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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

und Erhebungen der früheren Zeit übereinstimmt. Physiologische Forschungen ergaben nun bekanntlich, daß für die Gesundheit des menschlichen Organismus eine bestimmte normale Sauerstoffmenge nothwendig sei, daß dieses Bedürfniß sich nach dem Gewichte des Sauerstoffes richtet, welche Gewichtsmenge aber je nach den Veränderungen des Luftdruckes in einem größeren oder kleineren Volumen von Luft enthalten sei. Es müssen also zur Befriedigung dieses Bedürfnisses verschiedene Mengen Luft eingeathmet werden, je nach dem geringeren oder höheren Luftdruck, und auf der Höhe, wo leichtere Luft ist, natürlich eine größere Luftmenge als am Meeresstrande oder in der Ebene. In Folge dessen übt das Höhenklima einen mächtigen Einfluß auf unsere Athemvorgänge aus, gegen welche jede willkürliche Athmungsgymnastik in der Ebene weit zurücktreten muß, weil beim reichlichen Einathmen von Luft in der Ebene das normale Sauerstoffbedürfniß überschritten und die Bilanz des Stoffwechsels hierdurch gestört wird. Das Höhenklima führt durch seinen ununterbrochenen Einfluß die Einwirkung täglich 24 Stunden lang aus, während die willkürliche Athmungsgymnastik sich nur auf kurze und gegenüber dieser Zeitdauer unbedeutende Fristen zu beschränken hat, wobei die Thätigkeit des Herzens gleichzeitig in höherem Grade angeregt wird. In Europa sterben alljährlich an der Schwindsucht von je einer Million Einwohner nahezu 3000; will die öffentliche Gesundheitspflege diese zahlreichen Opfer verringern, will sie die Schwindsucht wirklich bekämpfen und sich nicht darauf beschränken, theoretisch nur über die Nachtheile zu sprechen, so müssen Volks-Sanatorien auf geeigneten Höhen angestrebt werden, welche nicht nur der geringen Zahl der Wohlhabenden erreichbar und benutzbar sind, sondern welche in erster Linie auch den weit zahlreicheren Hülfsbedürftigen der ärmeren Classen zugute kommen, die jetzt in Folge der beschränkten Mittel der Hülfeleistung vielfach entbehren und dazu verurtheilt bleiben, langsam hinzusiechen.

So Professor A. Vogt. Drei Punkte sind es in diesem Vortrage, welche weiter ausgeführt und zu allgemeinerer Kenntniß gebracht zu werden verdienen, wenn anders die neueren Erfahrungen über die Wirksamkeit des Höhenklimas gegen die chronische Lungenschwindsucht den Nutzen schaffen sollen, der ihnen gebührt. Diese Punkte sind:

1) der durch die verdünnte Luft der Gebirge hervorgerufene mächtige Einfluß auf die Athemvorgänge, die unwillkürliche Athmungsgymnastik; 2) die hierdurch – und wie wir gleich hinzufügen wollen, ganz besonders durch den verminderten Luftdruck – in höherem Grade angeregte Thätigkeit des Herzens; 3) die hieraus resultirende Forderung an die Gesundheitspflege zur Schaffung von Volks-Sanatorien auf geeigneten Höhen für Unbemittelte.

Diese Punkte wollen wir im Folgenden ein wenig eingehender betrachten, und da wirft sich uns zunächst die Frage auf, wie so eine vermehrte Athmungsgymnastik günstig auf die Heilung von chronischen Lungenkrantheiten einwirken kann? Zur Beantwortung derselben müssen wir ein wenig weiter ausholen und uns zunächst klar zu machen suchen, was denn eigentlich die Lungenschwindsucht für eine Krankheit ist, ob überhaupt bei derselben von Heilung die Rede sein kann, wie und wodurch diese Heilung bejahenden Falles zu Stande kommt.

Unter Lungenschwindsucht versteht man eine gewöhnlich auf der Grundlage vorhergehender acuter oder chronischer Krankheiten, wie Typhus, Lungen- und Rippenfellentzündung, Wochenbetten, Bleichsucht, Scrophulose, entstehende und stets mit allgemeiner, wie localer Blutarmuth verbundene Entzündung einer oder mehrerer, mehr oder minder großer Partien einer oder beider Lungen, mit Absetzung eines Exsudates (Ausschwitzung, Ausscheidung) zwischen den Lungenzellen. Auch bei der hitzigen Lungenentzündung findet Absetzung eines Exsudates in den ergriffenen Lungenzellen statt; während aber hier dieses Exsudat gewöhnlich nach Ablauf eines bestimmten Zeitraumes, und zwar meistens nach sieben Tagen durch Lösung und Aufsaugung verschwindet und damit die Krankheit in Genesung übergeht, hat bei der chronischen Lungenentzündung, der sogenannten Lungenschwindsucht, das gesetzte Exsudat gar keine Neigung sich spontan wieder aufzusaugen, sondern stirbt ab und verwandelt sich sammt den ergriffenen Lungenpartien in eine käsige, harte oder weiche Masse, welche ausgehustet werden kann und an deren Stelle Lücken in der Lunge, Höhlungen, sogenannte Cavernen, zurückbleiben. Tritt auch jetzt noch keine Besserung ein, so werden die Höhlenwandungen immer weiter in Eiter verwandelt und ausgehustet; die Lunge wird auf einer größeren Strecke vernichtet, der Körper durch Fieber, Abzehrung, Nachtschweiße immer mehr aufgerieben, sodaß das tödtliche Ende nicht lange auf sich warten läßt.

In günstigen Fällen, aber allerdings ganz selten und nur im Beginn der Erkrankung kommt es vor, daß das Exsudat dennoch aufgesaugt und der Verkäsung der ergriffenen Partien vorgebeugt wird. Häufiger wird die Heilung dadurch bewirkt, daß nach Ausstoßung alles Abgestorbenen die entstandenen Cavernen, die nun eine Geschwürshöhle darstellen, sich mit guten Granulationen (Fleischwärzchen) bedecken, welche sich allmählich in eine nicht mehr eiternde Narbe verwandeln. Auch die Höhle selbst kann ganz verschwinden dadurch, daß die Höhlenwandungen sich an einander legen und zusammenwachsen, sodaß der betreffende Kranke alsdann nur eine Narbe als einziges Zeichen seiner früheren Krankheit in seiner Lunge behält. In anderen Fällen verhärten sich die käsigen Herde zu einer kalkartigen Masse und verbleiben als solche in der Lunge, ohne dem Kranken weitere Belästigung zu verursachen; doch bleibt in diesem Falle stets die Möglichkeit, daß sie sich nachträglich unter irgend einer nachtheiligen Beeinflussung erweichen, das Blut inficiren und Rückfälle veranlassen können.

Es ist durch mikroskopische Untersuchung der ausgehusteten Massen seitens verschiedener Forscher sicher festgestellt, daß dreiundneunzig Procent aller chronisch Lungenkranken an Cavernen leiden, sobald sie zwei bis drei Monate lang krank gewesen sind. Es ist uns dies ein Fingerzeig dafür, auf welche Weise die Natur selbst die Heilung anstrebt; sie sucht alles Fremdartige von sich fernzuhalten oder aus sich zu entfernen; ein abgestorbener Körpertheil ist ihr etwas Fremdes, Schädliches, und sie befreit sich von demselben auf die zweckmäßigste Weise.

Dem Arzte liegt es ob, diesen Fingerzeig zu benutzen; es ist daher seine Pflicht, bei allen Lungenkranken, die schon längere Zeit leidend sind oder an welchen er durch die Untersuchung das Vorhandensein verkäster Herde nachweisen kann, die Erweichung und Aushustung dieser käsigen Massen in einer dem Allgemeinzustande des Kranken angepaßten Weise zu befördern.

Hiermit ist aber seine Thätigkeit noch lange nicht abgeschlossen: er hat des Weiteren dafür zu sorgen, daß die auf diese Weise entstandene Höhlung nicht weiter fresse, sondern sich mit derbem Narbengewebe auskleide, sowie daß nicht neue Exsudationen in bisher gesunden Lungenstrecken Platz greifen.

Nun entsteht die weitere Frage: besitzt denn der Arzt die nöthigen Mittel, welche geeignet sind, die eben geschilderten Vorgänge in den Lungen Kranker zu beherrschen?

Ja, diese Mittel besitzt der Arzt, zwar nicht für alle Kranke, aber doch für eine große Zahl derselben, daß aber diese Zahl nicht eine noch größere ist, daran sind leider nicht selten die Patienten selbst schuld; giebt es doch zahlreiche Lungenkranke, welche sich so spät in ärztliche Behandlung geben, daß nach Ausstoßung alles Abgestorbenen nicht mehr hinreichend gesundes Lungengewebe übrig bleibt, um den Athmungsproceß und damit das Leben auf längere Zeit zu unterhalten; andererseits tritt vielfach die Krankheit von vornherein so heftig auf, ist mit solch hohen Fiebertemperaturen und solchem Darniederliegen aller Kräfte verbunden (galoppirende Schwindsucht), daß man von Anfang an auf Heilung verzichten und sich nur auf Linderung der unangenehmsten Begleiterscheinungen beschränken muß. Immerhin bleibt die Zahl der Schwindsüchtigen, welche die Thätigkeit des Arztes lohnen, eine große.

Welcher Art sind denn die Mittel des Arztes zur Herbeiführung des oben geschilderten Heilungsvorganges? Daß es keine Medicamente sind, welche denselben herbeiführen, leuchtet wohl Jedem ein; durch Medicamente lassen sich höchstens einige lästige Nebenerscheinungen der Schwindsucht mäßigen und mildern. Bevor ich aber das Hauptheilmittel der Schwindsucht näher bespreche, muß ich zum bessern Verständniß der Wirkungsweise derselben noch etwas weiter ausholen, und zunächst die Frage beantworten:

Wie kommt es, daß in einem durch vorhergehende Krankheiten, anhaltende Gemüthsaffecte, schlechte Ernährung oder andere klimatische oder hygienische Verhältnisse geschwächten Körper so leicht und gern eine käsige schleichende Lungenentzündung – Lungenschwindsucht – auftritt? Warum werden andere Organe des Körpers viel seltener durch diese Veranlassungen afficirt?

Das hat zumeist zwei Ursachen: einmal ist die Lage der Lunge eine sehr exponirte, allen Insulten durch die Athmungsluft

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 563. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_563.jpg&oldid=- (Version vom 10.4.2023)