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verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

kräftige, gebräunte Männergestalten an: Den Rucksack auf dem Rücken, angethan mit der derben Lodenjoppe und kurzen gems- oder hirschledernen Hosen, die Waden von rauhem Wollstrumpf umschlossen, der Knie und Knöchel freiließ, an den Füßen schwergenagelte Bergschuhe, auf dem Kopfe aber ein keckes Hütl mit irgend einer Feder oder einem Blümerl geschmückt – so tauchten sie überall im Thal und auf den Höhen auf; sofort erkannte man, daß diese Gäste des Gebirgs nicht zu den sogenannten Bergfexen gehörten, welche in letzterer Zeit für das Hochgebirge mehr und mehr eine so lächerliche Staffage abgeben. Es waren meist Mitglieder des „Deutsch-österreichischen Alpenvereins“ der Section „München“, die sich hier zusammenfanden, um die Zugspitze zu besteigen und zugleich die Vorarbeiten zur Kreuzerrichtung auf dem Ostgipfel, welche unter Leitung des bewährten Zugspitzführers Praxmaier von Garmisch stattgefunden, zu besichtigen.

Aufrichten des Kreuzes auf dem Ostgipfel der Zugspitze durch Mitglieder des „Deutsch-österreichischen Alpenvereins“ (Section „München“).
Portraitzeichnung von Michael Sachs.

Bei denkbarst ungünstiger Witterung wurde die Expedition zur Aufrichtung des Kreuzes am 24. August unter Max Krieger’s Führung unternommen. Um halb neun Uhr Morgens brach man von Garmisch auf, nachdem die einzelnen Theile des Kreuzes, in neunzehn Stücke zerlegt, an die Träger vertheilt worden waren. Nach einem kurzen Halt in Partenkirchen, wo vom Bürgermeister und Pfarrer dem Unternehmen Glück gewünscht wurde, zog die Karawane rüstig dem Forsthause Vorder-Graseck zu, um dort eine einstündige Rast zu halten. Punkt zwölf Uhr war Aufbruch. Die Expedition zählte einundzwanzig Touristen, meist Mitglieder des Alpenvereins und des Turner-Alpenkränzchens Münchens (darunter zwei junge Damen), sieben Führer und fünfzehn Träger. Steil hinab führte wieder der Steig fast so tief, als man vorher aufwärts gestiegen, und dann immer an der Partnach entlang, dieselbe dreimal überschreitend, nach Einmündung der Bodenlahn in dieselbe steil aufwärts durch den Stuibenwald, um an der großartig schönen hinteren Klamm vorbei nach zweieinhalbstündigem Marsche die sogenannte Bockhütte zu erreichen. An der „Blauen-Gumpen-Hütte“ vorbei, gelangte man zur Angerhütte und endlich gegen dreiviertel sieben Uhr zur Knorrhütte, die von der müden Wanderschaar jauchzend begrüßt wurde.

Nun ging’s an’s Kochen und Braten; frisches Fleisch und Conserven, Eier, Butter, Milch, Käse, Brod, Alles war ja in Ueberfluß vorhanden, desgleichen Bier, Wein und andere Spirituosen. Unter Tanz und Gesang verging rasch die Zeit, und dann wurde noch die von Herrn Krieger verfaßte neue Urkunde, welche kalligraphisch prachtvoll ausgeführt war, verlesen, darauf aber, mit den Unterschriften der Anwesenden versehen, in eine Blechbüchse versiegelt, um später im Kreuze eingeschlossen zu werden.

Das Nachtlager ließ allerdings viel zu wünschen übrig; denn Viele mußten auf Bänken und Tischen oder auf dem Boden liegen. Ein eisiger Wind umstürmte die Hütte, und als man Morgens in’s Freie trat, lag tiefer Neuschnee. Schon gab es traurige Gesichter, und Mancher bezweifelte, ob man der Aufgabe heute noch gerecht werden könne. Doch um sechs Uhr hellte es sich immer mehr auf, und um halb sieben Uhr wurde aufgebrochen; mühevoll ging es durch den über einen Fuß tiefen Schnee vorwärts; nach einer halben Stunde waren wir im weißen Thale und hatten nach abermals einer halben Stunde den großen Schneeferner erreicht, um unter prachtvollen Aussichtsmomenten nach weiteren dreiviertel Stunden den sogenannten Kamin anzusteigen. Da jetzt der schwierigste Theil des Weges begann, wurde eine kleine Rast gehalten. Bewundernswerth war die Sicherheit der Führer und Träger, die mit ihren mitunter sechszig Pfund schweren Lasten leicht und sicher die schwierigsten Felswände erklommen. In einer Viertelstunde war die „Nase“ erreicht, ein vorspringender Felsen, der mit Hülfe eines eingenieteten Drahtseils umstiegen werden mußte. Nun hatte man den Grat erklommen, in scheinbar senkrechter Tiefe unter sich den Eibsee, Badersee, Ober- und Untergrainau etc., alles wie eine bunte Landkarte ausgebreitet. Einstündiges, nur Schwindelfreien mögliches Steigen führte zum früheren Standpunkte des Kreuzes, dem Westgipfel der Zugspitze, wo der größere Theil der Gesellschaft theils aus Erschöpfung, theils aber auch, weil auf dem Ostgipfel kaum Platz für die mit der Kreuzaufrichtung Beschäftigten war, zurückblieb und sich zu längerer hochwillkommener Rast niederließ.

Um zehneinviertel Uhr langten die Träger auf dem Ostgipfel an, worauf die einzelnen Theile des Kreuzes sofort ausgepackt, Leitern aufgestellt und mit der Montirung des Kreuzes begonnen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1882, Seite 661. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_661.jpg&oldid=- (Version vom 11.7.2023)