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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


und schon am nächsten Tage beginnt das Steigen. Jene Nacht wird noch heute in ganz Aegypten als „die Nacht des Tropfens“ (leileth en nukta) mit Gesang, Illumination und sonstigen Belustigungen gefeiert, und die „Nilrufer“ verkünden von da an täglich die wachsende Schnelle des steigenden Wassers, zuerst natürlich in Ober- und später in Mittelägypten, aber gegen Ende des Juli schon in Kairo, wo der Strom unaufhaltsam höher und höher steigt, bis er die nöthige Höhe von achtzehn Ellen über seinem gewöhnlichen Niveau erreicht hat, weit über seine Ufer tritt und das Land überschwemmt. Der Anblick von der großen Nilbrücke aus ist alsdann ein gewaltiger, und für den, der ihn zum ersten Male genießt, furchtbar und schreckenerregend. Der Strom, der dann mehr als doppelt so breit ist wie der Rhein bei Köln, wälzt seine dunkelgelben Wogen mit so donnerndem Getöse, daß man meint, es käme aus dem Süden ein ganzes Meer herangestürmt, oder das Mittelmeer habe bereits von Norden her das Delta überfluthet, um mit seinen Wasserbergen Alles zu verschlingen. Und doch ist das, was jedem anderen Lande die entsetzlichste Zerstörung bringen würde, für Aegypten eine Quelle des reichsten Segens; denn durch tausend große und kleine Canäle werden die tobenden Wassermassen überallhin geleitet, und schon nach wenig Wochen ist das ganze Nilthal zu beiden Seiten ein unermeßlicher,[WS 1] spiegelklarer, ruhiger See, aus welchem nur die Städte und Dörfer mit den verbindenden Dämmen hervorragen. Dann beginnt das wunderbare, geheimnißvolle Walten der Gewässer, die den befruchtenden Schlamm absetzen und darauf langsam wieder in ihr gewohntes Bett zurückfließen. Ende October werden schon die höher gelegenen Felder wasserfrei, die tieferen erst Ende November, und die Saaten werden gestreut zu doppelter und oft zu dreifacher Ernte.

Die Wohlfahrt des Landes hängt von der richtigen Leitung und Vertheilung der ungeheuren Wassermassen ab, und die Schleusenwerke und Dämme müssen ununterbrochen und auf das Sorgfältigste überwacht werden, damit sich der Segen nicht in Unheil verwandele. Nur wenige Hauptdämme, namentlich im Delta, brauchten durchstochen zu werden, und die schreckliche Gefahr einer wirklichen, regellosen Ueberschwemmung wäre da - ein Plan, mit dem sich Arabi Pascha, als dem letzten Vertheidigungsmittel gegen den andrängenden Feind, tragen soll, wie man von vielen Seiten behauptet, den er aber schwerlich ausführen wird, weil seine eigene Vernichtung leicht damit verbunden sein könnte. Andere nehmen an, er würde bei einem eventuellen Rückzuge nach Kairo die Umgebung der Stadt meilenweit nach allen Seiten hin unter Wasser setzen lassen, was allerdings ausführbar wäre, um dann in der Stadt selbst, wie auf einer Insel, das Weitere abzuwarten, aber während man sich daheim und fern vom Kriegsschauplatz dergleichen Bilder ausmalt, können dort die eisernen Würfel schon ganz anders gefallen sein.

In dieser letzteren Beziehung bleibt uns nichts übrig, als mit den fatalistischen Mohammedanern zu sagen: „Insch Allah“: „wie Gott will“, und dem „Kismet“, dem vorher bestimmten Schicksal, an das jeder gute Moslem glauben muß, Alles anheim zu stellen.




Der Krieg um die Haube.
Von Stefanie Keyser.
(Schluß.)


Drüben im Rathhaus wüthete die Tanzfreude.

Allen voran übte die Rotmundin die feinen Künste, die sie in Augsburg gelernt hatte. Sie lenkte und renkte und bog sich, glitt sanft und leise mit zerbrochnen Tritten dahin oder schwenzelirte keck einher, wie das Alles zum Gepräng hoffärtiger Frauen gehörte.

Der junge Erzherzog versuchte jeden Tanzschritt einmal mit der hübschen Evastochter: den Hoppelreihen, das Verdrehen und Umbschweifen, das man später Walzer nannte, und er fragte sie jedesmal:

„Wann kommt der Todtentanz?“

„Wenn die Glocke Mitternacht schlägt!“ antwortete sie mit süßer Stimme.

Und auch dieser schöne Augenblick kam und verging.

Der Ferdinandus lag still auf dem Pfühl. Zinken und Hörner tönten; die schellenumhangene Handtrommel rasselte, und er blinzelte durch die Wimpern.

Der Letzten eine beugte sich die Rotmundin zu ihm nieder, und während sie den von Gold und Perlen flimmernden Schleier mit der Gebärde der Klage an ihre Augen führte, flüsterte sie dem still Liegenden zu:

„Ihr seid ein braver Herr gewesen, habt mir armem Weibe geholfen, daß ich nun meinem Eheherrn wieder in alter Lieb und Treu anhängen kann. Deß zum Dank geb ich Euch den Kuß mit auf die weite Reise.“

Sie drückte einen langen Kuß auf das vielbesprochne Schlarpel.

Das Gesicht des Erzherzogs wurde sehr roth, und Herr Rotmund leichenblaß.

Herr Wilhalm war heute großartiger denn je. Er saß den fremden Herren gegenüber auf hohem Pferd, damit sie nicht abermals aus Rand und Band kämen, und er ließ die Elsbeth warten, auf daß er sein Ansehen bei ihr erhöhte und ihr die gute Lehre beibrachte: eine Frau hat nichts von dem Manne zu fordern, sondern alles von seiner Liebe und Gunst geduldig zu erharren.

Und die Elsbeth war eine fleißige Schülerin; sie sah nur schüchtern zu ihm hinüber und maulte nicht, als ein Reigen nach dem andern vorüber ging, und Herr Haller, ohne sich zu rühren, an der Wand stand gleich dem trutzigen Rolandsbild draußen am Rathhaus.

Als aber der Kuß des Todtentanzes abermals drohte, machte er seinen Prüfungen ein Ende, schritt zu ihr hinüber und bot ihr die Hand zum einleitenden Rundgang. Da sich dann der Ringelreihen der Frauen ausschied, den Erzherzog zu umkreisen, führte er die Elsbeth stracks davon in eine der tiefen Fensternischen.

Einen Augenblick standen beide athemlos neben einander.

„Ihr habt Euch des Sturzes entledigt,“ sprach er endlich, auf das Goldnetz zeigend, in dem ihr schönes Haar gefangen lag.

„Ich habe gestern in der Stunde der Gefahr gelobt, den Sturz abzulegen,“ antwortete Elsbeth mit niedergeschlagnen Augen.

„So seid Ihr doch auch wandelbaren Sinnes und habt Euch dem Neuen zugewendet,“ rügte er würdevoll.

Sie schlug die Wimpern zu ihm auf, und jetzt sah er weg; denn wie sie ihn mit ihren zwo Wegwartenäuglein anschaute, da strahlte etwas darin, das drang ihm tiefer in’s Herz als das, was aus den Augen der schönen welschen Frauen ihn angeflimmert hatte.

„Wandelbaren Sinnes?“ fragte sie und schüttelte den Kopf, „nein, nur das Gehäuse wandelt sich, der Kern aber wird allzeit derselbe bleiben. Wir schaffen neue Truhen in das Gemach, aber es wird immer derselbe Linnenschatz darin sein; wir setzen andre Oefen, aber dasselbe Feuer wird darin brennen, und auf der Bank dahinter werden die Kinder sich dieselben Märlein erzählen; wir schmücken uns mit einer neuen Haube, und es sehen Euch dieselben Augen darunter an; wir thun den Goldlatz von uns, und gegen das neue Mieder schlägt dasselbe alte Herz. Ach Wilhalm! Wir können Euch nimmer berücken wie die Frauen aus Venezia, die, unter einer heißen Sonne erblüht, heiß fühlen und berauschen wie die Blüthe des Baumes, daran die gelben Limonien wachsen. Unsre Liebe brennt in einer stillen Flamme, aber wie die ewige Lampe für und für. Hauchet Ihr sie an, so duckt sie sich, als wolle sie verlöschen; dann wieder leuchtet sie sacht weiter, und darum giebt man uns das Lob, daß wir treu sind.“

Da schmolz dahin, was an Geckerei und Firlefanz und beleidigter Manneswürde noch in ihm war. Er war nur noch der frische junge Gesell, der sein Herz klopfen hörte und der mit einer bebenden Stimme fragte:

„Elsbeth, wollen auch wir uns Treue halten?“

Sie drückte die Hände vor das Antlitz.

Wilhalm aber zog sie jubelnd an sein Herz. Ihm war so wohl, als habe er Maienwein getrunken, und er flüsterte übermüthig:

„Nun mußt Du Dich doch herzen lassen auf Befehl; denn Dein Herz ist Festordner geworden und schwingt den weißen Stab mit magischer Gewalt, der Du nimmer zu widerstehen vermagst.“


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: unrrmeßlicher
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 646. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_646.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)