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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

hat ihn in der Gestalt des Fischtorpedos soweit verbessert, daß er an Bord der Kriegsschiffe eingeführt worden ist. Er wird aus Röhren mit comprimirter Luft ausgestoßen und bewegt sich bis auf etwa 1000 Meter mit einer durch dieselbe Kraft in Thätigkeit gesetzten Schraubenmaschine vorwärts. Wenn er sein Ziel trifft, so ist seine Wirkung geradezu gewaltig, und kein Panzerschiff der Welt kann dann der Vernichtung durch ihn entgehen.

Noch ist die Kriegsbrauchbarkeit des Torpedos nicht vollständig, sein berechneter Weg nicht sicher; er kann noch plötzlich einen Bogen machen und sich gegen das Schiff derjenigen wenden, die ihn geschleudert haben. Aber es ist kaum zu bezweifeln, daß seine Verwendung für Kriegszwecke früh oder spät eine gesicherte werden wird, und in dieser Voraussicht ist er auf allen Marinen eingeführt worden. Zu seiner Forcirung bedarf es nur kleiner Fahrzeuge, der Torpedoboote von kaum 30 Meter Länge und wenigen Mann Besatzung, wie sie sich täglich in den Marinen mehren und von denen sich für die Kosten eines Panzerschiffes 50 bis 100 bauen lassen (siehe Bild Nr. 8). Man erhöht ihre Geschwindigkeit auf 20 Knoten und mehr, während für Panzer 14 Knoten ein Maximum ist. Wie will ein solcher Koloß sich des Angriffs von 10 bis 20 dieser Fahrzeuge erwehren? Er mag mehr als drei Viertheile von ihnen zerstören und ist doch verloren.

Welch furchtbares Bild gegenseitiger Vernichtung wird die nächste Seeschlacht bieten? Möge sie noch in recht weite Ferne gerückt sein!

Die Wandelung des Seekriegswesens seit Einführung des Dampfes hat aber – um dies zum Schlusse nicht unerwähnt zu lassen – auch in anderer als kriegerischer Beziehung bedauerlich gewirkt. Sie hat den poetischen Nimbus verscheucht, der das Segelschiff umgab. Wenn dieses mit seinen schlanken schönen Formen über die Azurfläche des Meeres graziös dahinglitt und der Wind sanft die Segel schwellte, deren schneeige Leinwand sich in Pyramidenform symmetrisch hoch aufbaute, dann bot es eine Erscheinung, die Herz und Sinn erfreute. Zwischen ihm und dem Seemanne, der sich Jahre lang auf ihm schaukelte, Freud’ und Leid auf ihm durchlebte, wob sich ein Band der Zusammengehörigkeit, das Jenen mit magischer Kraft an sein Schiff fesselte. Er hielt es hoch wie eine Geliebte; er fühlte sich wohl und behaglich auf ihm, mochte es ihn in Stille oder Sturm, im Frieden oder im Kampfe tragen. Dagegen das Schiff von heute – der Dampfer! Schwarzer Rauch ringelt sich in dichten Wolken aus den Schloten und verfinstert die Sonne, die sonst freundlich und friedlich auf die Segelfläche herabschien. Gejagt vom Geiste der Zeit, saust es ohne Ruhe und Rast dahin – es mag dem berechnenden Verstande genügen, dem Herzen nicht. Nach wie vor wird der Seemann auf dem Panzerschiffe seine Pflicht thun, aber jenes zarte Band ist für immer zerrissen – er wird es nie lieben können.




Bernhard von Langenbeck.

Eine Portraitskizze.

„Ich bin stets ein Vertreter der conservativen Chirurgie gewesen.“ Dies waren so ziemlich die letzten Worte, welche der Altmeister der deutschen Chirurgie am 29. Juli d. J. gesprochen, als er von der Stätte seiner glänzendsten öffentlichen Wirksamkeit als Lehrer und hülfreicher Arzt, von dem Operationssaal in der Berliner Universitätsklinik, Abschied nahm. Freiwillig hat der unermüdliche Mann, da er die Einflüsse des herannahenden Alters an sich verspüren mochte, seine an ungewöhnlichen wissenschaftlichen Erfolgen und äußeren Ehren überreiche Stellung aufgegeben. Fürwahr ein seltenes Beispiel hoher, gewissenhafter Pflichttreue!

Wer ihm noch in der allerletzten Zeit am Operationstische zusehen durfte, wie er mit seiner sprüchwörtlich gewordenen Eleganz und seiner unerschütterlichen Kaltblütigkeit sein schweres Amt vollführte und mit ungebrochener geistiger Kraft seine kühnen Entwürfe ausführte, der hätte nur sehr ungern sich dem Gedanken hingegeben, daß diese „sichere Hand“ fortan nicht länger im Dienste der Leidenden würde thätig sein.

Als zuerst von dem Rücktritte Langenbeck’s etwas in die Oeffentlichkeit drang, da gerieth wirklich die ganze Hauptstadt in eine nicht geringe Aufregung. Alle Kreise der Bevölkerung, bis in die höchsten hinan, wurden durch diese Kunde in Mitleidenschaft gezogen. Kein Mittel blieb unversucht, um den allverehrten Mann zu weiterem Verbleiben in seinem Lehramte und in seiner chirurgischen Wirksamkeit zu vermögen. Allein umsonst! Langenbeck’s Entschluß stand unwiderruflich fest, und mit Ende des Sommersemesters sollte derselbe endgültig ausgeführt werden. Und fürwahr! Diese allgemeine Theilnahme, welche dem Rücktritte des berühmten Wundarztes entgegengebracht wurde, war gar wohl gerechtfertigt; galt sie doch einer Persönlichkeit, welche auch außerhalb der eigentlichen Berufswirksamkeit so viele menschlich liebenswerthe Eigenschaften zu entfalten gewußt. Wenn wir daher in nachfolgenden Zeilen ein Bild von dem vielgefeierten Arzt unsern Lesern zu geben versuchen, werden wir nicht nur seine Stellung in der chirurgischen Wissenschaft, sondern auch seine gesellschaftliche – und diese nicht zum geringsten Theile – zu berücksichtigen haben.

Langenbeck entstammt einer Gelehrten-, insonderheit einer Medicinerfamilie. Sein großer Oheim, der berühmte Göttinger Anatom und Chirurg, ist sein bestimmender Lehrer und Leiter gewesen. Der große Langenbeck mochte frühzeitig die seltene Befähigung seines gelehrigen Schülers und Neffen erkannt haben, als er ihm rieth, vor allem anatomische und physiologische Studien eifrig zu betreiben; denn diese bilden die alte und die neue Grundlage für jeden wissenschaftlichen Fortschritt in der Chirurgie.

Die ersten Arbeiten des jungen Gelehrten gehörten auch wirklich der Physiologie an, für welche Wissenschaft er sich an der Göttinger Hochschule als Privatdocent habilitirte. Indessen sah er in dieser Beschäftigung nur die wissenschaftliche Vorstufe für seinen eigentlichen praktischen Lebensberuf. Langenbeck trat, wenn man so sagen darf, unter den denkbar günstigsten Zeichen in die Chirurgie ein. Die mannigfachen großartigen Errungenschaften der modernen, auf dem wissenschaftlich angeordneten Versuch aufgebauten Naturerkenntniß, der tiefe Einblick, welchen die moderne Forschung in das Wesen der Einzelvorgänge innerhalb des thierischen und menschlichen Organismus verstattete, sie sollten nicht blos zur Sicherung und Erweiterung der Gesammtanschauung, zur Vermehrung des theoretischen Wissens dienen, nein, sie sollten zum Heile der Leidenden, zur Linderung ihrer Gebrechen, zur Beseitigung von Uebeln verwendet werden. Die Chirurgie war, sozusagen, rasch zur Hand, sich alle die günstigen Aussichten zu nutze zu machen. Sie nahm die ihr von den gelehrten Schwestern dargebotenen Erkenntnißmittel bereitwillig an und zeigte sich ihrerseits schnell entschlossen, alle die guten Gedanken und vortrefflichen Rathschläge in die Praxis einzuführen. Physiologie und Chemie gaben die leitende Richtung an, und die Chirurgen, eingedenk der Wurzelbedeutung des Wortes, übernahmen die Ausführung aller von jenen eben genannten Wissenschaften gegebenen Aufträge und Andeutungen.

Zu den vorzüglichsten Ausführern aber jener wissenschaftlicherseits gegebenen Aufträge gehört eben Bernhard von Langenbeck. Er hat viel, sehr viel zu dem Triumphzuge beigesteuert, welchen die Chirurgie während der lezten Jahrzehnte feiern durfte, und namentlich dadurch hat er ihr zu dem allgemeinen Jubel über ihre Wunderleistungen verholfen, daß er ihr vorzugsweise die Aufgabe stellte, das Vorhandene an dem erkrankten Körper so viel wie nur irgend angänglich zu erhalten und nur im außersten Nothfalle endgültig die Beseitigung des Unhaltbaren vorzunehmen. Doch wohlgemerkt: dieser äußerste Nothfall mußte aber auch als ein solcher vorher und mit den schärfsten wissenschaftlichen Prüfungsmitteln erkannt sein. Dies hieß aber nichts Anderes, als jene unüberwindliche Nothfallsgrenze immer weiter und weiter hinauszuschieben.

In diesem Betrachte unterschieden sich vorzugsweise die ältere und die neuere Chirurgie. Jene sah in den scharf geschliffenen Messern, den spitzen Haken und Zangen, den Hämmern und Sägen vornehmlich die Werkzeuge zur möglichst schleunigen Entfernung von erkrankten Körpertheilen; diese hingegen machte sie zu wohlgeeigneten Bundesgenossen an ihrem conservirenden, erhaltenden Werke. Kaum waren die nähern Bedingungen des Knochenwachsthums, das Verhältniß der Knochenhaut zum eigentlichen Knochengewebe,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 632. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_632.jpg&oldid=- (Version vom 28.4.2023)