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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Aber zum allgemeinen Erstaunen sprach Wilhalm, als er das Kunstgebilde betrachtet hatte, bewundernd:

„Welch herrliches Gelock! Wie ausdrucksvoll ist die beschwichtigende Haltung der Hände! Und richtig, Eure Eigenart zeigt sich auch allhier: der Engel hat sein Gewand ein bisle zerknittert. Ihr habt ein Prachtstück geschnitzt, Meister Stoß.“

Die guten Freunde und getreuen Nachbarn umringten ihn. „Und findet Ihr keine Aehnlichkeit?“

„Ach Gott, wenn nur das nit wär!“

„Dafür wird er strenge Pön erleiden müssen, meint Ihr nit auch, Herr Haller?“ so fragten die Leute um ihn herum und sahen ihn mit hoffnungsvoller Angst an.

„Ich habe unter den Engeln – den Heiligen sei es geklagt – keine Bekanntschaft und finde deshalb auch keine Aehnlichkeit,“ entgegnete Wilhalm mit kühler Vornehmheit. „Doch laßt mich jetzt mit dem Meister allein, gute Leute! Ich habe einen eiligen Auftrag für ihn.“

Enttäuscht zog sich das Volk zurück.

Jetzt hielt sich Veit Stoß nicht länger.

„Ihr meint keine Aehnlichkeit zu finden?“ rief er mit blitzenden Augen. „Das läßt sich ein so künstlicher Meister, wie ich bin, nimmer bieten.“

Wilhalm legte beruhigend die mit goldgesticktem Handschuh bekleidete Hand auf die Schulter des erregten Künstlers.

„Ich meine, daß schon um kleinerer Freiheit willen Nürnberger mit ihrem Leib aus der Stadt fahren mußten.“

„Ich sollte aus der Stadt verwiesen werden und habe doch nichts gewollt, als den Frauen zeigen, was wahrhaft schön ist?“ rief Veit Stoß niedergeschmettert.

„Und Ihr steht vor der Verweisung. Euer Engel wird verketzert, und morgen Abend tragen alle Frauen die Augsburger Haube. Gar Mancher,“ fuhr er seufzend fort, „der Neues und Bessres einführen wollte, mußte es mit seinem Glück bezahlen, und Andre haben den Genuß davon. Das ist so Lauf der Welt. Aber ich meine, daß es unersetzlicher Verlust wäre, wenn der Veit Stoß Nürnberg meiden müßte. Ich biete Euch an, daß Ihr mir den Engel verkauft. Ich habe oft Geschenke nach fremden Städten zu machen, und so geht Euch der wohlverdiente Lohn und Ruhm nicht verloren sonder Gefahr für Eure Sicherheit. Meine Leute harren draußen mit einer Truhe, darin das Bild verpackt werden soll. Verwahrt es gut, und die Summe, die Ihr daran verdient habt, laßt Euch bei meinem alten Cassenführer auszahlen! – Dem Engel für unsre Kirche macht nicht so tiefe Schelmengrübchen!“ schloß er lächelnd; er drückte dem Künstler die Hand und ging.

Der neugierige Haufen sah darauf die Leute Haller’s mit einer großen Kiste in die Werkstatt ziehen, und während sie draußen auf die Stadtknechte hofften, verschwand das Schelmengesicht unter Heu und Stroh. – – –

An demselben Abende schritt Elsbeth durch die dämmernden Straßen. Sie kam aus dem Clarenkloster, wo sie den Nachmittag in stillem Gebet, in ernster Zwiesprache und Berathung mit der gelahrten Aebtissin Charitas Pirkheimer verbracht hatte. Voll Sehnsucht nach Festigung ihres Entschlusses, eine Klosterfrau zu werden, war sie hingegangen; sie hatte die Ueberzeugung gehegt, die höchste Billigung bei der hochwürdigen Frau zu finden, und die Hoffnung, daß alle Unrast dort zur Ruhe gehen und sie, von himmlischem Frieden erfüllt, die heilige Stätte verlassen werde, um dann sonder Anfechtung des Tages zu harren, der sie für immer in die heiligen Mauern führen sollte. Aber wie anders war nun, da sie heimging, ihr Gemüth gestimmt! Was hatte sie im Kloster alles schauen, was gar aus dem Munde der Aebtissin hören müssen! All das ging ihr nun auf dem Heimwege, eines nach dem Andern, durch den Sinn; sie lebte es mit Schrecken noch einmal durch: gleich beim Eintritt in das düstre Gebäude war ihr getroster Muth darnieder gesunken. Ein Eiseshauch war ihr entgegen geweht, es hatte geschienen, als wende die Sonne ihr Antlitz ab; ein so dämmriges Zwielicht hatte in den Gängen geherrscht, nur hier und da bleich ein Marterbild aus tiefer Nische geschimmert. Der Frühlingswind, der sie draußen frei umspielt – hier hatte er wie ein Gefangener um die Ecken gewimmert und eine trübselige Zwiesprache mit dem Holzwurm gehalten, der in dem alten Gebälk so unheimlich tickte.

Sie war zuerst in das kleine dumpfe Vorzeichen zur Capelle geschritten und hatte sich dort vor dem gegeißelten Christus niedergeworfen, an dessen armem Leibe das Blut in Strömen herabrinnt. Sie war auf einem Grabstein niedergekniet. Weihrauchwolken waren zur Thür hereingeströmt und hatten sich mit dumpfem Modergeruch gemacht. Es hatte sie durchschauert, und nachdem sie in den Opferstock eine Gabe geworfen, war sie nach der Zelle der Aebtissin gegangen.

Der klagende Gesang der Nonnen war aus der Capelle ihr nachgetönt.

Die Aebtissin hatte sie ruhig angehört und dann mit ihrer ernsten Stimme gefragt:

„Und lässest Du nichts zurück, wonach Dein Herz sich sehnen kann, wenn Du bei uns eintrittst?“

Elsbeth hatte die Augen niedergeschlagen; die Thränen waren darin emporgestiegen.

Da hatte Charitas Pirkheimer sanft mit einem Seufzer, der weither zu kommen schien, wie aus einer frühren Zeit, gesprochen:

„Junge Leute ficht die Liebe an, Muthwillen und weltliche Begier. Das muß erst von Dir abgefallen sein, ehe Du eine Braut Christi werden kannst; denn der unruhigen Seelen sind viele jetzt in den Klöstern. Die Nonnen müssen mit starker Hand niedergehalten werden. Sie murren thörichter Weise von einem neuen Recht, sagen, das kaiserliche alte, das verkündet: ,Wer eine Nonne zu Weibe nimmt, hat das Leben verwirkt und das Schwert verdient,‘ müsse abgeschafft werden. Und die Ehe sei nicht ein Gräuel – wie sie es doch wirklich ist – sondern eine Einsetzung Gottes, der ein Männlein und Fräulein zusammengefügt habe; Christus habe das bestätigt durch seine hohe Gegenwärtigkeit bei einer Hochzeit. Ja, so sprechen die irregeführten Bräute des Herrn. Manches Eisengitter am Fenster ist schon durchfeilt gefunden worden, und die Bußzellen werden nimmer leer. Bedenke, daß die Klosterfrau, wie es recht und billig ist, für das Gedenken an einen Mann den Geißelstrick kosten muß!“

Das hatte Elsbeth im Kloster erlebt, und so hatte die Aebtissin zu ihr gesprochen. Noch klangen die Worte der gestrengen Frau Elsbeth in den Ohren.

Die Sonne neigte sich über all ihren traurigen Betrachtungen; es war ein gedankenvoller Heimweg.

Ein rosiges Licht strahlte noch von Westen her, und die warme Luft umfing sie wie mit weichen Armen; durch die Straßen zog das Volk oder saß unter den Laubengängen lachend und plaudernd. Elsbeth litt große Pein. Die Welt war so schön. Warum mußte es ungetreue, wandelbare Mannsbilder darin geben?

Lärm und wüstes Geschrei unterbrach ihre heimliche Klage. Es drang aus einem Haus, dessen Fenster und Pforte hell erleuchtet waren, und dessen Schild mit der Traube die Zechstube anzeigte. Sie wollte rasch vorüber eilen, aber lallende Stimmen riefen sie vom Fenster an, und in der nächsten Minute schon ward sie von einem Schwarm herausströmender fürnehmer Herren umringt.

„Potz Marter!“ rief der Eine mit weinheiserer Stimme und rothem Gesicht. „Trägt sie nicht einen Sturz? Wißt Ihr denn nicht, schönste Maid, daß Seine Durchläuchtigkeit die Scheusale abgeschafft hat? Wir wollen Euch allsogleich davon befreien.“

Und er faßte nach ihrem Gebände.

„Ja, stürzt den Sturz!“ riefen die Andern.

Der Kreis schloß sich eng um sie. Sie sah lauter verwegne Gestalten um sich, Männer mit aufgerissnen Wämsern, die Federn an den Hüten zerdrückt, Becher, Würfel, Gold in den Händen.

Die Angst schnürte ihr schier das Herz zu, und nur den einen Seufzer stieß sie aus:

„O Wilhalm, wärt Ihr jetzt zur Stelle!“

Da stand er neben ihr, als habe ein Engel Gottes ihn hergeführt.

„Halt an!“ rief seine frische zornige Stimme. „Ich will Euch lehren, wie man einer Geschlechterin begegnet, Ihr Schubiake!“ Und vor Elsbeth springend, riß er seine spanische Klinge aus der Scheide. Im Nu hatten auch die Gegner ihre Waffen gezogen.

„Daß Dich Gottes Element schände, altfränkischer Krämer!“ rief der Eine.

„Wir wollen Dich mitten durchhauen wie eine Rübe!“ schrie ein Andrer.

Elsbeth sah, daß Viele gegen den Einen waren, und während sie angstvoll zu ihm aufschaute, der ruhig dastand, faltete sie die

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