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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Trotz dieses Lobes bedurfte es jedoch nur des Hauches einer ernsten Kriegszeit, um die Jugendwehren über den Haufen zu werfen. Am längsten hielten sich die Württemberger, die noch einige Jahre nach 1866 vegetirten, bis auch sie endlich der Kriegslärm von 1870 gänzlich hinwegfegte. Wenn dem Wesen der Jugendwehren etwas Gesundes und Volksthümliches inne gewohnt hätte, so wäre sicher ihr Bestand nicht ein so vorübergehender, ihr Ende kein so klägliches gewesen.

Wie anders dagegen das Turnen, das trotz Verfolgung und Aechtung jederzeit gekräftigter und gefeiter aus schlimmer Zeit hervorging! Es widerstrebt dem deutschen Geiste, unverständige Knaben und halbreife Jünglinge in vertrautem Umgange mit Waffen zu sehen. Andererseits sind aber auch die militärischen Uebungen gar nicht so geartet, daß sie auf die Dauer von Jahren irgend einen Menschen fesseln könnten. Der Stoff ist ein allzu beschränkter und einseitiger, als daß er das Interesse der Betheiligten länger zu beanspruchen vermöchte, als der Reiz der Neuheit dauert. Das Uebungswerk ist so gering an Inhalt, daß die erste Ersatzreserve sich denselben in acht bis höchstens zehn Wochen so anzueignen vermag, daß sie im Kriegsfalle der activen Armee einverleibt werden kann.

Gegenwärtige Uniformirung der schwedischen Regimenter, welche bei Lützen mitgefochten haben.

Die früheren deutschen Bestrebungen für Jugendwehren und die jetzigen der Franzosen unterscheiden sich allerdings dadurch, daß die ersteren privatlicher Natur waren, während letztere auf einer staatlichen Einrichtung beruhen. Es liegt daher schon in der ganzen Institution, daß die französischen Jugendwehren von längerem Bestande sein werden, als es die deutschen waren. Sicher werden daher von Zeit zu Zeit unsere Zeitungen von öffentlichen Paraden, von größeren Uebungsmärschen, oder wohl gar von Manövern ganzer Bezirke dieser Jugendwehren berichten können. Auch wird es nicht fehlen, daß dieser oder jener hohe Officier es angezeigt finden wird, diese Soldaten en miniature öffentlich in warmer Ansprache als würdige zukünftige Stützen der Armee der großen Nation zu verherrlichen.

Eine Aenderung in diesen neu eingeführten Verhältnissen kann nur die Erkenntniß herbeiführen, daß diese militärischen Uebungen nicht von dem erhofften Werthe sind, nicht den Vortheil gewähren, der in einem entsprechend richtigen Verhältniß zu der verbrauchten Zeit, zu den verausgabten Geldkosten, zu den verursachten Mühen steht. Bevor aber derartige Erörterungen überhaupt sich ermöglichen lassen, sind selbstverständlich die Erfahrungen einer Reihe von Jahren nothwendig. Lassen wir daher den Franzosen ihre Freude an den neuen, militärisch ausgerüsteten Jugendwehren! Diese bringen uns keine Gefahr. Je länger und je mehr sich die Franzosen an solchen Spielereien ergötzen und sich daran bei Nationalfesten erwärmen, um so harmloser für uns wird die ganze Angelegenheit, da sie dabei den Schwerpunkt der turnerischen Erziehung ihrer Jugend in diese Aeußerlichkeiten legen und die Hauptsache, die eigentliche straffe Turnerarbeit, die methodische Erziehung des Körpers zu Kraft und Gewandtheit mittelst anstrengender und durchbildender Uebungen vernachlässigen.

Ernster für uns wird jedoch die Situation von dem Tage an, wo die zeitraubende und verhältnißmäßig ganz geringen Nutzen gewährende Soldatenspielerei in Frankreich fortfällt, dafür aber das Turnen um so mehr in den Vordergrund tritt; denn dann stände fest, daß unserem Erbfeinde auf den Turnplätzen mit der Zeit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 609. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_609.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)