunst benannte, unter den Ruhmesdenkmälern verschiedenster Geschlechter, unter den Gräbern der Könige und Helden, unter Tempeln, Kirchen und Palästen und unter den Brücken und Viaducten, welche dem rastlosen Verkehre dienen, wollen wir Umschau halten. Nicht ihre Schönheit und Pracht soll uns dabei fesseln; nicht nach ihrer Bestimmung und ihrem Nutzen wollen wir fragen – einzig und allein nach dem Riesenhaften ihrer Höhe werden wir forschen.

Wie alt ist das Bestreben der Sterblichen, in ihrem Thun und Handeln die stolzen Gebilde der ewigen Natur nachzuahmen? Wie alt ist die Sehnsucht, Werke zu schaffen, die den schlanken Wuchs der königlichen Bäume des Waldes übertreffen, oder in ihrem gewaltigen Aufbau den Riesenhäuptern der Berge gleichen? Im grauen Nebel der menschlichen Ursagen verlieren sich die ersten Nachrichten von jenem himmelstürmenden Drange; so erzählt uns die biblische Legende von dem Thurme zu Babel; so singt der Griechen poetische Götterlehre von jenen Titanen, welche Berge auf einander thürmten, um den strahlenden Olymp zu erobern. Und aus grauem Nebel, aus dem Nebel der Geschichte tauchen uns auch die ersten Riesenbauten entgegen, an denen wir heute verweilen wollen, die Pyramiden, deren Namen, von dem altägyptischen pi-rama (Berg) abgeleitet, auf den Wettstreit deutet, welchen schon frühzeitig die schwache Menschenhand mit der Schöpferin Natur unternahm.

Die gewaltigsten unter ihnen, die Cheops- und die Chefren-Pyramide, erbaut um die Jahre 3730 und 3660 v. Chr., waren Jahrtausende hindurch die höchsten Bauten der Welt und zeugen bis heute am heiligen Nilstrande von der menschlichen Größe, aber auch von der menschlichen Vergänglichkeit; denn sonderbarer Weise waren diese Riesenbauten nicht den Göttern geweiht, wie unsere höchsten Kirchen, nicht für die Wohnung der Mächtigen der Erde bestimmt – Gräber der Pharaonen sind diese von uns bewunderten Pyramiden, und so ist es die Spitze eines Grabhügels, von der wir unsere Wanderung unter den höchsten Wundern des menschlichen Lebens und Schaffens eröffnen.

Gleich den gewaltigen Gipfeln der Berge trotzen sie dem Zahne der Zeit und der Hand der Menschen. Große Völker sahen sie kommen und gehen, andere Wunderbauten neben sich entstehen und in Schutt und Trümmer zerfallen. Sie sahen, wie die Symbole der Beständigkeit, die gewaltigen aus einem Felsblock gehauenen Obelisken vom fernen Gebirge auf den Fluthen des Nils in das ägyptische Thal gebracht und später – ihrer Bedeutung zum Hohn – von ihren uralten Standorten nach allen Gegenden der Welt verschleppt wurden. Ob sich auch Alles wandelte zu ihren Füßen, sie behaupteten doch ihren Stand und ihr Recht, wie der, welcher zu ihrer Entstehung Veranlassung gab, wie der allgewaltige Tod.

Doch verlassen wir die düsteren Denkmäler, und wenden wir uns dem Lande zu, in welchem die Wiege des Menschengeschlechtes gestanden haben soll! In dem märchenumwobenen Indien suchen wir vergebens nach Bauten, die sich in ihrer Höhe mit den Pyramiden messen könnten. Andere Völker, andere Sitten! Folgen wir dem Zuge der gläubigen Pilger nach Dschaggarnath, dem Mekka des Brahmanismus, zu dem großen [[w:Ratha Yatra]Wagenfeste]], welches dort alljährlich im Juni oder Juli abgehalten wird! Fratzenhaft ist das Antlitz des Gottes, welchen hier die Gläubigen auf einem fünfundzwanzig Meter hohen Wagen ein Kilometer weit im Sande umherziehen, wild der Fanatismus, mit welchem sich Manche unter die Räder des Wagens werfen, und wirr der gewaltige, mehrere Stunden im Umfang messende Tempel. Wir finden hier das höchste Bauwerk Indiens, die Pagode von Dschaggarnath, die, einer Bischofsmütze nicht unähnlich, aus dem Gewirr von Säulen und überdeckten Hallen emporragt.

Mit ihr rivalisirt, was die Höhe betrifft, ein anderer asiatischer Bau, der noch wohlerhalten über den Ruinen des alten Delhi trauert. Einst war diese Stadt berühmt durch die Pracht ihrer Paläste, deren einer heute noch auf seinen verfallenen Pforten in persischen Schriftzügen die stolze Inschrift trägt: „Giebt es ein Paradies auf Erden, so ist es hier, so ist es hier, so ist es hier!“ Einst stand in Delhi der berühmte „Pfauenthron“ des Großmoguls aus dichtem Golde, mit Diamanten und anderen Edelsteinen bedeckt, umschattet von zwei Pfauen, deren ausgebreitete Schweife aus Edelsteinen hergestellt waren, und geziert mit einem Papagei, der aus einem einzigen Smaragde geschnitten war – ein Thron, dessen Werth man auf hundertfünfzig Millionen Mark berechnete. Im Jahre 1738 zog der persische Nadir-Schah siegreich in Delhi ein; er raubte den Thron und zerstörte die ganze Stadt; nur ein fünfundsiebenzig Meter hoher Thurm überdauerte den Untergang des stolzen Delhi, und noch heute erregt er durch die Kostbarkeit des Materials und die Schönheit seines Baues die allgemeinste Bewunderung. Es ist dies der Kutab Minar, dessen Errichtung man in den Anfang des dreizehnten Jahrhunderts verlegt und von dem man annimmt, daß er den Thurm einer zerstörten Moschee darstelle.

Doch fremd ist uns diese Welt; wenig verständlich sind uns ihre Sitten und Gebräuche und wenig anziehend ihre Bauten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 662. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_662.jpg&oldid=- (Version vom 12.7.2023)