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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

und dieselbe den uncivilisirten einheimischen Horden preisgäbe. Auf Zusicherungen eines Arabi – selbst wenn sie durch achtbare Vermittler und Bürgen unterstützt werden sollten – darf schwerlich irgend welches Gewicht gelegt werden, und so stehen wir zur Zeit machtlos der Möglichkeit gegenüber, unsere Interessen durch eine fanatisirte Beduinenschaar oder durch plünderungssüchtige Truppen des ägyptischen Prätorianerführers auf’s empfindlichste geschädigt zu sehen.[1]

Mag aber hiergegen auch die Erfahrung einigen Trost gewähren, daß höherer Muth und Unternehmungsgeist selten in solchen Schaaren anzutreffen ist, wie sie auf ägyptischer Seite im Felde stehen, und daß schließlich in solchen Fällen eine gewisse Scheu vor der Ueberlegenheit der Europäer das Aeußerste zu verhindern pflegt, so hat man doch eine andere Gefahr bis jetzt kaum in’s Auge gefaßt, die nämlich, daß fortdauernde Wirren eine Vernachlässigung der Unterhaltungsarbeiten am Canal zur Folge haben können. In dieser Beziehung ist leider schon arg gesündigt worden, und ohne Noth; denn von den 50 Millionen Franken, welche die Abgaben der passirenden Schiffe für jedes der letzten Jahre betragen haben, bleiben auch bei reichlichster Berechnung der Zinsen, Amortisationen und Gelder für einen etwaigen Reservefonds[2] unbedingt Summen übrig, welche eine weit solidere und ausgiebigere Durchführung der Unterhaltungsarbeiten ermöglichen würden, als sie thatsächlich ausgeführt worden sind. Es ist dies ein Punkt, auf den sich die Aufmerksamkeit der europäischen Mächte ebenso sehr richten sollte, wie auf den militärischen Schutz; sonst könnte es sich immerhin ereignen, daß – vielleicht um so eher unter dem Deckmantel politischer Schwierigkeiten – die Anlagen des Canals, von Haus aus nicht ohne alle Mängel, durch eine kurzsichtig-eigennützige Verwaltung in ein Stadium des Verfalls gerathen würden.

Es waren friedlichere Zeiten, als ich zum ersten Male die Fahrt durch den Canal auf einem französischen Postdampfer machte. Der Sturm hatte uns im Mittelmeer einigermaßen mitgenommen und die ungewöhnlich kühle Witterung, welche er gebracht, hielt bis in die Nähe Aegyptens an. Hier aber machte sich wärmere Luft geltend; Nebel und Gewölk verschwanden gänzlich, und bestrahlt von heller Sonne liefen wir am Mittage des 25. Oktober 1879 in Port Said ein. Der Strand, den wir erblickten, war der der Wüste, jener zauberhafte Strand, der den Wissensdrang so manches Gelehrten, der den Muth kühner Reisenden bis zur Opferwilligkeit steigerte, eine Sphinx, die uns nicht ruhen läßt, bis wir ihre Räthsel gelöst, die aber auch dann ihre Anziehungskraft nicht verliert – denn in der That: die Wüste ist schön.

Der blaue Himmel über dem gelben Sande, mit dem der Wind spielte, die Rinderheerde, vom schwarzen Fellah durch Zuruf gelenkt, welche am scheinbar nackten Strande weidete, die Palmen, deren herrliche Kronen sich über Dächer und zwischen Sandhügeln erhoben – all das bestrahlt von einem Lichte, gegen welches selbst das des schönen Hesperiens erbleicht: das war das erste Bild vom Wüstensaume, das sich uns bot.

Einen ähnlich märchenhaften Eindruck ruft Port Said selbst hervor. Gerade, breite Straßen zwischen halb orientalisch gebauten Häusern, die aber auch eine bedenkliche Aehnlichkeit mit Holzbaracken verrathen, machen anfangs wohl einen eher abstoßenden als anziehenden Eindruck. Sieht man aber den Verkehr von Ost und West, Süd und Nord, die Menge der Waarenlager, die Emsigkeit der Handeltreibenden, und mischt man sich gar in das Gewirr der Völker, die vom Aegypter und Araber bis zum Inder und Europäer jeder Zunge und Zone dort vertreten sind, so macht das erste Vorurtheil bald dem Staunen über die Großartigkeit der Anlage dieses Hafenortes Platz. Port Said hat die übrigen Häfen am Canal, selbst Suez, weit überflügelt; vermöge seiner Lage leistet es eben, was keine andere Stadt Aegyptens leisten könnte. Daher entwickelt sich denn dort auch jetzt schon aus dem rein kaufmännischen Getriebe Comfort und Schmuck des Daseins. Im Wüstensande erheben sich Gärten und gewähren oder verheißen doch in Bälde Schatten und Kühlung; europäisches Geistesleben beginnt sich anzusiedeln und selbst die Kunst zeigt sich, wenn auch in schüchternen Anfängen.

Für mich war es nicht ohne Genuß, durch die Straßen zu pilgern und allerhand Einkäufe wohl in derselben Art zu machen, wie dies in den Erzählungen von „Tausend und einer Nacht“, einem zum großen Theil auf ägyptischem Boden erwachsenen Werke, in so unnachahmlicher Naturwahrheit geschildert wird. Begleitet war ich von einem genügsamen Lastträger, der nicht verfehlte, mir seinen Rath hinsichtlich der Wahl der Kaufläden zu ertheilen, einen Rath, der sich meist auch bewährte.

Die Anlage des Hafens gehört nicht zu den geringsten Schwierigkeiten, welche sich der Ausführung des Canalbaues entgegen setzten: lange Schutzdämme, aus großen Steinblöcken gefertigt und doch nur nothdürftig gegen den Wogenprall ausreichend, ermöglichen allein den Aufenthalt der großen Zahl der Schiffe, welche der Erlaubniß zur Einfahrt zu harren pflegen. Mit großen Geldopfern, wenn auch nicht gerade in zweckmäßigster Weise, hat man dem sturmgejagten Seefahrer einen ruhigen Zufluchtsort geschaffen, den ein hoher Leuchtthurm ihm weithin sichtbar macht.

Die Stadt dehnt sich zumeist am westlichen Ufer des Canals aus, sodaß wir am Morgen nach unserer Ankunft, bei Beginn der Canalfahrt, noch viele der stattlicheren Gebäude vor Augen hatten. Es war ein klarsonniger Tag, wie gewöhnlich hier zu Lande. Das Verdeck hatte bereits früher ein doppeltes Dach aus Segeltuch zum Schutze gegen die südliche Sonne erhalten; Kopfbedeckungen von wunderbarer, helmartiger Form, aus dem Marke einer indischen Pflanze hergestellt, kamen zum Vorschein, die größte Wohlthat aber gewährten die – von den Fellahs für billigen Preis zu erkaufenden grauen oder blaugrünen Brillen, die für jeden in Aegypten reisenden Nordländer eine Nothwendigkeit sind, wenn er sich nicht Kopfschmerz und Augenübel zuziehen will.

Zu Beginn der Fahrt lag zu unseren beiden Seiten, namentlich aber rechts von uns, die weite Fläche des Menzalehsees, einer jener Riesenlagunen, die den größeren Theil der Küste des Nildeltas einnehmen, eine seichte, von unzähligen Inseln unterbrochene, von Schwärmen des verschiedensten Geflügels bevölkerte Wasserfläche. Besonders fielen uns die Flamingos auf, deren dichte Schaaren schneeweißen Inseln glichen. Nur mit Hülfe des Fernrohrs konnten wir das helle, röthlich angehauchte Gefieder dieser Thiere erkennen.

Der Postdampfer genoß damals ein gewisses Vorrecht vor anderen Schiffen und glitt ungehindert an den Fahrzeugen vorbei, welche an den Haltestellen auf seine Vorüberfahrt zu warten hatten. So ging es rasch weiter; auf den See folgte eine flache, völlig ebene Wüstenstrecke niedrigen Niveaus; hinter derselben aber zeigten sich, oft mit wunderbar schöner Luftspiegelung, die Dünen – Erg oder Areb – der Wüste, in deren Bereich wir in den Umgebungen des wenig bedeutenden Abu-Ballahsees kamen. Der Wüstensand, der durch die Morgenbrise nicht blos auf’s Verdeck, sondern durch alle Schiffsräume geweht ward, wäre uns hier vermuthlich noch beschwerlicher gefallen, wenn nicht um Mittag der Wind sich etwas gelegt hätte. Nun konnten wir die ferneren Dünenhügel, deren Kamm in fortwährender Bewegung blieb, ungestört betrachten und uns des Anblicks der Kameelheerden und Karawanen erfreuen, welche unserer Vorbeifahrt harrten, um den Canal überschreiten zu können, oder wir konnten unser Mitgefühl einem schwarzbraunen Fellah schenken, der, vom Schweiß überströmt, im heißen Sande watete und an langer Leine mühsam ein Schifflein zog.

Gluthroth sank schon die Sonne, als unser Schiff zwischen den hohen Sanddünen anlangte, welche sich auf dem Wege zwischen dem Abu-Ballahsee und Ismailia befinden. Den Vorschriften gemäß mußten wir hier übernachten, rechts und links vom Wüstensande eingeschlossen, der sich zu beiden Seiten an den Böschungen erhob. Noch eine kurze Frist, und der volle Mond bestrahlte den jetzt ganz weiß erscheinenden Sand. Die tiefste Stille herrschte weit und breit – wir waren allein in der Wüstennacht.

Einen angenehmen Contrast bildete in der That diese Nacht gegen den lärmenden Aufenthalt in den Häfen; noch mehr aber als wir Passagiere empfanden dies die Matrosen, die hier ohne die schweren Plagen des Ein- und Ausladens von Waaren ihre Nachtruhe genießen konnten. Sie waren daher ungewöhnlich vergnügt und unternahmen einen Streifzug an’s Land. Ein Boot ward hinabgelassen, die Schiffstreppe folgte, und alsbald war der Kahn dicht mit Matrosen besetzt, welche an’s Ufer ruderten und Einer nach dem Andern die sandige Böschung erstiegen. Bis über die Kniee sanken sie in den Sand; doch das focht sie wenig an –

  1. Vor der Besetzung des Canals durch englische Kriegsschiffe geschrieben.
  2. Das ganze Capital beträgt etwa 19 Millionen Pfund Sterling, 380 Millionen Mark, von denen zur Zeit ungefähr 30 Millionen amortisirt sein müssen. Rechnet man zu den Amortisationen und Prioritätszinsen von 9 Millionen noch 6 Procent Zinsen, so bleiben 15 Millionen Mark jährlich disponibel.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 579. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_579.jpg&oldid=- (Version vom 13.4.2023)