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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Und seine Zauber schlafen wie ihr Meister.
Ein Schäferkind, am Strand des Meeres spielend,
Sieht zu der heftig unberufenen Jagd;
Sinnlos, gedankenlos, wie Mädchen sind,
Senkt sie die weißen Finger in die Fluth
Und faßt und hebt und hat’s. – Es ist der Schlüssel.
Auf springt sie, auf, mit höh’ren Herzensschlägen;
Der Schrein blickt wie aus Augen ihr entgegen.
Der Schlüssel paßt; der Deckel fliegt. Die Geister,
Sie steigen auf und senken dienend sich
Der anmuthreichen, unschuldsvollen Herrin,
Die sie mit weißen Fingern spielend lenkt.“

Das war Clara Wieck’s letzte Mädchenreise. Unwiderstehlich, übermächtig war die seit Langem geheim gehaltene Liebe zwischen ihr und Robert Schumann mittlerweile an’s Tageslicht getreten. Daß er in ihr seine Muse gefunden, das verriethen schon die „Schwärmbriefe an Chiarina“[WS 1] in der von ihm gegründeten „Neuen Zeitschrift für Musik“; die Davidsbündlertänze“, der „Carneval“, die Fis-moll-Sonate, die „Kreisleriana“, die Humoreske“, die „Novelletten“ und „Nachtstücke“ gaben es tönend vor aller Welt kund und erzählten es Jedem, der zu hören verstand und der „inneren Stimme“ lauschte. Und Clara hatte dem stillen Mann mit dem tief gegründeten Dichtergemüth ihr Herz geschenkt; sie war sein trotz des heftigen Einspruchs des Vaters, der sein Kleinod mit eifersüchtigen Blicken hütete und von einer Verbindung Beider, da er ihre Zukunft nicht genügend gesichert glaubte, nur unter der Bedingung eines längeren Aufschubs etwas hören wollte. Wie konnte gleichwohl sein Wille trennen und aus einander halten, was sich doch unaufhaltsam zu einigen trachtete, was die Natur selber für einander bestimmt und geschaffen hatte? Schmerzliche Kämpfe konnte er den Beiden wohl bereiten, seinen Segen konnte er der Wahl seines Kindes verweigern, aber er konnte nicht hindern daß sie endlich, dank dem Beistand der Gerichte, erreichten, was er selber ihnen hartnäckig vorenthielt: daß sie ohne seinen Segen zum Altare traten. In der Kirche zu Schönefeld bei Leipzig, am 12. September des Jahres 1840 empfing ihr Bund die Weihe von oben. Und der Segen des Himmels fehlte ihrer Ehe nicht.

„Ihre Geschicke,“ sagt Liszt, „erfüllten sich in dieser unter dem Segensstrahl der Kunst erblühten gegenseitigen Liebe, und fortan lebte er dichtend und sie dichtete lebend. Es war keine glücklichere, keine harmonischere Vereinigung in der Kunstwelt denkbar, als die des erfindenden Mannes mit der ausführenden Gattin, des die Idee repräsentirenden Componisten mit der ihre Verwirklichung vertretenden Virtuosin. Beide übten die Kunst in verschiedenen Richtungen von gleicher Bedeutsamkeit aus. Interpreten desselben poetischen Gefühls, schauten und verkündeten sie dasselbe Vorbild des Schönen, waren sie von demselben Abscheu gegen Triviales in der Kunst, von derselben Ehrfurcht für gleiche Eigenschaften erfüllt. Hand in Hand gehend, trugen sie gleiche Kränze und gleiche Palmen, ward Beiden gleicher Beifall; denn Ihn bewundern heißt Sie bewundern, die in verschiedenen Zungen, aber im herrlichsten Einklang sangen. Die Annalen der Kunst werden Beider Gedächtniß in keiner Beziehung trennen; die Nachwelt kann Beider Namen nicht vereinzelt nennen; sie wird mit einem goldnen Schein beide Häupter umweben, über beiden Stirnen nur einen Stern erglänzen lassen, wie von einem berühmten Bildner unsrer Zeit[1] die Profile des unsterblichen Paares schon in einem Medaillon vereinigt sind.“

Bald gaben sie von dem nach langen Kämpfen errungenen Glück dankbar auch nach außen Kunde. Hatte er ihr kurz zuvor schon seine ersten Lieder, die „Myrten“, als köstlichste Brautgabe dargebracht, so sangen sie nun vereint die „zwölf Gesänge“ aus Rückert’s Liebesfrühling (Opus 37); die ersten beredten Zeugen ihres jungen Eheglücks, die ihnen der Dichter selber mit dem poetischen Dankesgruß lohnte:

„Lang ist’s, lang,
Seit ich meinen Liebesfrühling sang;
Aus Herzensdrang,
Wie er entsprang,

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Verklang in Einsamkeit der Klang.


Zwanzig Jahr
Wurden’s, da hört ich hier und dar
Der Vogelschaar
Einen, der klar

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Pfiff einen Ton, der dorther war.


Und nun gar
Kommt im einundzwanzigsten Jahr
Ein Vogelpaar,
Macht erst mir klar,

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Daß nicht ein Ton verloren war.


Meine Lieder
Singt Ihr wieder;
Mein Empfinden
Klingt Ihr wieder;

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Mein Gefühl

Beschwingt Ihr wieder;
Meinen Frühling
Bringt ihr wieder;
Mich, wie schön,

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Veriüngt Ihr wieder.

Nehmt meinen Dank, wenn auch die Welt,
Wie mir einst, ihren vorenthält!“

An eigenen Compositionen – meist für Clavier und Gesang, doch darunter auch ein Concert mit Orchester, ein Trio und Romanzen für Pianoforte und Geige – veröffentlichte Clara im Laufe der Zeit 23 opera und einiges ohne Opuszahl Erschienene. Aber auch das, was ihr Gatte schuf, durchlebte sie treulich mit ihm, und an seinem Streben nach dem Höchsten nahm sie theil.

„Er war ihr“ – wie Ferdinand Hiller in bewegter Rede am Grabe Robert Schumann’s bezeugte – „wie der Tochter der Vater, wie der Braut der Bräutigam, wie dem Jünger der Meister, wie dem Gläubigen der Heilige.“

Als liebevolle Vermittlerin stand sie zwischen dem in seine Traum- und Gedankenwelt vertieften, schweigsamen Manne und dem praktischen Leben, der Außenwelt. Von der stillen Heimstätte, die sie sich als Mittelpunkt harmonischsten häuslichen Glückes zunächst in Leipzig, dann in Dresden (von 1844 bis 1850) und zuletzt in Düsseldorf gegründet, zog sie ihn auch zeitweilig mit in’s Weite hinaus, in Rußland wie in den verschiedensten Gegenden Deutschlands, Oesterreichs und der Niederlande Triumphe mit ihm feiernd. Durch seinen Genius empfing der ihre seine eigentlichste höchste Weihe. Weit über das, was Clara Wieck einst war, wuchs Clara Schumann hinaus. Aus der „lieblichen Musenspielgenossin ward eine weihevolle, treu pflichtige und strenge Priesterin“.

Sie offenbarte der Welt, was in seiner Seele erklungen und rastete nicht, bis sie seinen tiefsinnigen Clavierdichtungen ein immer allgemeineres Verständniß erschlossen. So war die Ehe dieser beiden Muesenkinder ein gegenseitiges seliges Geben und Nehmen; so war ihre Größe sein, seine Anerkennung ihr Verdienst. Konnte es im Jahre 1846, als Beide Wien besuchten, wie Hanslick erzählt, noch geschehen, daß man von ihm nur als von dem „Mann der Clara Wieck“ sprach, und bei einem Hofconcert sich eine hohe Person nach Clara’s Production mit der huldvollen Frage an ihren Gatten wandte: „Sind Sie auch musikalisch?“ so lernte die Welt dank den Bemühungen der treuen Gattin allmählich erkennen, was sie in ihm besaß.

Und dem erwählten Berufe blieb Clara treu in guten wie in bösen Tagen. Als wenige Jahre, nachdem Robert Schumann sein bisheriges vorwiegend freies Künstlerleben gegen eine amtliche Wirksamkeit in Düsseldorf vertauscht hatte, sich im Februar 1854 an ihm das furchtbarste Geschick erfüllte, als Krankheit des Leibes und der Seele den reichen Geist in Fesseln schlug, bis nach zwei trauriger Jahre Frist der mitleidige Tod das umnachtete Dasein endete, da erhob sich die Schmerzgebeugte „mit der Willensstärke der Mutter, mit der Begeisterung der Künstlerin, mit der ungebrochenen Liebe zu dem Dahingeschiedenen“, um das Priesterthum seiner Kunst in seinem Sinne zu vollenden. Als seine Wittwe, die ihr Heim von Düsseldorf wechselnd nach Berlin (von 1857 bis 1861), nach Baden-Baden (bis 1873), sodann wieder nach Berlin (bis 1878) und endlich nach Frankfurt am Main verlegte, wo sie noch gegenwärtig an der Hoch’schen Hochschule für Musik unterrichtet, trat sie von neuem in die Welt.

„Wenn sie den Dreifuß des Tempels bestieg“ – so hören wir Liszt sie schildern – „spricht nicht mehr das Weib zu uns; sie unterhält uns weder als Dichterin von irdischer Leidenschaft, vom stürmischen Kampf menschlicher Geschicke, noch überzeugt sie uns durch die Kühnheit ihrer Anreden; noch weniger bewirbt sie sich um Sympathien. Eine unterwürfige, glauben- und ehrfurchtsvolle Geweihte des Delphischen Gottes begeht sie mit schauernder Gewissenstreue seinen Cultus. Zitternd, auch nur ein Jota des

  1. Rietschel.

Anmerkungen (Wikisource)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst erKeil, 1882, Seite 607. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_607.jpg&oldid=- (Version vom 24.4.2023)