Seite:Die Gartenlaube (1882) 639.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

aus den seinen ziehen, aber er hielt sie fest, als wollte er sie halten für immer, und bald jubelte er: „Mimi, die Lichter unseres Hafens!“

So war sie denn nahezu überstanden, die gefahrvolle Fahrt; nur noch wenige Minuten Geduld – und gottlob ! – das kleine Boot landete; erleichterten Herzens stieg man an’s Land.

„Adieu, Fischer, Ihr habt uns wacker gerudert. Habt Dank, Braver!“

Mimi und Felix wanderten am Ufer entlang; noch strömte der Regen; noch tobte das Gewitter; von Mimi’s Tante und Schwestern war nichts zu sehen; sie hatten sich wohl längst unter Dach und Fach gerettet.

Lächelnd zog die Kleine ihren dünnen Sommershawl um die Schultern, um sich, so gut es ging, in denselben einzuhüllen, aber Felix zog ihren Arm in den seinen und sagte:

„Es war ein böses Abenteuer, Cousinchen, das wir da standhaft mit einander erlebt haben. Mir hat es Lust gemacht, mit der kleinen, muthigen Mimi noch manche Fahrt zu wagen. Sie dürfen die Schwestern getrost ihrer Mattherzigkeit halber verspotten. – Für heute aber verschreibe ich uns Beiden gleich ein warmes Bett und einen heißen Thee; denn das Andenken dieser Stunde wollen wir uns doch durch keinen unpoetischen Schnupfen verkümmern lassen; nicht wahr, kleine Leidensgefährtin?“

Wie eine Träumende kam Mimi auf ihr Zimmer, wo sie die Tante in herzklopfender Angst fand; man überhäufte die glücklich Gerettete mit Fragen, aber Theilnahme wie Neugierde fanden heute keine Befriedigung, Mimi sehnte sich allein zu sein, und da Alle darnach strebten Ruhe zu finden nach den Aufregungen des Tages, so genoß sie dieses Glückes sehr bald.

Groß war Mimi’s Erschöpfung, aber kein Schlaf wollte ihre Augen schließen; halb wachend, halb träumend lag sie da. Noch immer befand sie sich auf dem schwankenden Fahrzeuge; ihr war’s, als ob die Wogen sie hin- und herschaukelten, aber kein Bild der Furcht nahm ihre Seele gefangen; sie fühlte allein das Erschreckende, Beseligende des einen Augenblicks, wo er ihre kleinen nassen Hände wärmend in die seinen schloß.



7.

Und nun geschah mancherlei Ungeahntes; das Erste war, daß Felix sich ein paar Tage Nachurlaub geben ließ und nicht mehr daran dachte, vor der Familie Waldenburg abzureisen. Dann erfuhren die eifrig forschenden Damen, daß er, der Schreibeträge, der gern mit Egmont zu sagen pflegte: „Unter vielem Verhaßten ist mir das Schreiben das Verhaßteste,“ einen ganzen Vormittag mit Schreiben zugebracht hatte und daß der Brief, den sie ihn in den Kasten werfen sahen und der an seine Mutter adressirt war, sehr voluminös erschien.

Alle außer Mimi, die wie im Traume umherging und es kaum wagte, Felix anzusehen, waren äußerst gespannt; denn man fühlte, daß irgend etwas in der Luft lag, das Entscheidung bringen sollte, und da Felix in nichts sein Benehmen änderte und der natürlichen Lage nach Bertha’s ständiger Begleiter war, so hob diese siegesgewiß das Haupt.

Aber Alles kam anders: ein paar Tage später saß Mimi allein in der Laube des Gärtchens und recitirte ihre Ferienaufgaben, für die sie, wenn man ehrlich sein will, gar kein Interesse mehr hatte. Die Tante war mit den Schwestern und Felix spazieren gegangen, Mimi hatte zu Hause bleiben müssen; denn endlich war es wohl an der Zeit, sich für die Schule vorzubereiten.

Da trat der junge Officier zu ihr.

„Gut, daß ich Sie allein finde, Mimi! Ich habe mich losgemacht, um ernst und ungestört mit Ihnen zu reden.“

„Mit mir?“

„Ja, sehen Sie mich nur so verwundert an! Ich habe nichts mehr, noch weniger im Sinne, als Sie für alle Zeiten Ihrer Gelehrsamkeit untreu zu machen. Alles hat seine Zeit; ich finde es naturgemäßer, die Schulbücher bei Seite zu legen, wenn die Kinderschuhe ausgezogen sind, und sich in anderen Dingen zu unterrichten die dem Beruf des Weibes näher liegen.“

„Ich verstehe Sie nicht!“

„Nun, sagen Sie einmal aufrichtig: würde es Ihnen nicht mehr Freude machen, in Küche und Keller herumzuhantiren, als wieder auf der Schulbank zu sitzen und höchst unnütze Aufsätze über Gott weiß was für tiefsinnige Themen zu fabriciren?“

„Ja das wohl! Davon aber kann nicht die Rede sein; noch kann Tante mich nicht brauchen.“

„Aber es ist ja nicht absolut nöthig, daß Sie zu dieser Tante gehen; wenn meine Mutter auch nur eine weitläufige Verwandte ist, so würde sie Sie doch mit Vergnügen in ihr Haus aufnehmen, und es ist jedenfalls dankbarer, zu ihr zu gehen, da sie es seit so lange ersehnt, ein junges Mädchen bei sich zu haben! Sehen Sie mich nicht so verwundert an, Mimi! Ich spreche nicht in’s Blaue hinein – da ist ein Brief meiner Mutter, der Sie in optima forma auffordert, nach Waldenburg zu kommen.“

Mit wachsendem Erstaunen las Mimi diesen Brief; er war so lieb, so innig; er sagte, wie die Schreiberin so einsam sei, wie sie mit offenen Armen die junge Verwandte empfangen werde, die ja „ein so holdes, gutes, warmherziges Mädchen“ sein solle.

Ein Erröthen überflog beim Lesen dieser Briefstelle Mimi's Züge. Felix sah sie innig an und sagte:

„Ich habe Sie recht schlecht gemacht – nicht wahr?“

Mimi las weiter.

„Sie sollen in Allem wie eine liebe Tochter gehalten werden,“ schrieb die Baronin, „und um Ihre weitere geistige Ausbildung braucht Ihnen auch nicht bange zu sein. Mir selbst wird es eine Freude sein, gute Bücher mit Ihnen zu lesen.

Nach meinen Begriffen, die vielleicht ein bischen altmodisch sind, gehört freilich zum Leben einer Frau, wie es sein sollte, noch viel mehr, als die sogenannte ‚geistige Ausbildung‘, nämlich: Bescheidwissen im Hause, und haben Sie Lust und Liebe dazu, sich die hierher gehörigen Kenntnisse zu erwerben, so sollen Sie an mir, die ich Hausfrau mit Leib und Seele bin, die mütterlichste Unterweiserin haben.

Nun denken Sie einmal mit der Tante über meinen Vorschlag nach, der, ich will es nur verrathen, von Felix ausgegangen ist, und dann eile ich selbst herbei, mir mein neues Haustöchterchen zu holen.“

„Nun, was denken Sie, Mimi?“ fragte Felix.

„Daß Ihre Mutter die reizendste, liebenswürdigste Frau der Welt sein muß. Wie in aller Welt konnten Sie es wissen, daß ich mich so sehr, so schrecklich trotz aller Pensionsfreundinnen nach einem Familienleben gesehnt habe?“

„Das fühlt man! Die Garantie aber, daß Sie sich glücklich auf Waldenburg fühlen werden, übernehme ich. Ich weiß es, ich werde mein Bäschen vollständig eingebürgert finden, wenn ich zu Weihnachten nach Hause komme.“

In Mimi’s Augen leuchtete es auf.

„Nein,“ sagte sie dann wieder zweifelnd, „es wäre zu schön – die Tante giebt es nicht zu.“

„Das soll meine Sache sein,“ entgegnete Felix, und ein ganzer Schelm sprach aus seinen Augen. „Autorisiren Sie mich, die Erlaubniß zu erwirken? Und soll Mama an Ihnen ein Töchterchen haben?“

Seine Stimme klang ganz harmlos, und doch erröthete Mimi bis in den Nacken, und nicht um die Welt hätte sie anders als durch schweigendes Kopfnicken ihre Zustimmung zu erkennen geben können. – –

Das Erstaunen der Baronin war maßlos, als sie, zurückkehrend, nun ebenfalls einen Brief ihrer Schwägerin erhielt, der dieselbe Bitte aussprach. Was sollte das heißen? Sie begriff es nicht. Auf die Rede des Neffen, die lebhaft schilderte, wie die Mama sich lange nach einer jungen Gesellschaft sehne, entgegnete sie etwas scharf:

„Nun, ich denke, endlich wirst Du Dich doch entschließen zu heirathen; dann hat Deine Mutter eine wirkliche Tochter.“

„Tantchen, ich will eine Wette mit Dir eingehen, daß das in den ersten anderthalb Jahren nicht geschieht.“

Es kochte in der armen, in ihren schönsten Hoffnungen betrogenen Pflegemutter, und selbst ihrer Beherrschung gelang es nicht, den Verdruß, den sie empfand, ganz zu verschweigen.

„Das glaubte ich allerdings nicht annehmen zu müssen. Dein Benehmen berechtigte –“

„Niemanden, zu glauben, daß mein Herz irgendwie und irgendwo gefesselt sei – will ich hoffen,“ fiel Felix mit jenem Zucken der Brauen ein, das deutlich verrieth, daß er in diesem Augenblicke keinen Scherz verstand. „Ich würde die reichen Güter

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 639. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_639.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)