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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

No. 36.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Der Krieg um die Haube.

Von Stefanie Keyser.
(Fortsetzung.)


Die kunstfertigen Meister unter den Laubengängen bemerkten nicht, daß während ihres Gesprächs ein hoher grauer Schatten vorüberglitt, einen Augenblick das Haupt nach ihnen wandte und dann lautlos weiter wandelte, bis er unter dem Portal der Sabaldus-Kirche verschwand.

Der Küster war eben dabei, die Kirche zu schließen. Er brummte, als ein grau verhüllter Mann noch Einlaß begehrte. Aber der Fremde hielt ihm einen Goldgulden hin, der im Lichte des Laternleins hell blinkte, und sprach:

„In den Himmel könnte ich heute um wenige Weißgroschen kommen und biete Euch Gold, wenn Ihr mich nur in die Kirche einlaßt. Wollt Ihr mir den Eintritt verwehren?“

Da ließ der Küster das Goldstück in seine Hand gleiten und schritt ihm voraus, und er hörte, wie sein Begleiter einen tiefen, zitternden Seufzer ausstieß, da er den Raum betrat, der von Weihrauchduft schier erfüllt war.

„Stürmt nit so fürbaß!“ mahnte er. „Ihr stoßt an das Sebaldus-Grab, so sich hier erhebt.“ Und er begann zu erklären: „Seht es Euch an! Es ruht auf Schnecken –“

„Dieweil es allzeit in Nürnberg langsam fürbaß gegangen ist mit dem milden Christenthum,“ sagte der Andere und ging vorbei. Er glitt hastig um die Pfeiler, deren Gipfel schon in Nacht gehüllt war.

„Was wollt Ihr dort in dem abgelegenen Seitenschiff?“ fragte der Küster nacheilend. „Da ist nimmer ein Kunstwerk zu sehen, und Ihr werdet über die Grabsteine stolpern.“

„Es ist wahr, Eure ewige Lampe giebt einen trüben Schein,“ nickte der Fremde. „Wenn Ihr nicht bald gutes Oel aufgießt, wird sie verlöschen. Aber ich finde mich auch ohne sie. Ich kenne den rechten Weg.“

„Es sind allda nur Gedächtnißtafeln von alten Nürnberger Geschlechtern,“ meinte der Küster.

Die Blicke des Fremden irrten über die verblichnen Tafeln. Dann blieben sie an einer derselben haften, und er deutete stumm darauf.

„Die sind ausgestorben,“ erklärte der Küster. Der Fremde zuckte zusammen, jener aber fuhr fort: „Nur eine halbverblühete Jungfrau lebt noch in ihrem Haus am Panierberg. Hat manchen Freier abgewiesen und heißt in Nürnberg nur die herbe Ursel. Sie pflegt keinerlei Umgang mit andern Weibsen, lebt einsam und wird sehr gefürchtet ob ihrer Strenge.“

Der Fremde wandte das Antlitz ab.

„Wollt Ihr die Grablegung von Herrn Dürer sehen?“ fragte der Küster.

Jener schüttelte das Haupt.

„Ich weiß,“ sagte er, fürbaß wandelnd, „wie einem Begrabnen zu Muthe ist, der keine Auferstehung feiern darf.“

Der Küster öffnete eine Pforte.

„Hier geht’s durch die Brautthür.“

Da sah der Andere mit einem seltsamen Blick zu den klugen Jungfrauen auf, die in den Nischen unter gothischen Spitzdächlein standen und ihre brennenden Lampen emporhielten, mit denen sie den Bräutigam erwarteten. Dann stieg er mit unstäten Schritten die Stufen hinab, aber plötzlich tastete er nach einer Stütze. Eine verwitterte Steintafel, die an der Kirchenmauer lehnte, bot sie ihm.

„Nehmt Euch in Acht! der Stein ist hinfällig,“ warnte der Küster. „Er muß gar alt sein. Soll den verlornen Sohn fürstellen, der heimkehrt. Aber kaum könnt Ihr die Umrisse noch erkennen – so abgenutzt hat Wetter und Wind das Bild. Niemand beachtet es mehr. Nur die herbe Ursel betet allhier täglich, wenn sie zur Messe geht.“

Der Fremde beugte das Haupt tiefer und tiefer, und da er sich wieder aufrichtete, sagte der Küster, sein Laternchen hoch hebend:

„Heiliger Sebaldus, wie seht Ihr bleich aus! Kehrt gewiß von mühseliger Pilgerschaft heim und habt keinen Trost funden. Wäre Euch auch gesund, wenn Ihr einen lustigen Rath bei Euch hättet wie Seine fürstliche Durchläuchtigkeit. Der lachte Euch die schweren Steine vom Herzen.“

Unter dem langen graulockigen Bart des Fremden irrte ein bittres Lächeln hin. Aber er schwieg, nickte zum Abschied und ging wieder davon in die Nacht hinaus.

Lautlos glitt er durch die Straßen, in denen zu Ehren des hohen Gastes Feuerpfannen flackernd den Weg erleuchteten. Da lag das kleine windschiefe Haus, „die alte Baracke“, in der er geboren war. Das Giebelfenster hatte die Stube erleuchtet, in der er als Kind, die Schürze der Mutter als Mantel über die Schulter gebunden, den Rathsherrn spielte; seine Mutter hörte lächelnd zu, wenn er Recht sprach zwischen dem getreuen Haushund und der grauen Katze, und sein Vater meinte, seine stattliche Haltung könne Herr Wohlgemuth sich zum Muster nehmen bei den Conterfeis der reichen Patricier, und beide riefen dann den Schutz aller Heiligen für ihn an.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 585. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_585.jpg&oldid=- (Version vom 14.4.2023)