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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

einen kleinen See zu füllen, den man da ausgegraben, und eine Anzahl von Fontainen zu speisen. Das Wasser wird durch ein Pumpwerk aus der Pegnitz gehoben, durch eine Rohrleitung in die Reservoirs an der Maschinenhalle geführt und von da wieder auf die verschiedenen Stellen der Ausstellung und des Parks vertheilt. Die Fontainen, das Pumpwerk, die Rohrleitung, das Gaswerk, das Musikzelt, die verschiedenen Pavillons, die altdeutsche Weinstube, das Empfangsgebäude, alle die Pflanzen und Blumen der baierischen Gartenbau-Vereine – kurz Alles und Jedes ist nicht nur Hülfsmittel, sondern auch selbst wieder Ausstellungsobject, Mittel und Zweck zugleich geworden: es dient der Ausstellung und stellt sich selbst aus.

Bei jedem Schritte hat man als wißbegieriger Tourist auf etwas zu achten. Aber auch bei jedem Schritt wird man stärker beseelt von dem Bewußtsein, daß wir Deutsche nun doch endlich auch das Ausstellen gelernt haben. Ich habe alle europäischen Weltausstellungen seit 1851 mitgemacht. Die anmaßliche Kritik der Erzeugnisse deutschen Gewerbfleißes, die sich in das unüberlegte Wort „Billig und schlecht“ zusammenfaßte, ist stets eine Unwahrheit gewesen (wenigstens in dieser Allgemeinheit). Dagegen ist es wahr, daß der Zollverein, oder Deutschland, trotz aller inneren Tüchtigkeit, es nicht recht verstanden, uns auf eine gute Art angenehm und liebenswürdig zu präsentiren.

Schon die Austellungen in Berlin, Düsseldorf, Breslau und Stuttgart haben uns gezeigt, daß wir jenen früheren Fehler des aschenbrödelhaften Auftretens überwunden haben und unsere Ausstellungen auch in eine geschmackvolle und künstlerische Form zu bringen wissen. Und wo sollte das bester gelingen, als in Nürnberg, in der Stadt der ersten deutschen Kunstschule, oder wenn man lieber will „Malerzunft“, wo zugleich eine Stätte vorhanden war, wie man sie nicht schöner hätte wünschen können?

Ich habe nicht die Absicht, auf die einzelnen Ausstellungsbranchen und Ausstellungsgegenstände einzugehen. Das besorgen die Zeitungen und Fachzeitschriften. Ich will nur eine Gesammtskizze geben, welche die charakteristischen Eigenthümlichkeiten gerade dieser Ausstellung hervortreten läßt.

Zu diesen Eigenthümlichkeiten gehört nun aber vor Allem die Methode der Eintheilung der Gruppen. Diese Eintheilung folgt nicht den Provinzen, Kreisen und Städten; sie folgt auch nicht den Fabrikaten. Sie folgt den Rohstoffen, als da sind: Feldfrüchte, vegetabilische Fasern, animalische Fasern, Felle und Häute, Gummi und Guttapercha, Stein und Horn, Meerschaum und Bernstein, Glas und Thon, Gyps und Cement, Metall und Holz etc. Dies hat zwei Vortheile. Einmal kann man dem ganzen Entwickelungs- und Gestaltungsprocesse folgen: vom Rohproduct zum Halbfabrikat und von diesem zum Ganzfabrikat und den façonnirten Artikeln. Der zweite Vortheil aber ist, daß man hier so recht mit den Händen greifen kann, wie unrecht eine Handelspolitik thut, wenn sie vor Allem darauf ausgeht, die Rohstoffe und Halbfabrikate zu vertheuern; denn dadurch nimmt sie unserer sonst ebenso exportfähigen wie exortbedürftigen Industrie die Möglichkeit, mit dem Auslande zu concurriren.

Eine weitere Eigenthümlichkeit ist der in den Durchgangshallen zum ersten Male gemachte Versuch, die Ausstellungsgegenstände von dem Zuschauer in der Weise abzuschließen, daß diese Objecte die volle Beleuchtung haben, während der Beschauer im Halbdunkel steht. Die beweglichen Glasabschlüsse, deren man sich hierbei bedient, haben allerlei Vortheile: sie gewähren Schutz gegen Beschädigung durch Staub etc. und ersparen dem Aussteller die Ausgabe für den Schrank oder, wie man in neuerer Zeit sagt, für die „Vitrine“.

Diese Schränke- und Vitrinenkosten waren der Gegenstand lebhafter Beschwerden für viele unserer Aussteller und haben zu recht unangenehmen Processen Anlaß gegeben. Doch sprechen wir nicht von solchen „garstigen“ Dingen! Erfreuen wir uns lieber an den Erzeugnissen der Kunst und der Kunstgewerbe, und noch mehr an den frohen Menschen, die bestrebt sind, sich ihrer zu erfreuen, und daneben sich auch leiblich und geistig zu erfrischen! Denn auch dafür ist reichlich gesorgt, sowohl drinnen wie draußen, sowohl in Bier wie in Wein.

Inwendig sind die „Kosthallen“, auswendig die Kneipen die auch hier lokal concentrirt sind, ähnlich wie 1897 in Berlin, wo man die betreffende Fläche des Ausstellungsparkes „die nasse Ecke“ zu nennen pflegte.

Flaniren wir durch die Gruppe I (Gewerbliche Consumtionsproducte für Leben und Haushalt: Nahrungs- und Genußmittel, Mittel zur Beleuchtung, Beheizung, Reinigung etc.), so finden wir eine kleine Menschenanhäufung vor einem riesigen Fasse – freilich nicht so groß wie das auf dem Heidelberger Schlosse, und dabei schön decorirt. Die Menschen blicken in das Faß, welches es Allen angethan zu haben scheint: Jung und Alt – sowohl dem flotten Studenten und dem schneidigen Lieutenant, wie auch dem ehrwürdigen Greis mit dem schwabbeligen Bauche. Was mag wohl in dem Fasse stecken? Ist es der alte Diogenes, welchem König Alexander von Macedonien in dieser etwas ungewöhnlichen Schlafstelle die Ehre seines Besuches erwiesen? Nein, es ist etwas viel Besseres oder wenigstens Schöneres. Es ist die „Schützenliesel“, eine Biernixe so schön und so lustig, wie unser Herrgott nur eine erschaffen. Und man kann darüber streiten, was diese Männer – „den Jüngling wie den Greis am Stabe“ – mehr anzieht, die schöne Liesel oder das schöne Bier. Hier ist nämlich, in und vor diesem Fasse, „die Kosthalle des Bürgerlichen Brauhauses“ in München, und dieses „Bürgerliche Brauhaus“ braut alljährlich für beinahe eine Million Mark Bier und versendet diesen Gerstensaft nach Deutschland, Frankreich, Belgien, Holland und Italien; die Leute scheinen also immer noch nicht dem Orakelspruch, daß „Bier dumm macht“, Glauben zu schenken.

Draußen aber im Parke steht die „Pfälzer Weinstube“, auch das „Altdeutsche Weinhaus“ genannt, ein stattlicher Holzbau mit hohem steilem Schieferdache, innen und außen stilgerecht durchgeführt im deutschen Frührenaissancegeschmack. Die große Weinstube und das kleinere Herrenstüblein im Innern sind schön. Aber noch schöner ist draußen die Veranda, wo man sitzt, wie „unser Herrgott in Frankreich“. So sagen die Pfälzer, die da droben sitzen. Wir aber, wir Andern, die wir nicht die Ehre haben, Pfälzer zu sein, trinken ihnen zu mit dem Wahrspruch: „Fröhlich Palz – Gott erhalt’s!“

Gestärkt mit einem frischen kühlen Trunk „Forster Rießling“, kehren wir wieder zurück in das Hauptausstellungsgebäude. Wir bewundern die ausgestellten Objecte; wir bewundern die Art der Ausstellung. Aber wir amüsiren uns auch, und zwar amüsiren wir uns, nachdem wir nunmehr unser pflichtmäßiges Pensum an Studium erledigt und uns ein wenig aufgefrischt haben, am meisten mit dem Publicum und über dasselbe, und wir haben auch nichts dagegen, wenn wir selbst, die wir ja auch zum Publicum gehören, Gegenstand des Studiums und der Heiterkeit für Andere werden.

„Die Heiterkeit nimmt Keiner krumm;
Denn Einer ist kein Publicum.“

Da steht eine Gruppe Altmühler Bauern, das würdige Elternpaar und eine dralle Dirne, vor der Zeltnische, in welcher sich die Ausstellung der Ultramarinfabrik befindet. Man nennt scherzweise diese Nische die „grotta, d’Azurro“, die blaue Grotte von Capri. Die Frau, neugierig wie Eva’s Töchter sind, ist am weitesten vorgedrungen und im Ausharren unermüdlich. Der Mann nimmt eine beobachtende, vorsichtige Aufstellung in zweiter Linie, indem er seinen baumwollenen Regenschirm krampfhaft umklammert. Das Madl aber hat sich umgedreht vor Erstaunen über dies „blaue Wunder“.

Hier ist wieder eine Bauerngruppe, diesmal aus dem Thale der Pegnitz, aber „Pegnitz-Schäfer“ im literargeschichtlichen Sinne sind es gewiß nicht. Der Mann ist schon etwas von der modernen Nivellirung ergriffen. Die Frauen aber sind noch echtes kräftiges bäuerliches Vollblut. Das zeigt ihr charakteristischer Sonntagsstaat, der heute noch gerade so ausschaut, wie zur Zeit ihrer Großmütter. Anch hier fehlt der Regenschirm nicht; er ist unvermeidlich. Das Wetter ist zwar schön, aber man kann ihm nicht trauen. Und dann hat doch dieser Schirm zwölf Mark gekostet; da kann man ihn doch auch sehen lassen.

„Ach,“ sagte die Großmutter, „haben mir meine guten Enkelkinder vor sechs Wochen den schönen theuren Regenschirm zu meinem Namenstage verehrt, und seitdem hat es noch keinen einzigen Sonntag geregnet. Hab’ ich den schönen Schirm noch gar nicht zum Kirchgang mitnehmen und Staat damit machen können. Das ist doch recht jammerschade!“

Zum Schluß werfen wir noch einen Blick in die Bilderausstellung. Sie leidet ein wenig darunter, daß sich manches Bild ersten Ranges zur Zeit nach auf der Ausstellung in Wien befindet. Prachtvoll ist die Ausstellung des sogenannten „Elitesaales“,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 575. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_575.jpg&oldid=- (Version vom 12.4.2023)