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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Componisten Waldemar Bargiel, während Wieck mit Clementine Fechner in Leipzig einen zweiten Ehebund schloß, dem die Pianistin Marie Wieck entstammt – erbte Clara auch die tonkünstlerische Begabung. Während ihrer allerersten Lebensjahre zeigte sie freilich keine sonderlichen Anlagen. Kaum aber verrieth sie, fünf Jahre alt, musikalisches Talent, als ihr Vater sie sofort in seine künstlerische Zucht nahm und nach der ihm eigenthümlichen zweckmäßigen Methode mit so glücklichem Erfolge auf dem Clavier unterrichtete, daß sie bereits nach vier Jahren Concerte von Mozart und Hummel auswendig mit Orchester zu spielen vermochte und den ersten Schritt in die Oeffentlichkeit wagen durfte.

In einem Concert der Pianisten Perthaler aus Graz am 20. October 1828 erschien die Neunjährige zum ersten Male in dem berühmten Musiksaal ihrer Vaterstadt, um mit Kalkbrenner’s vierhändigen Variationen über einen Marsch aus „Moses“ (Opus 94) zu debutiren. Sie trug dieselben in Gemeinschaft mit Emilie Reichold, einer Schülerin ihres Vaters, laut einem Bericht der „Allgemeinen musikalischen Zeitung“ vom November 1828 „mit allgemeinem und verdientem Beifall“ vor, und die Kritik äußerte an gleicher Stelle über jene erste Leistung: „Unter der Leitung ihres musikerfahrenen, die Kunst des Pianofortespiels wohl verstehenden und dafür mit Liebe sehr thätigen Vaters dürfen wir von ihr die größten Hoffnungen hegen.“

Um die Zeit ihrer Erstlingserfolge war es, als Robert Schumann – Musiker im Herzen, seines Zeichens aber dazumal noch Student der Rechte – zuerst in ihr Leben trat und, durch ihre virtuosen Leistungen befeuert, ihren Vater um seinen Unterricht bat. Zum ersten Mal begegneten sich ihre Schicksalssterne. Doch zunächst nur vorübergehend, da der Mutter Gebot, die Fortsetzung seiner juristischen Studien verlangend, Schumann im Frühjahr 1826 nach Heidelberg trieb. Anderthalb Jahr später aber, nachdem ihm inzwischen Wieck’s Autorität zum Erreichen seiner Wünsche und Erfassen des ersehnten Künstlerberufs verholfen, kehrte er, und diesmal dauernd, nach Leipzig zurück und nistete sich als sein Hausgenosse so nahe als möglich bei seinem Meister ein.[1] Er brachte jugendlich-frische Elemente und mit ihnen eine neue poetische Lebensströmung in das einem künstlerischen Verkehr gastlich offen stehende Haus – gewiß eine wohlthätige Anregung für Clara, die von der eisernen Hand des Vaters streng genug geführt ward. Die Anstrengungen der Arbeit lernte sie frühzeitig kennen. Sa lange ihre physischen Kräfte ausreichten, hielt man sie am Clavier fest. Zu Spielen und Erholungen, wie sie sonst das Kindesgemüth ergötzen, ließ man ihr so wenig Muße, daß sie, wie Liszt erzählt, die kurzen Augenblicke, wenn sie ihre Lieblinge, junge Kätzchen, einmal liebkoste, sich hinter des Vaters Rücken abstehlen mußte. „Durch vieles Spielen oder vielmehr trotz des vielen Spielens,“ fagt Liszt, „aber erwuchs ihr zuletzt statt Ueberdruß, wie man es wohl glauben möchte, das innere Verständniß dessen, was sie spielte. Von da an versuchte ihr Geist immer höher in die geheimen Regionen der Poesie aufwärts zu dringen.“

Zu improvisiren und componiren hatte Clara schon im zehnten Jahre angefangen. Compositionsunterricht beim Thomas-Cantor Weinlig und später bei Heinrich Dorn gab ihrem schöpferischen Trieb Nahrung und Regelung. Ein Thema von ihr liegt bereits einem der frühestens Werke Robert Schumann’s – den Impromptus Opus 5 – zu Grunde: das erste Zeichen seiner ideellen Hinneigung zu ihr, das nach außen drang.

„Da ich Leute kenne,“ schreibt er 1833 von ihr, „die sich schon auf das nächste Mal freuen, wenn sie eben Clara gehört hatten, so frag’ ich, was denn das Interesse für sie so lange nährt? Ist es das Wunderkind, über dessen Decimenspannungen man den Kopf schüttelt, obwohl verwundert? Sind es die schwierigsten Schwierigkeiten, die sie spielend als Blumenketten in’s Publicum zurückschlingt? Ist es vielleicht einiger Stolz, mit dem die Stadt auf die Eingeborene sieht? Ist es das, daß sie uns das Interessanteste der jüngsten Zeit vorführt in kürzester Zeit? – Ich weiß es nicht: ich meine aber einfach, es ist der Geist, der zwingt.“ Und an anderer Stelle heißt es: „Sie zog frühzeitig den Isisschleier ab. Das Kind steht ruhig auf – der ältere Mensch würde vielleicht am Glanz erblinden.“

Doch nicht Schumann und Leipzig allein freuten sich an Clara’s aufblühender Künstlerschaft; Vater Wieck säumte nicht, seinem Kinde die Welt und der Welt sein Kind zu zeigen. Die Elfjährige schon führte er hinaus, und befriedigt berichtet er in die Heimath, „welches Aufsehen“ sie und er selbst, als ihr Bildner, in Dresden machen. „Aber ich bin ängstlich,“ fügt er hinzu, „daß die Ehren und Auszeichnungen auf Clara einen schlimmen Einfluß üben könnten. Merke ich etwas Nachtheiliges, so reise ich sogleich ab, damit sie wieder in bürgerliche Ordnung kommt; denn ich bin zu stolz auf ihre Anspruchslosigkeit und vertausche dieselbe um keine Ehre der Welt.“

Im nächsten Jahre (1831 bis 1832) geht es weiter nach Weimar, Kassel, Frankfurt am Main und Paris.

„Ich hoffe, Clara soll uns keine Schande in Paris machen,“ heißt es in einem uns vorliegenden ungedruckten Briefe Wieck’s an seinen dort lebenden Schwager, Maler Fechner. „Die Urtheile Spohr’s und vieler anderen edlen und unparteiischen Kenner, wo der fürchterliche Neid keine Rolle spielt, bringe ich alle mit, und wir wollen nun sehen, was Chopin, Pixis, Hunten, Kalkbrenner und Andere zu einer musikalischen Pianistin (ich habe nie eine gekannt außer der verstorbenen Sygmanowska in Petersburg) sagen werden, die in der großartigen Field’schen Schule ebenso von mir ausgebildet worden, als in der Wiener und neuesten französischen, die verhältnißsmäßig ebenso gut vom Blatt spielt, Partituren liest, phantasirt und componirt.“

In Weimar faßt Goethe – wie früher in Leipzig schon Paganini, der ihm eine glänzende Zukunft weissagt – ein tiefes Interesse für das wunderbare Kind. Zum Danke für die Freude, die ihm ihr Spiel bereitete, sendet er „der geistreichen Clara Wieck“ sein Bild. In Kassel lernt sie Spohr, in Paris, von wo sie die Cholera nur zu schnell vertreibt, Alexander van Humboldt, Mendelssohn, Meyerbeer, Kalkbrenner und der eben dort concertirende Chopin kennen. Für des Letzteren Compositionen faßte Wieck van Anbeginn ein so lebhaftes Interesse, daß er in verschiedenen musikalischen Zeitschriften eine Kritik oder, wie er selbst sagt, eine ästhetische Rhapsodie über Opus 2 veröffentlichte. Dieses Variationenwerk und andere Schöpfungen des polnischen Romantikers machte Clara zuerst in weiteren Kreisen bekannt. Auch Beethoven’s Sonaten, Bach und Mendelssohn nimmt sie nun in ihr Concertrepertoire auf, das sich bisher im Wesentlichen auf Bravourstücke von Herz, Kalkbrenner und Moschekes beschränkt hatte. –

Um bei Mieksch Gesang, bei Capellmeifter Reißiger Instrumentation zu treiben, nahm sie 1833 einen halbjährigen Aufenthalt in Dresden, wo sie unter Anderem die Bekanntschaft mit der sie in hohem Maße begeisternden Schröder-Devrient erneute, die schon in ihrem Concerte in Paris mitgewirkt hatte. Dann ließ sie sich in ihrer Vaterstadt mit Beriot und Pauline Garcia gemeinsam hören. Den Ersten und Größten in ihrer Kunst durfte sie, die Jugendliche, sich schon gesellen. Bald pflückte sie sich in Berlin unter Spontini’s Gönnerschaft, bald in Paris, bald in Prag und Wien neue Lorbeeren. Meinte Rellstab, der allmächtige Kritiker der preußischen Hauptstadt, auch bedauernd: „Schade, daß sie in den Händen eines Vaters liegt, der solchen Unsinn von Chopin spielen läßt,“ das bedeutende Talent der Spielerin mußte er doch anerkennen. Auch Fétis bestätigt, welch lebhafte Sensation sie an der Seine erregte, und an der Donau vollends feierte sie Siege über Siege. Die Kaiserin von Oesterreich ernannte sie zu ihrer Kammervirtuosin – eine Ehre, die bis dahin noch keiner Ausländerin widerfahren war – die Aristokratie zog sie begierig in ihre Kreise.

„Die Poeten,“ bezeugt Liszt, der sie hörte, „erkannten in dieser anmuthigen Erscheinung eine Tochter ihres Vaterlandes. Sie streuten Perlen und Gesänge vor sie hin und feierten diesen Benjamin ihres Stammes, der, mit schweifendem geistvollem Blicke umherschauend, mit seltsamen Lächeln einer Najade glich, die im Lande der Prosa sich unheimlich fühlte.“

So besang Grillparzer sie und ihren Vortrag von Beethoven’s F-moll-Sonate:

„Ein Wundermann, der Welt, des Lebens satt,
Schloss seine Zauber grollend ein
Im festverwahrten, diamantenen Schrein
Und war den Schlüssel in das Meer und starb.
Die Menschlein mühen sich geschäftig ab,
Umsonst! kein Sperrzeug löst das harte Schloß

  1. Eine ausgeführtere Lebensskizze Robert Schumann’s siehe: „La Mara, Musikalische Studienköpfe“. 1. Band, 5. Auflage. Leipzig, Schmidt und Günther.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 606. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_606.jpg&oldid=- (Version vom 24.4.2023)