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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

„Nach einer heidnischen Abgöttin braucht eine Geschlechterin sich nimmer zu richten,“ erwiderte Herr Behaim erbost.

„Was welsche Klüglinge für Recht erachten, kümmert uns nicht,“ setzte Herr Imhof hinzu.

„Aber es sollte Euch kümmern,“ antwortete der Domprobst von Würzburg mit Anerkennung, „was Euer Ehegemahl dazu meint, die doch ein ehrbar Weib ist; sie ist der neuen Haube nicht abgeneigt.“

„Ihre Ehr’ ist meine Sach’, nit die Eure,“ fuhr der Imhof heraus, den sein treues Weib schon von der Morgensuppe an mit dem gutwilligen Domprobst geplagt hatte.

Der Herzog Wilhelm von Baiern lachte:

„Haben Eure Frauen so garstige Gesichtlein, daß Ihr Euch schämt, sie uns zu zeigen?“

„Nein“ schrieen die Rathsherren, blutroth vor Zorn. „Aber die Gesichter sind für uns da – nit für Euch!“

„Plumpe Neidharte seid Ihr,“ eiferten die Gäste.

„Frauenknechte Ihr!“ tönte es von der Rathsherrentafel verächtlich zurück.

Die Herren standen einander gegenüber, Zornesadern auf der Stirn, und heimlich backte sich hier und da eine Faust.

Da hob der Erzherzog das dunkle Haupt und winkte:

„Disputiret und streitet nicht, Ihr Herren!“ rief er. „Wir kamen in diese Stadt nicht zur Fehde, sondern ihr Favor und Gnade zu erweisen. Und wir gedenken den Frieden nicht zu brechen. Aber scheiden wollen wir noch zur Stunde aus diesen Mauern; denn wir mögen denen, die uns vertrauend anblickten, nicht wieder unter die Augen treten, ohne eine kleine Gegengabe für so viel Holdseligkeit.“

Da knickte ein ehrbarer Rath zusammen. Was würden alle die Feinde der Stadt sagen, wenn die fürstliche Durchläuchtigkeit Hals über Kopf davon ritte?

Zu kurzer Berathung zogen die Herren sich zurück.

Dann trat der Schultheiß an die Tafel und sprach:

„Kund und zu wissen sei Jedermänniglich, daß vom heutigen Tage ab ein ehrbarer Rath der freien Reichsstadt beschlossen hat, die Stürze sollen abgeschafft sein für jetzt und ewige Zeiten Seiner fürstlichen Durchläuchtigkeit zu Ehren.“

Die Augen des Erzherzogs leuchteten auf. Er dankte und lud sich selbst für morgen Abend zu einem Tanze bei den Geschlechtern ein. Dann zogen die Gäste vergnügt ab und auch die Rathsherren athmeten erleichtert auf.

Nur der Wilhalm sprach mit lauter Stimme, daß es der Imhof hören mußte:

„Meinethalb mögen sie aufsetzen, was sie wollen, die Augsburger Haube oder die Augsburger Gogelhopfform. Ich werd’ es nimmer erschauen. Ich geh’ wieder auf Reisen, wahrscheinlich in das Land Aethiopia, wo die großen Löwen hausen.“

Er sah mit Befriedigung Herrn Imhof’s verblüfftes Gesicht und stapfte trotzig davon, die Hand auf den Degengriff gestützt, daß die Spitze hinter ihm drohend empor ragte.

Und es ereignete sich, daß plötzlich auch alle andern Rathsherren verschwunden waren; denn jeglicher wollte der Erste sein, der seinem Weibe die frohe Mär verkündete. – – –

Die Frau Rotmundin lachte.

„Was hat Euch nun alle Eure Gelahrtheit und Euer altes Recht geholfen? Ihr müßt Euch doch unter unsre Füßle beugen. Dankt allen Heiligen dafür, daß Ihr wieder Frieden habt!“

Der Rotmund lachte auch und wollte den Arm um sie legen. Aber sie wehrte ihm und sprach:

„Nein, Franzel, den ersten Kuß nach dem wüsten Frauenkrieg geb’ ich der fürstlichen Durchläuchtigkeit, die mir das Scheusal vom Hals geschafft hat. Ja, funkere nur mit den Augen! Du hättest es auch so gut haben können. Warum ist der Herr Rotmund ein Dümmerle gewesen?“

Herr Rotmund schüttelte beide Fäuste.

„Der Gänswürger, der –“

„Ja, er ist ein grand diable gegen das Frauenvolk,“ unterbrach sie ihn, vergnügt über das neue Wort, das sie gelernt hatte. Dann langte sie ihr Hackebrett aus dem Winkel und begann mit den gebogenen Metallstäben ein Stücklein zu hämmern.

Herrn Rotmund blieb nichts andres übrig als zu gehen.

Aber es ist auf dieser unvollkommenen Erde gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. An jede Freude hängt das Schicksal, gleich einem Stein, ein Mißgeschick. Gerade da die Rotmundin die nun erlaubte Haube aus ihrem Versteck nahm, stürzte Kathrin in die Stube, schloß die Thür, schaute mit verstörten Augen um sich und rief:

„Das Unglück! Der Polack, der Veit Stoß, hat der Frau ihr Gesichtel gestohlen.“

„Was schnakt der Grasaff? rief Frau Rotmundin und gab ihr eine Kopfnuß.

„Der Phragner, der neben ihm wohnt, hat’s mir gesagt,“ meinte das Mädchen. „Die Frau steht als Holzbild halt da – ich kann’s gar nit sagen, wie!“ Sie wandte verschämt das Gesicht ab.

Die Rotmundin starrte sie mit weit geöffneten Augen an.

„Das könnte an sein Leben gehen,“ flüsterte sie und sank auf einen Schemel. „Ist das Holzbild nit rechtschaffen gekleidet?“

„Na,“ sagte die Magd, „bei Leibe nit! Der Engel hat einen langen Rock an von der Kehle bis zum Fußzeh, aber auf dem Kopfe keine Haube, kein Tüchel, und Ihr meintet doch selbst: die Haube ist die Hauptsach. Was soll der Herr sagen, daß die Frau in des Bildschnitzers Haus steht und hat nichts aufgesetzt?“

Der Rotmundin wurde es schwül.

„Kann ich nicht den Herrn Wilhalm Haller sprechen? Lauf und rufe ihn, ohne daß Herr Rotmund es merkt!“

„Dort kommt er eben nach Haus,“ berichtete die Gürtelmagd, die auf die Straße lugte.

„So gieb mir den dunklen Mantel und noch einmal den Sturz! Ich merke schon, das Ungethüm ist doch zu Mancherlei gut, und ich werde es nimmer ganz von mir thun.“

Sie hüllte sich ein, schlüpfte fort und ereilte den Haller noch an seiner Pforte. Er wandte sich um, da er laut hinter sich schluchzen hörte. Und die Rotmundin rief:

„Habt Ihr schon mein Unglück gehört? Wißt Ihr, daß der Rotmund die Elsbeth Imhofin zur Ehe nehmen wird?“

Wilhalm fuhr zusammen.

„Was redet Ihr für unsinniges Zeug, Frau Rotmundin?“ fragte er athemlos.

„Ach, ich seh, Ihr wißt noch nichts,“ klagte sie zerschmettert. Ja, mit mir ist’s aus. Ich steh beim Stoß; der hat einen Engel aus mir gemacht, und der gemeine Haufen ist um mich herum und darf mich anfassen. Wenn das der Herr Rotmund erfährt – das vergiebt er mir nimmer. Dann steckt er mich in ein Kloster, und unser heiliger Vater in Rom giebt ihm Dispens, und dann nimmt er die Elsbeth zum Weibe; denn sie ist jetzt fast schön. Vielleicht hat sie auch schon eine zärtliche Leidenschaft für ihn, und das hat ihr so gut gethan; schaut sie doch aus wie eine Rose, die ihr Bälgelein gesprengt hat.“

Sie warf durch die vorgehaltnen Hände einen lauernden Blick auf den Freund, und sie sah, daß der Haller auf ihre Rede anbiß, wie an Rothfisch aus der Pegnitz auf den Angelhaken.

Er ballte die Faust.

„Ihr wollt eine zärtliche Leidenschaft in ihren Augen gelesen haben und für Euren Eheherren?“

Sie nickte.

„Das Stücklein wollen wir ihnen vergällen,“ knirschte er und eilte davon.

Die Rotmundin sah ihn den Weg zum Veit Stoß einschlagen und lachte, indem sie flüsterte:

„Er ist eifersüchtig wie ein Pfau, der seinen eignen Schatten neben seiner Henne im Bach erblickt und darob vor Wuth sich ersäuft.“

Dann schlüpfte sie getröstet nach Haus. Sie war überzeugt, der Haller kam ihr zu Hülfe.

In Veit’s Werkstatt drängte sich das Volk.

„Wie sie leibt und lebt!“

„Und nicht das kleinste Läppchen auf dem Haupt!“

„Der muß die eiserne Jungfrau umarmen.“

„Schiebt Euren Schnitzer in den Ofen , daß er zu Asche verbrennt! Das tilgt vielleicht den Zorn der Hochmögenden,“ so rief es durch einander.

„Ich soll mein eignes Kind verbrennen?“ fuhr Meister Veit auf und stellte sich schützend vor den Engel.

Da schritt Wilhalm durch die Thür. Die Menschenmenge theilte sich ehrfurchtsvoll vor ihm und ließ den Weg zum angefochtnen Engel frei. Sie sahen, daß er ein zorniges Antlitz hatte, und meinten nun müsse das Unheil losbrechen.

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