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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Der dritte Act führt uns wieder auf die Gralsburg zurück. Jahre sind verflossen, und mit den Gralsrittern geht es zu Ende, da Amfortas, um seinen Tod zu erzwingen, seit jenem Tage, wo Parsifal dem Abendmahle zugesehen hat, nicht wieder den Gral enthüllt hat. Da trifft Parsifal wieder ein, wird erkannt, zur Burg geleitet, zum König gesalbt und tritt sein Amt an, indem er Amfortas heilt und erlöst und den Gral wieder enthüllt.

Dies ist in den Hauptzügen der Inhalt des Wagner’schen „Parsifal“. Aus dem vom Hause aus wenig dramatischen Stoffe hat Wagner ein Bühnengedicht geschaffen, das neben manchen unbegreiflichen und verwunderlichen Momenten viele große und ergreifende Züge zeigt.

Die Musik hebt einzelne Partien hoch heraus. Namentlich gilt dies von den beiden Scenen der Abendmahlsfeier im ersten und der sogenannten Scene der „Blumenmädchen' im zweiten Acte. Bei jener hat Wagner zu dem an und für sich schon imposanten Apparate von dreifachen Chören, von Soli und Orchester noch ein Glockengeläute hinzugezogen, das bei den ersten Darstellungen allerdings sehr verstimmt war. Die Scene der Blumenmädchen leitet an die dramatisch wichtige Stelle, wo Parsifal verführt werden soll. An dramatischer Beweglichkeit und sinnlichem Reiz ist sie die stärkste Stelle des ganzen Werkes und ihre Erfindung und ihre Ausführung erregte das ungetheilte Erstaunen aller Zuschauer. Neben diesen beiden Hauptpunkten tritt noch eine Reihe von rein lyrischen Stellen hervor, die durch Schönheit und Charakter der Musik fesseln. Vor Allem gehört darunter die sogenannte „Blumenaue“ im dritten Acte, ein rein idyllisches Intermezzo des Orchesters, während dessen Parsifal seine Freude über den Zauber der vor ihm im jungen Frühling prangenden Landschaft äußert. Verwandt nach Art und Wirkung sind hiermit noch die Stellen, wo Kundry dem Parsifal von seiner Mutter erzählt, eine andere, wo der von Parsifal erlegte Schwan beklagt wird, und die ausgeführteren Instrumentalsätzchen, während welcher der kranke Amfortas durch den Wald zum Morgenbade getragen wird.

In den eigentlichen recitativischen Partien steht der „Parsifal“ hinter den letzten Musikdramen Wagner’s zurück, und die für das System des Componisten so wichtigen Leitmotive fungiren hier wieder mehr wie in seiner ersten Zeit als äußerer Mechanismus; sie werden mit der Weiterführung der Handlung nur wenig in organischer Weise entwickelt.

Das Eine glauben wir constatiren zu dürfen, daß eine Aufführung des „Parsifal“ für Jedermann, was er auch sonst über Richard Wagner und seine künstlerischen Tendenzen denken mag, viel Interessantes bietet. Die Ausstattung und Ausführung des Werkes verdient eine ungetheilte Bewunderung. Die scenischen Bilder, welche geboten werden, gehören zu den stilvollsten und schönsten, welche die Geschichte des Musikdramas kennt, und die Ausführung der Orchesterpartien geschieht in würdiger Weise durch die Münchener Hofcapelle unter Leitung von Hermann Levi. Wie für diesen ist auch für die Sänger ein Ersatz bereit: die hervorragendsten Partien sind sogar dreifach besetzt, und zwar von Künstlern, die verdienten Ruf haben, wie Fräulein Brandt, Frau Materna, die Herren Hill und Scaria. Auch für untergeordnete Nebenrollen sind Künstler von der Bedeutung des Herrn Kindermann verfügbar.

H. Kretzschmar.




Zwei Fahrten durch den Suezcanal.

Zeitgemäße Schilderungen von C. W. E. Brauns.

Als eines der Wunderwerke der Welt darf man wohl den Canal durch die Landenge von Suez bezeichnen, der heute wieder ein Hauptangelpunkt des politischen Interesses geworden ist – man darf ihn als ein Wunderwerk der Welt bezeichnen, nicht etwa weil ein Uebermaß von Schwierigkeiten sich der technischen Ausführung desselben entgegengestellt hätte, nicht etwa weil eine absonderliche Beschaffenheit oder außergewöhnliche Steigerung der Hülfsmittel zur Ueberwindung solcher Schwierigkeiten dabei in Anwendung gekommen wäre, sondern weil dieses so einfache und doch zugleich so kühne Unternehmen dem ganzen Erdball einen ganz ungewöhnlichen Segen spendet; denn erwächst nicht auch den Nationen, welchen wir unsere Cultur und unsere Culturerzeugnisse auf dem Wege des Handels überbringen, erwächst nicht diesen ein gleicher Vortheil, ja ein größerer noch als uns Europäern, aus der unschätzbaren Verkehrserleichterung zwischen Ost und West, welche wir dem Suezcanal verdanken? Wurde nicht erst durch die Eröffnung dieser Seestraße, welche die Entfernung des entlegensten Ostens von den Mittelmeerhäfen ungefähr auf die Hälfte reducirt, die volle, fruchtbringende Einwirkung unserer Cultur auf die Völker des Ostens ermöglicht?

Man wende nicht ein, daß diese Völker sich ohne die europäische Cultur besser befinden würden als mit ihr! Wer Augen hat zu sehen und sie benutzen will, der sieht, wie überall eine menschenwürdige Existenz, verbunden mit dem Streben nach wahrer Wissenschaft und nach Gewährleistung der Menschenrechte, nach allen den Gütern, die Europa sich durch ernste Arbeit und schwere Kämpfe erstritten, den fernen Zonen durch uns geboten wird.

Man wende ferner gegen die hohe Bedeutung des Isthmuscanales nicht ein, daß ja der alte Seeweg nach Ostindien, den vor vierhundert Jahren die Portugiesen entdeckten, den nämlichen Verkehr vermittelt habe! Zeit ist Geld – dies gilt vor allem für den europäischen Kaufmann, der jetzt noch ein volles Vierteljahr auf eine Antwort aus China oder Japan zu warten hat und dem selbst dieser Zeitraum, klein gegen sonst, übermäßig lang erscheint. Dies gilt aber auch umgekehrt für den, welcher am fernen Gestade ängstlich alles dessen harrt, was ihm Europa als nothwendige geistige Nahrung zuführen muß, auf Bücher, Zeitungen und mancherlei andere Dinge, die uns alltäglich erscheinen und die erst die Fremde uns nach Gebühr schätzen lehrt.

Schon aus diesen Andeutungen dürfte zweifellos hervorgehen, daß die Bedeutung des Suezcanals durchaus nicht erschöpfend gewürdigt wird, wenn man nur seinen Nutzen für den Handel in’s Auge faßt. Die Postdampfer Hollands, Frankreichs, Englands durchkreuzen den Isthmus tagaus tagein, nicht blos gefüllt mit Waaren, sondern auch voll von Passagieren aller Nationen.

Traurig, daß wir Deutsche nicht auch solche Postdampfer haben! Leider finden wir die geringe Vertretung Deutschlands im Suezcanal nicht nur auf dem Gebiete des Personenverkehrs, sondern auch auf dem des Handels. Die Statistik des Verkehrs vom Suezcanal, die in den dreizehn Jahren seines Bestehens eine überraschende und bis in die letzten Jahre stetig andauernde Steigerung ausweist, läßt dort die deutsche Flagge erst in sechster oder siebenter Stelle erscheinen, während unser Seehandel sich doch jeder anderen Nation, außer der englischen, mindestens an die Seite stellen darf.

Ein Hauptgrund dieser Seltenheit der deutschen Handelsschiffe im Canal ist allerdings in dem Umstande zu suchen, daß kleine Fahrzeuge – und aus solchen besteht ja unsere Handelsflotte zu einem großen Theile – die schweren Kosten der Durchfahrt durch den Canal scheuen, weshalb denn auch hanseatische Schiffe selbst heutzutage noch oftmals den Weg um das Cap der guten Hoffnung vorziehen; es ist jedoch vorauszusehen, daß dieses Verfahren durch die Allmacht der Concurrenz allmählich in Wegfall kommen muß; denn es läßt sich mit Sicherheit voraussagen, daß in der Entwickelung unserer Handelsmarine ein rascher Fortschritt stattfinden wird, was sich durch die fortwährende Zunahme des Procentsatzes deutscher Schiffe im Canal auch bestätigt.

Wie die Sachen stehen, sind es nun freilich nicht unsere Schiffe, wohl aber im hohen Grade unsere Waaren, welche auch in materieller Hinsicht unsere Aufmerksamkeit auf den Suezcanal lenken und unser eigenstes Interesse gefährdet erscheinen lassen, sobald die kleine Wasserader von Port Said nach Suez unterbunden wird. Ganz abgesehen von dem Antheil, welchen wir am Gedeihen und an der Ausbreitung europäischer Civilisation haben, müssen wir also mit ängstlichem Blicke der Entwickelung der Dinge im Pharaonenlande folgen, die uns ohne den Suezcanal kaum in Spannung versetzen könnten.

Die Gefahr einer Sperrung des Canals ist in der That vorhanden, so lange die gegenwärtigen Zustände andauern. Die dagegen vorgeschlagenen Mittel – namentlich das einer Neutralitätserklärung des Canalgebietes – sind offenbar unzureichend. Ja gerade dieses Mittel könnte verhängnißvoll werden, indem es die für Offenhaltung der Fahrstraße interessirten Europäer zurückhielte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 578. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_578.jpg&oldid=- (Version vom 13.4.2023)