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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Nummer 2 unserer Bilder veranschaulicht ein solches Wikinger Schiff aus dem neunten Jahrhundert, wie es kürzlich in Norwegen gefunden wurde; es ist zum Segeln und Rudern eingerichtet und mit Kriegern gefüllt, deren Schilder sich längs der Bordwand zeigen.

Zweihundert Jahre später sehen wir in den Schiffen Wilhelm’s des Eroberers, deren treue Abbilder uns die Gobelins von Bayeux aufbewahrt, einen bedeutenden Fortschritt in der Schiffsbaukunst; die Ruder sind fortgefallen; drei Masten mit Raasegeln haben sie ersetzt, und die feste runde Bauart verräth das Hochseeschiff, welches jetzt in den nordischen Meeren die Ruder zu verdrängen beginnt, um für seine Bewegung nur noch mit den Winden zu rechnen.

Bis zum Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts vervollkommnete sich das Seewesen wenig, dann aber gaben zwei zeitlich nahe liegende Momente ihm einen bedeutenden Aufschwung: die Einführung des Compasses und die ihr bald folgende Erfindung der Schußwaffen. Von beiden Neuerungen machten zuerst die Schiffe der damals auf dem Höhepunkt ihrer Seemacht stehenden Hansa Gebrauch, und sie zogen wesentliche Verbesserungen im Schiffsbau nach sich. Der Compaß gestattete die bisherige Küstenfahrt zu verlassen und die Handelsverbindungen bedeutend weiter auszudehnen, wodurch sich das Seewesen nothwendig heben mußte. Bisher einander fremde Nationen kamen sich näher, tauschten ihre Erfahrungen aus und zogen daraus für ihre Schifffahrt Nutzen, der Norden jedoch am meisten. Seinen Seeleuten wohnte der höhere Unternehmungsgeist bei; sie gingen nach dem Mittelmeere, während dessen Küstenbewohner sich auf ihre ruhigen Gewässer beschränkten. Durch die längeren Reisen wurden Jene gezwungen, ihre Schiffe besonders stark und seefest zu bauen, und die Armirung mit Geschützen erforderte ebenfalls sowohl starken Bau, wie veränderte Form.

Merkwürdiger Weise wuchsen die Schiffe nicht so an Größe, wie man hätte annehmen sollen. Ihr durchschnittlicher Raumgehalt belief sich auf 300 Tonnen, wie ihn die hölzernen Kanonenboote unserer Marine haben, und 500 Tonnen (eine Größe wie die unserer kleinen Segelbriggs für Schiffsjungen) war während des ganzen Jahrhunderts eine Ausnahme. Selbst die Schiffe des Columbus hatten nur etwa 300 Tonnen Gehalt, und sein Wagniß, damit den atlantischen Ocean zu kreuzen, erscheint dadurch nur noch bewundernswerther.

Mit dem sechszehnten Jahrhundert erweiterten sich jedoch die Dimensionen der Schiffe; ebenso schieden sich um diese Zeit die Kriegsflotten von den Handelsmarinen und begannen eigene militärische Körper zu bilden. Bis dahin wählten nämlich die Regierungen für Seekriege die größten Handelsschiffe aus, um sie zu bewaffnen, und Heinrich der Achte von England schuf zuerst die Grundlage einer nur für den Krieg bestimmten Flotte, worauf die übrigen Mächte allmählich seinem Beispiele folgten.

Das Zeitalter der Entdeckungen überzeugte die Seestaaten, daß nur tüchtige Kriegsflotten ihnen einen Antheil an den durch die Zeit gebotenen Vortheilen sichern und ihnen Macht und Reichthum schaffen könnten, was die Anregung zu weiterer Vervollkommnung des Schiffsbaues gab; man erbaute nunmehr namentlich größere Fahrzeuge und vermehrte die Geschützzahl bedeutend. Die ersten Versuche nach dieser Richtung hin fielen allerdings noch nicht sehr glücklich aus, und der um 1513 erbaute „Henry Grace à Dieu“ mit seinen beiden unförmlichen Castellen, den unser Bild Nr. 3 darstellt, zeigt eine geradezu ungeheuerliche Figur. Er führte 80 Geschütze und hatte doch nur einen Raumgehalt von 1000 Tonnen, also so viel wie unsere kleinsten Dampfcorvetten von 10 Geschützen. Allerdings befanden sich unter jenen 80 Kanonen nur etwa fünfzig 18- bis 9-Pfünder, während die übrigen aus 6- bis 1-Pfündern bestanden.

Doch schon drei Jahrzehnte später änderte sich die Sache. Die thurmartigen Aufbaue wurden ganz bedeutend reducirt; die Takelage stieg symmetrisch in die Höhe, und von dieser Zeit an schritt der Schiffbau in stetiger Vervollkommnung vorwärts. Die niederländischen Kriegsschiffe aus dem siebenzehnten Jahrhundert (Bild Nr. 5) zeigen bereits den Uebergang zu den ebenso zweckmäßigen wie eleganten Formen der Fregatten und Linienschiffe des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts.

Im Mittelmeere, der Wiege des Seewesens, blieb man jedoch in dieser Beziehung zurück und ließ sich von dem energischen Norden in jeder Beziehung überflügeln. Mit der verwüstenden Völkerwanderung war mit anderen geistigen Gütern auch die einst so hochstehende antike Schiffsbaukunst verloren gegangen. Die Galeere, wie sie Bild 4 aus dem Jahre 1600 zeigt, war zwar eine Nachahmung der alten Triere, jedoch lange nicht so vollkommen wie sie und nur mit einer Reihe Ruder versehen, welche nicht Seeleute, sondern Verbrecher und Sclaven führten. Mit ihren 5 Geschützen, ihrer niedrigen Lage über Wasser und ihrer leichten Bauart war sie den starken Hochbauschiffen nicht gewachsen und verschwand in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts aus der Reihe der Kriegsflotten.

Während des siebenzehnten Jahrhunderts entwickelten sich die Letzteren ganz ungemein: England, Holland, Frankreich und Spanien rangen fast ein halbes Jahrhundert in zahllosen blutigen Kämpfen um die Herrschaft des Meeres, und die Kriegsschiffe wuchsen an Zahl und Größe. Mit dem englischen „Royal Sovereign“ trat 1640 das erste Linienschiff (Dreidecker) auf, um fortan als Schlachtschiff die Stärke der Flotten zu bilden und den Ocean zwei Jahrhunderte lang zu beherrschen. Mit ihm fand diese Form einen ungefähren Abschluß und änderte sich bis zur Anwendung der Dampfkraft auf die Schifffahrt verhältnißmäßig nur wenig, wie dies der Vergleich zwischen den Bildern 5 und 6 zeigt, obwohl beide Typen über 150 Jahre aus einander liegen, jener dem siebenzehnten und letzterer unserem Jahrhundert angehört. Die hauptsächlichsten Veränderungen während dieses Zeitraumes beschränken sich auf das Verhältniß von der Breite zur Länge des Rumpfes, das von 1:3 in 1:4 übergeht, um sich auf diesem Punkte bis zur Einführung der Dampfkraft zu erhalten.

Ebenso vollzog sich allmählich eine Wandlung in der Bewaffnung der Schiffe. Man verringerte die Zahl der Geschütze und die Vielfältigkeit ihrer Kaliber, um die letzteren dafür zu vergrößern, und strebte dahin, die Technik der Geschützfabrikation zu vervollkommnen. Bei Erfindung der Kanonen stellte man diese aus Schmiedeeisen her; später ging man zum Guß über, aber daß derselbe sehr zu wünschen übrig ließ, geht aus der Thatsache hervor, daß während einer Seeschlacht zwischen Engländern und Holländern 1666 auf den Schiffen der Letzteren nicht weniger als 118 Geschütze sprangen.

Seit Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts begann man auch der Taktik größere Aufmerksamkeit zu schenken; denn wenn man bis dahin dieselbe wenig beachtete und ohne sichtbare Ordnung kämpfte, so entstanden jetzt feste Regeln für die Bewegungen der einzelnen Schiffe wie der Geschwader, und die Manövrirkunst wurde zu einem wichtigen Factor, um in der Schlacht Vortheile über den Gegner zu erringen.

Mit der zunehmenden Größe der Schiffe und der Geschütze wuchs auch die Zahl der Bemannung. Während man im siebenzehnten Jahrhundert ungefähr 5 Mann auf ein Geschütz rechnete, stieg dieses Verhältniß im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert bis zu 10, sodaß z. B. die Linienschiffe unserer Zeit von 90 Kanonen, welche lange 32-, 24- und 18-Pfünder führten, 900 Mann Besatzung – statt wie früher die Hälfte – zählen. Andererseits verringerte sich die Zahl der Schlachtschiffe in der Flotte, da die Bau- und Unterhaltungskosten ja bedeutend größer wurden. 1646 kaufte Frankreich von Schweden 4 ausgesuchte und voll ausgerüstete Kriegsschiffe von 36 bis 44 Kanonen, wie sie damals das Gros der Schlachtschiffe ausmachten, für 72,000 Thaler; ein einziges dreideckiges Linienschiff von 90 bis 100 Kanonen kostete dagegen zu Anfang des Jahrhunderts über 1 Million Thaler.

So kam es, daß wir 1673 98 holländische gegen 110 englische Kriegsschiffe sehen, während die großen Schlachten von St. Vincent, Abukir und Trafalgar um den Beginn unseres Jahrhunderts nur mit einem Dritttheile jener Zahlen und weniger geschlagen wurden. Man kann sagen, daß um diese Zeit die Kriegsflotten den Höhepunkt ihrer Leistungsfähigkeit erreicht hatten und die Segelschifffahrt kaum noch Verbesserungen wesentlicher Art erfahren konnte. Die Manövrirkunst und die Taktik waren hoch ausgebildet und litten nur an einem Mangel: an der Abhängigkeit vom Winde.

Der Einführung der Dampfkraft auf den Schiffen war es vorbehalten, diesen Mangel zu beseitigen, aber sie eröffnete für die Kriegsflotten auch gleichzeitig eine neue Aera in Bezug auf Bauart, Taktik, Zusammensetzung und Bewaffnung.

1807 baute Fulton den ersten Flußdampfer. Schon 1815 lief in den „Vereinigten Staaten“ der erste Kriegsraddampfer, die Fregatte „Fulton“, mit 32 Kanonen vom Stapel, und sehr bald folgten die übrigen Seemächte dem gegebenen Beispiele.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 630. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_630.jpg&oldid=- (Version vom 28.4.2023)