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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


nicht entfernt den Universitätsprofessor vermuthet hätte. Er sah wie ein geborener Edelmann aus und wie einer obenein, der einem alten, erbangesessenen Hause entstammte.

In der That, er liebte auch die Gesellschaft dieser Kreise und wußte es ihnen in ihren Gewohnheiten völlig gleich zu thun. Als er später geadelt wurde, erschien dies Allen wie etwas ganz Selbstverständliches, aber er hörte auch jetzt nicht auf, ein Bürger in des Wortes schönster Bedeutung zu sein. Stets blieb er eingedenk, was gerade er seinem Stande schuldig war, und auch hierin zeigte er sich als ein echter, rechter Edelmann.

Eine Persönlichkeit wie die Langenbeck’s vermag, ohne scheinbar selbstthätig in irgend welche bestehende Verhältnisse einzugreifen, dennoch gar Vieles zu deren Umgestaltung beizutragen. Der Einfluß, den sie unter Umständen im gegebenen Augenblicke ausübt, wirkt beinahe mit der Selbstverständlichkeit eines Naturvorganges. Es ist daher nicht zu viel behauptet, wenn man die bedeutsame Stellung, welche die deutschen Militärärzte innerhalb der großartigen Organisation unserer Armee nunmehr zugewiesen erhielten, dem indirecten Wirken dieser eigenthümlich gearteten Persönlichkeit Langenbeck’s zu einem nicht geringen Theile zuschreibt. Als man einen Mann von solch anerkannter Bedeutung auf den verantwortlichen Posten eines consultirenden Generalarztes der Feldarmeen stellte, da war es wiederum etwas, was sich von selbst verstand, daß man für ihn einen ihm entsprechenden militärischen Rang schaffen mußte. Was weiter noch in der angedeuteten Richtung zu geschehen hatte, erwies sich nur als eine einfache Schlußfolgerung, welche der erste Schritt mit Nothwendigkeit nach sich zog, und so erwuchs denn nach und nach ganz zwanglos die Einreihung des militärärztlichen Personals als Sanitätscorps in den Armeeverband. Die frühere Zwitterstellung war ein- für allemal beseitigt. Was und ob überhaupt Langenbeck zu dieser Umgestaltung beigetragen, entzieht sich gänzlich unserer Beurtheilung. Sicherlich kann aber nicht bezweifelt werden, daß der in seinem Wirken selbst von der höchstentscheidenden Stelle aus anerkannte Mann schon aus diesem Grunde die ganze Organisation wirklich beeinflußt hat. So bethätigte er sich, ohne es doch absichtlich zu wollen, und gewiß erwies sich diese Art der unmittelbar persönlichen Wirksamkeit als eine um so nachhaltigere.

Und wie ein rechter Edelmann es sein soll, blieb er von gewissen häßlichen, weil auf niedrigen Gemüthseigenschaften beruhenden Vorurtheilen vollkommen frei. Es war ein Genuß, mit diesem natürlich-höflichen Manne zu verkehren. Seine wissenschaftliche Bedeutsamkeit, sein ungeheures Können hatte für die mittelmäßigen Söhne dieser Erde nichts Bedrückendes, und gern ließ er auch geringes Verdienst gelten. Freilich mangelte es ihm auch keineswegs an den Waffen einer feinsten Ironie, sobald es galt, gewissen Anmaßlichkeiten zu begegnen. Er verstand meisterlich zu sticheln, und mit seinem scharfen, durch viele Erfahrung gesicherten Gefühle just den empfindlichen Punkt zu treffen. Wurde aber diese Operation ihrem Sinne nach begriffen, dann war’s geschehen und abgethan.

Eine derartige Ausnahmsstellung, wie sie Langenbeck in der universitären und außerfachmännischen Gesellschaft errungen hatte, wiederholt sich so leicht nicht.

Isidor Kastan.     




Der Krieg um die Haube.

Von Stefanie Keyser.
(Fortsetzung.)


Als der zweite Geschlechtertanz gehalten werden sollte, da regte es sich lebhaft in den Frauengemächern; denn mit dem Sturz war von den Geschlechterinnen die unheimliche Gleichgültigkeit gegen ihre Schönheit gewichen. Nun lohnte es die Mühe, sich zu schmücken.

Am geschäftigsten ging es bei der Rotmundin zu. Sie saß am Putztisch. Die Barbaraköchin brachte im silbernen Gießbecken das aus Wein, Schlüsselblumen, Diptamwurzel und Limoniensaft bereitete Schönheitswasser. Auf der blank gebohnten Platte standen Serpentinnäpfchen mit einem feinen Mehl aus Senfkörnern, die Hände damit abzureiben, und daran reihten sich in zierlicher Ordnung Töpfchen voll feiner Schminkfarbe aus Natterwurz und Fläschchen und Büchschen, welche köstliche Wohlgerüche enthielten.

In den zarten Fingern hielt Frau Rotmundin ein Handspieglein, dessen kostbare, aus Elfenbein geschnitzte Fassung die Erstürmung einer von Frauen besetzten Minneburg darstellte, welche mit Rosen beschossen und mit Rosen verteidigt wurde. Sie war fest entschlossen, ihre krausen Augenwimpern nicht von dem Spieglein zu erheben, es habe ihr denn zuvor gesagt, daß sie die Schönste im ganzen Lande sei.

Und siehe! Endlich that das Spieglein den gewünschten Ausspruch. – –

Mit zaghaft klopfendem Herzen stand Elsbeth Imhofin vor ihrer Gewandtruhe. Auch sie hatte den Entschluß gefaßt, heute holdselig zu sein. Die Aufgabe erschien ihr schwer zu lösen; wird sie dieselbige auszuführen vermögen, oder wird sie ihr mißrathen, wie ihr die erste Pastete mißrieth? Auch quälte sie immer die Sorge, daß sie eine Sünde begehe, indem sie den Sinn auf eiteln Putz wende. „Ist die Freude an der Schönheit eine Schwachheit? Darf die Tugend nit auch anmuthig sein?“ sprach sie leise vor sich hin, um die strenge Stimme in sich zur Ruhe zu bringen, die nach dem Sturz verlangte und sie darob schalt, daß ihr das pomesinfarbige Kleid und das nägleinbraune nimmer gut genug erschienen.

Ach nein! Nicht der freundliche Wurzelgräber und nicht der sanfte Maler hatten sie umgestimmt; dem Wilhalm Haller allein zu Liebe wollte sie sich putzen. Und damit konnte sie sich auch vor ihrem Gewissen entschuldigen. Denn auf eine göttliche Anordnung stützte er sich, wenn er es Mannesrecht nannte, sein Weib sich zu erziehen nach seinem Willen, und wenn er nun verlangte, daß sie den Weg zu seinem Herzen durch die Augen nehme, so mußte sie diesen Weg wandeln ohne Widerrede. Es war ja auch noch ein guter Zweck dabei, wenn sie ihn den welschen Teufelinnen abwendig machte.

Und wieder klopfte ihr Herz angstvoll. Sie wußte nicht, was in der Welt eigentlich schön genannt wurde. Nur aus den alten Märchen stammte ihre Weisheit, und da sahen die sieghaftesten Kleider wie Sonne, Mond und Sterne aus. Solche besaß sie freilich nicht. Rathlos und kummervoll kramte sie in ihrer Truhe. Und es ging wie immer: das Beste fand sich zu unterst. Das war ein lichtblauer Rock und darauf lag, wie Sonnenstrahlen auf dem Himmelsgewölbe, ein Netz, aus Goldfäden gewebt. Das hatte sie seiner Wunderlichkeit wegen einst einem Händler aus Venedig abgekauft und nie gedacht, es selbst zu tragen.

Und nun schlug ihr das Herz vor Freude, als sie es ersah. Sie schmückte sich mit dem himmelfarbnen Kleide, und ihr Goldhaar barg sie im Netze. Dann nahm sie den Spiegel zur Hand und schaute zaghaft hinein. Sie legte ihn schnell wieder bei Seite. Ihre Wangen aber färbten sich höher; ihre Augen strahlten, und jubelnd zog durch ihre Seele das Sprüchlein aus dem alten Märchen: Hinter mir Nacht, vor mir Tag! – –

Und ähnlich wie im Rotmundischen und Imhofischen ging es in allen anderen Geschlechterhäusern zu. Die Frauen waren mit Putz und Tand beschäftigt, und die Männer lachten und freuten sich, daß ihre Frauen so hübsch waren in der neuen Tracht.

Nur Eine schmückte sich nicht: die herbe Ursel; nur Einer lachte nicht: der lustige Rath.

Das alte Geschlechterhaus am Panierberg lag in Dunkel gehüllt. Die Herrin hatte seit ihrer Unmacht seine Schwelle nicht überschritten, und der theilnehmende Nachbar war mit kaltem Danke an der Stubenthür abgewiesen worden. Sie konnte sich Niemand zeigen, wie sie unruhig hin und her ging, angstvoll die Hände wand, bei jedem Laut aufhorchend, ob der altbekannte Schritt nicht auf der Treppe erklang.

Die Stunden schlichen hin – er kam nicht.

Nun tönte wieder die Tanzmusik vom Rathhaus herüber. Diese Weisen begleiteten die Späße, mit denen er die Gäste belustigte, er, der Narr, ihr Friedel.

Das Herz drohte ihr zu zerspringen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 634. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_634.jpg&oldid=- (Version vom 1.5.2023)