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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Selbsterhaltung brachten das Mitleid für seinen liebsten Gefährten zum Schweigen.

„Falls der Hund die Glieder bricht“ – so sagte sich Bauer – ist ja der sichere Doppelstutzen zur Hand, um den Qualen des Thieres schnell ein Ende zu machen – und dann meinen eigenen.“

Forstwart Kiendel von Vorder-Graseck.
Originalzeichnung von Michael Sachs.

Der treue „Di“ – so hieß der Dackel – flog also, um die schreckliche Probe zu bestehen, hinab in die schauerliche Tiefe, und welche Ermuthigung! – er arbeitete sich unversehrt aus dem zum Glück nicht gefrorenen Lawinenrest heraus, mit verzeihlicher Sehnsucht zu seinem Herrn emporschauend. Der Stutzen flog nach und blieb im Schnee stecken. Leib und Seele Gott vertrauend, wagte nun auch Bauer den gewaltigen Todessprung, um glücklich bei Hund und Gewehr anzulangen.

Ein Rückwärtssteigen war nun absolut unmöglich geworden; denn wo er forschte – nichts als überragende Wände, in den phantastischsten Gestalten steil aufragend. Schier verzweifelnd und sein Wagniß bitter bereuend, lagerte sich Bauer zu kurzer Rast am äußersten Ende des Schneekahrs, schon überlegend, ob er dem langsamen Untergange durch Hunger und Kälte nicht doch noch mittelst eines Schusses zuvorkommen sollte. Gegenüber dem Jammer eines so fürchterlichen Endes hatte der schnelle energische Jägertod fast etwas dämonisch Verlockendes, etwas Süßes, Poetisches. Noch einmal raffte er sich auf, das ganze Kahr absuchend, und kehrte zur Stelle des Sprunges zurück; dort schimmerte tief unten wie ein Rettungsstern der Spiegel des Eibsees – und wahrlich! hier boten sich dem schier Verzweifelnden einige Spalten im Geschröffe, welche, allerdings unter beständiger Lebensgefahr (der Hund befand sich wieder im Rucksack), den Abstieg nach einigen Graslahnen ermöglichten. Mit diesem Blick in das Leben der Natur kehrten auch dem todtmüden Bauer die Lebensgeister zurück. Er stieg rüstig thalab; an den sogenannten Thöreln, einem Schwärzersteig zwischen Baiern und Tirol, sah er die ersten Menschen, welche absolut nicht glauben wollten, daß er aus diesem Teufelsgewänd herabgestiegen. 0, welche Wonne füllte sein Herz beim wiedergewonnenen Anblicke menschlicher Gesichter, beim ersten Klange menschlicher Stimmen! Um vier Uhr traf er in Greinau ein, hoch und theuer sich verschwörend, diese Tour nicht zum zweiten Mal zu unternehmen, und andern Tags fand er sich mit der ganzen Kreuzfahrergesellschaft wohlbehalten in Partenkirchen zusammen. Beim Himmel! Das war ein kühner Spaziergang gewesen, tapferer Jägersmann!

Soweit die Geschichte der ersten Kreuzaufrichtung.

Der Zugspitzgipfel (2980 Meter).
Nach dem Oelgemälde von Michael Sachs.

Seitdem wurde die Zugspitze von vielen Hunderten bestiegen, unter bald mehr, bald weniger schwierigen Verhältnissen. Der An- und Abstieg über Ehrwald und auf der Eibseeseite wurde ebenfalls im Laufe der Zeit durch Sprengungen und Einlassen von Drahtseilen erleichtert, und zeichneten sich bei dieser Gelegenheit besonders die Brüder Bernhard und Franz Johannes, Ersterer der in Partenkirchen lebende weit und breit für Hochgebirgsaufnahmen berühmte Hofphotograph, durch kühnes Steigen aus.

Ein wesentliches Moment in der Geschichte des Berges bildete die unter Kiendel’s Leitung durch Maurermeister Resch von Partenkirchen am Rande des Schneeferner massiv erbaute Knorrhütte, nach Kaufmann Knorr in München also genannt, welcher den größten Theil der Baukosten aus eigenen Mitteln bestritt. Als dieselbe für den stets größer werdenden Verkehr zu klein wurde, ließ die Section „München“ des „Deutsch-österreichischen Alpenvereins“ die Unterkunftshütte bedeutend vergrößern, und jetzt findet man daselbst allen Comfort und alle Hülfsmittel, wie sie diese Schutzhäuser zu bieten pflegen.

Diese erleichterten Verkehrsmittel hoben natürlich die Frequenz auf der Zugspitze wesentlich. Auf wie viele rüstige Bergsteiger hat das Kreuz von 1851 inzwischen freundlich herabgewinkt! Aber das sinnige Wahrzeichen auf dem höchsten Gipfel des deutschen Reichs war inzwischen ein Invalide geworden: es wurde morsch und schwach, während unser deutsches Reich erst erstand und zu glorreicher Macht heranwuchs. Trotz mehrfacher Reparaturen war durch Blitzschläge (wie viele geschmolzene Kupferkügelchen und andere Anzeichen beweisen) sehr baufällig geworden. Auch der Boden, auf welchem es stand, war durch Blitzschlag, mehr aber noch durch den jähen Wechsel der Temperatur und die da durch entstandene Eissprengung derartig brüchig geworden, daß ein längeres Belassen des Kreuzes daselbst gefährlich erscheinen mußte. Mehrfache Vorstellungen um Abhülfe fanden bei der Section, zu deren speciellem Wirkungsgebiet die Zugspitze gehörte, nicht den Anklang, den einige für die Sache hochbegeisterte Mitglieder gewünscht hätten, und eines der eifrigsten derselben, Magistratsrath Krieger, beschloß daher nebst einigen Freunden, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Der Opferwilligkeit dieser Männer gelang es, durchzusetzen, daß das Kreuz vollständig reparirt, Kuppel und Strahlen aber schwer vergoldet wurden und daß seine Aufstellung auf dem Ostgipfel der Zugspitze beschlossen ward.

Mitte August dieses Jahres nun wurden die letzten Vorbereitungen zur Kreuzerrichtung getroffen. Allmählich langten in Garmisch, Partenkirchen und am Badersee, einzeln oder in Gruppen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 660. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_660.jpg&oldid=- (Version vom 10.7.2023)