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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

und gebildete Frau fähig sein könne, ein Stiefkind mit völliger Selbstaufopferung und einer frommen, an Andacht grenzenden Scheu zu erziehen.

Der Kleine begleitete ihn noch bis an die Hausthür; dann sagte er sehr entschieden:

„So – weiter nicht! – Sag’ einmal, ist es hübsch in Deinen Stuben?“

„Nicht besonders!“

„Das freut mich wenigstens!“ und damit trollte das eigenthümliche kleine Menschenkind davon.

Dies war auch das Letzte, das Arndt zur Zeit von dem Knaben selbst vernahm, und da er schon vierzehn Tage später in einen fast entgegengesetzten Stadttheil zu seiner Familie zurückkehrte, durfte er sich kaum darüber wundern.




2.

Jahre waren vergangen: ein Tag harter Arbeit hatte den anderen gedrängt und wie eine eherne Kette sich das Leben um die Seele des rastlosen Mannes geschmiedet. Er hatte die aufgebürdete Last, wie bisher, ohne Murren getragen, aber mehr und mehr sich älter gefühlt – älter als er war. –

Nichts von den Dingen der Außenwelt verstimmt so, wie ein trüber Sommertag. Ja, er kann mehr als verstimmen; denn er hat etwas in sich Verfehltes.

So ein Tag war heute. Wohin das Auge sah, ödes, einförmiges Grau! – Unmerkbar war die trübe Nacht in einen trüben Tag übergegangen. Schlaff und ausdruckslos spülte die Ostsee ihre farblosen Fluthen gegen den blassen Strand, und der Himmel hing schwer, wie eine leblose Masse über Meer und Erde. Fröstelnde Mißstimmung ging durch die ganze Natur, in welcher sich nichts regte, als ein leiser naßkalter Morgenwind.

Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – schritt der einsame Wanderer, den sein Weg unmittelbar am Ufer entlang führte, rüstig aus. Wenn er ein Maler war, so hatte er allerdings ein ganz besonderes Recht, sich für wenig begünstigt zu halten und – fern von einem liebevollen Eingehen auf die landschaftliche Umgebung – seinem Aerger in ungeduldiger Hast befreienden Ausdruck zu geben!

Aber nicht jeder einsame Wanderer an der Küste Rügens muß ja durchaus ein Maler sein! Der in aller Frühe hier so eilig Ausschreitende war der Architekt Georg Arndt.

Die brütende Sommerhitze der Residenz hatte ihn nach langen Jahren unausgesetzter Arbeit zum ersten Male wieder auf Urlaub getrieben. Er wollte sich eine bis zwei Wochen lang durch Rügensche Seebäder stärken und dann höher hinauf in den skandinavischen Norden gehn, wohin ihn das besondere Interesse einer Gesellschaft von Berufsgenossen führte, in deren Auftrag er mehrere alte Kirchen Norwegens zu besichtigen hatte.

Ein Freund von weiten Märschen und möglichst großer Unabhängigkeit, hatte er die üblichen Reisegelegenheiten der Insel, als da sind: kleine saubere Raddampfer, primitive Segelboote und noch primitivere Einspänner, unberücksichtigt gelassen, und nun war er auf dem Wege zu dem kleinen Dorfe, in welchem er Quartier nehmen wollte.

Wer ihm begegnet wäre, würde wohl bemerkt haben, daß er, abgesehen von der Zufälligkeit eines trüben Tages, nicht zu den sorglosen Vergnügungsreisenden gehörte. Ueber der selbstbewußten Kühnheit seiner breitgewölbten Stirn lag ein Schatten, älter als die Regenwolken des heutigem Morgens, und das kluge Auge, welches unter derselben aufblitzte, blickte ernst und gedankenvoll.

Trotzdem nahm sich seine Erscheinnug eigenthümlich an dem stillen Strande aus; denn seine energischen Bewegungen standen nicht im Einklang mit dieser sonnenlosen Natur, die gleichsam in mürrischer Trägheit dalag, um den drohenden Regen widerstandslos über sich ergehen zu lassen.

Mittlerweile fielen wirklich die ersten schweren Tropfen und zerplatzten auf der See in großen weißen Blasen, welche die bleierne Eintönigkeit des Wassers wunderlich unterbrachen.

„Endlich!“ sagte Arndt, als hätte er den Regen förmlich ersehnt.

Und kaum hatte er es gesagt, als die lähmende Stille um ihn her in ein ungeheures gleichmäßiges Rauschen überging. Man mochte blicken, wohin man wollte, rechts und links – vor und zurück – man sah nichts als Ströme herabfallenden Regens; es war, als hätte sich die Welt in Wasser aufgelöst und die unerschöpflichen Meere der Höhe ergössen sich in das Meer der Tiefe. Arndt warf sein Plaid um die Schultern, drückte den Hut in die Stirn und marschirte womöglich noch schneller als zuvor.

Plötzlich blieb er stehen und sah um sich: er hatte die Specialkarte der Insel ziemlich genau im Kopfe und wußte, daß kein größerer Ort in der Nähe sein konnte, aber möglicher Weise lag jenseits der Dünenkette ein vereinzelter Bauernhof.

Doch nichts dergleichen war zu erspähen; nur das schwarzgetheerte Dach einer bretternen Badehütte lugte melancholisch über die grauen Sandhügel herüber. Kaum hatte Arndt dasselbe entdeckt, als er seine Schritte landeinwärts lenkte und in die Dünen einbog. Daß die Hütte verschlossen war, machte ihn nur eine Secunde lang stutzig; mit der spitzen Zwinge seines Stockes fuhr er in die Oeffnung des Schlüsselloches, schob den ländlich einfachen Mechanismus zurück und öffnete die Thür, welche er dann von innen wieder hinter sich heranzog.

Wie ein lebendig Begrabener stand er in dem kleinen dunklen Raume, der so niedrig war, daß er in ihm kaum das Haupt aufrecht halten konnte.

Er tappte an den Wänden entlang und stieß nach wenigen Griffen an eine hölzerne Schiebe-Oeffnung, die sogleich zurückflog und ein trübes Dämmerlicht hereinließ. Nun nahm er Hut und Plaid ab und hing diese durchnäßten Gegenstände an der Wand auf; dann trat er an das Fensterchen und sah eine lange Weile hinaus: wann wohl das Schicksal einmal müde wurde, ihn zu verfolgen?

Etwas wie titanischer Trotz zog sich auf seiner Stirn zusammen, während sein lebhaftes Auge verständnißvoll über das traurig-öde Bild flog, das sich ihm durch den engen Rahmen der Oeffnung darbot. Eine halbe Stunde nach der andern verging, und es lag eine seltsame, fast unheimliche Gesetzmäßigkeit in dem langsamen bleischweren Herabfallen des Regens, ob er sich nun rechts in die todte See ergoß, oder zur Linken auf die bereits triefenden Dünen herniederklatschte.

Und alles in Allem hatte diese trübe, ungastliche Landschaft etwas geheimnißvoll Erregendes: ihr Anblick verdichtete alle Gedanken, und die trübe Stimmung, welche daraus erwuchs, störte feindselig jede beunruhigende Saite des Gemüthes auf, um sich trotzdem wie Blei an die Schwungkraft der Seele zu hängen.

(Fortsetzung folgt.)




Heinrich Frauenlob.

Sechshundert Jahre sind es her – da lebte im goldenen Mainz ein Dichter, dessen Liederruhm das ganze Abendland erfüllte. Er hatte sein Leben dem Cultus der Frauenverehrung geweiht, und als sein Schwanenlied verklungen, sein Augenstern auf immer erloschen war, da trugen ihn holde Frauen auf blumenbekränzter Bahre nach dem Kreuzgange im Mainzer Dome, stimmten Trauergesänge an, streuten Rosen und gossen Wein in Fülle auf des todten Dichters Gruft. Es war der große Dichter-Rafael, der gottbegnadete Sangespriester Heinrich Frauenlob, dem diese Todtenfeier galt, eine Huldigung, so sinnig und würdig zugleich, wie eine ähnliche selbst im alten Griechenland nie einem Homeriden zu Theil wurde.

An Leib und Seele schön und rein, ein Fürst im Königreich der Liebe, ein Glaubensheld voll Duldung und Milde, war Frauenlob im Lied und Leben der geborene Preissänger des Ewigweiblichen, lange bevor Schiller’s Mahnung: „Ehret die Frauen!“ erging.

Ueber Herkunft und Schicksal des Meisters waren seither keine näheren Mittheilungen bekannt; nur Vermuthungen gelangten darüber in die Oeffentlichkeit. So meinte ein Geschichtsforscher,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 656. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_656.jpg&oldid=- (Version vom 2.5.2023)