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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

des Neunten die Regierung leitete, den Einfluß des katholischen Geschlechtes der Guisen, welche als Rathgeber der Krone zu hoher Macht gelangt waren, zu brechen und durch Heranziehen der Hugenotten dieselben vom Hofe zu verdrängen. Auch der längst mündig gewordene König war der Vormundschaft seiner Mutter überdrüssig geworden und dachte in allem Ernste daran, sich mit neuen Rathgebern zu umgeben. Die Friedensaussichten wurden schließlich noch durch die Thatsache bestärkt, daß die Königin-Mutter Katharina ihre Tochter Margarethe von Valois dem Führer der Protestanten, Heinrich von Bearn, zur Gemahlin anbot.

So lagen die Verhältnisse, als die Edlen Frankreichs, die Führer der Protestanten und die Stützen der katholischen Partei, nach Paris kamen, um an diesen Hachzeitsfestlichkeiten teilzunehmen. Das Haupt der Katholiken, der Cardinal von Lothringen aus dem Hause Guise, fehlte zwar in dem glänzenden Gefolge, welches nunmehr den König umgab, aber man würde irren in der Annahme, daß auch sein Einfluß in jenen Tagen nichts mehr gegolten hätte.

Schon unter der Regierung Franz des Zweiten, des ersten Gemahls der schottischen Maria Stuart, hatte dieser Cardinal die gesammte Staatsgewalt und insbesondere die Leitung der Finanzen und der auswärtigen Angelegenheiten in seiner Hand.

Nach Franzens plötzlichem Tode, unter seinem elfjährigen Bruder Karl dem Neunten, hörte zwar der unmittelbare Einfluß der Guisen auf, indem sich die Königin-Mutter, Katharina von Medici, der Regentschaft bemächtigte, der Cardinal von Lothringen blieb indessen der einflußreichste Rathgeber am Hofe, obwohl er, planmäßig und seinem Charakter gemäß, nur höchst selten öffentlich hervortrat und sich persönlich fast niemals bei entscheidenden Staatsactionen betheiligte, um desto ungestörter und sicherer an der Verwirklichung seiner religiösen Absichten und Tendenzen thätig sein zu können.

Er stützte seine persönliche Autorität im Staate auf die strenge Handhabung der geistlichen Gesetze und versäumte in keiner Weise seine bischöflichen Pflichten. Schon in frühen Jahren zum Erzbisthum Rheims befördert, unterließ er nichts, was ein großer Prälat thun kann, um sich in seiner Residenz ein unvergängliches Andenken zu stiften. Man pflegte auf ihn das alte Wort anzuwenden: er habe eine Stadt von Lehm vorgefunden und eine von Marmor zurückgelassen; denn er gründete daselbst eine Universität, ein theologisches Collegium, ein Seminar und einen Klosterconvent. Er sorgte dafür, daß die Pfarrer in der Diöcese ihren Dienst gewissenhaft versahen; er predigte selbst zuweilen und hielt von Zeit zu Zeit Provinzialconcilien.

Dieser jüngste von den französischen Cardinälen, obwohl mit den inneren und äußeren weltlichen Verhältnissen überaus vertraut, und obwohl er, seinem fast cavaliermäßigen Ansehen nach, im Benehmen mit jedem Militär hohen Ranges hätte rivalisiren können, beschämte dennoch die andern Prälaten durch schlichten und enthaltsamen Lebenswandel. Hunde und Falken sah man nicht in seinem Hause: alle Jahre zu Ostern zog er sich in ein Kloster zurück, um sich der geistlichen Sammlung und nachdenkenden Uebungen hinzugeben. Er war ein Mann von imponirendem Aeußeren, eine hohe Gestalt, mit breiter, hoher und intelligenter Stirn. Alles hing an seinem Munde, wenn er sprach; verständlich und anmuthig floß ihm die Rede, unterstützt von einem nie fehlenden Gedächtniß. Bei diesen mannigfachen Vorzügen und glänzenden Gaben ließ er gleichwohl die vornehmste Eigenschaft vermissen, welche den Menschen ziert und erhebt, die Selbstverleugnung. Um seinen Willen durchzusetzen und um Macht zu erlangen, waren ihm alle Mittel recht.

So leitete der Cardinal aus der Entfernung seiner priesterlichen Höhe mit unsichtbaren Fäden die Staatsmaschine, und wenn man zuweilen in Ungewißheit geräth, von wo und von wem gewisse Entwürfe und Entschlüsse gekommen, so wird man sie meistentheils, ohne zu irren, auf seinen Einfluß und seine Anregung zurückführen können. Eines unterliegt fast keinem Zweifel: er scheint es sich zur Lebensaufgabe gemacht zu haben, die Feinde der Kirche und insbesondere die Hugenotten zu überlisten.

Zu diesem finsteren religiösen Fanatismus des Mannes gesellte sich der glühendste persönliche Haß gegen die Hugenotten, und vor Allem gegen Coligny, als am 18. Februar 1563 der Bruder des Cardinals und der fähigste Feldherr der katholischen Heere, Franz von Guise, von einem fanatischen Hugenotten mit drei vergifteten Kugeln meuchlings erschossen wurde.

Kaum war das außerordentliche Ereigniß der Vermählung der Margarethe von Valois öffentlich bekannt geworden, so verließ der Cardinal von Lothringen das Land und begab sich nach Rom. Von diesem Momente an bildete die Königin-Mutter das sichtbare Haupt der katholischen Partei in Paris.

Dieser hohen Führerin der Katholiken trat nun am königlichen Hofe das Haupt der Protestanten entgegen, Coligny, ein offener, fester, militärischer Charakter.

Gaspar Coligny, Graf von Chatillon, geboren den 16. Februar 1517 zu Chatillon sur Loing, stammte aus einem alten Geschlecht des hochburgundischen Adels; sein Vater hatte sich zur Seite der Könige Ruf im Kriege und Ansehen im Staate erworben und starb als Marschall von Frankreich. Die Witwe, eine Schwester des Connetable, die sich, so viel man weiß, zu der kirchlichen Abweichung in ihrer allgemeinsten Form hinneigte, hatte es den Beruf ihres Lebens sein lassen, ihre drei Söhne zu erziehen. Von seinen Brüdern war der ältere, obwohl Cardinal, dennoch dem neuen Glauben zugethan. Gaspar dagegen, durch und durch Soldat, kam im Alter von zwanzig Jahren an den Hof Franz’ des Ersten, schloß hier mit François von Guise einen Freundschaftsbund und begleitete in dessen Gesellschaft den König in den Krieg. Heinrich der Zweite ernannte ihn zum General-Obersten der Infanterie, und nach den Feldzügen in Lothringen wurde er, mit Beibehaltung seiner bisherigen Stellung, Admiral. Der Sieg bei Renty vergrößerte seinen Ruhm, entzweite ihn aber mit dem Herzog von Guise, welcher auf die Ehre des Siegers Anspruch erhob.

Nach der Einnahme von St. Quentin wurde Coligny gefangen genommen, und in die Zeit dieser Gefangenschaft setzt man gewöhnlich seinen Uebertritt zur reformirten Lehre. In den Mühen und zumeist Drangsalen des Krieges hätte er wohl auch nicht die Ruhe gefunden zu geistlichen Meditationen. Die Gefangenschaft gab ihm unfreiwillige Muße dazu. Als er durch den Frieden wieder frei geworden war, hat er, nach und nach hervortretend, in seinem Schlosse Chatillon sich ein protestantisches Hauswesen eingerichtet. Calvin stand mit ihm und seiner zweiten Gemahlin Jacobine[1] in Briefwechsel.

Des außerordentlichen Geschickes, dem er entgegen ging, sich früh bewußt, fragte Coligny später diese seine Gemahlin, ob sie Seelenstärke genug habe, das Alles zu tragen, was ihm bevorstehe, Verbannung oder Tod, auch den Ruin ihrer Kinder. Diese Frau war aber nicht minder entschlossen, als er selbst; denn sie entgegnete: Nicht zur Unterdrückung Anderer werde er die Waffen ergreifen, sondern zur Rettung seiner Glaubensbrüder, deren Qual sie nicht schlafen lasse. Gott habe ihm die Wissenschaft eines Capitains verliehen, er sei daher schuldig, sie anzuwenden; wenn er diese Pflicht nicht erfülle, fügte sie feierlich hinzu, so werde sie dermaleinst vor dem Richterstuhl Gottes gegen ihn zeugen.

Für diese Ueberzeugungstreue zollten Coligny aber auch seine Glaubensgenossen das unbedingteste Vertrauen. Sie nannten ihn „die Säule des Calvinismus“, weil er als Führer und Rathgeber auftrat, wenn die Noth das höchste Maß erreicht. Nie zeigte sich der Admiral, der die Weihe eines patriarchalischen Familienhauptes mit dem ritterlichen Wesen eines Kriegsmannes und Feldherrn verband, größer und charaktervoller, als in den Tagen der Bedrängniß. Ueberdies reichten seine Verbindungen weit über Frankreich und über die Niederlande hinaus. Alles, was sich in den Gebieten des Königs von Spanien den protestantischen Meinungen zuneigte, richtete seine Augen auf ihn. Sogar die deutschen Fürsten, welche bei dem drohenden europäischen Brande für sich selbst zu fürchten anfingen, sahen in ihm ihren Vorkämpfer.

Als Coligny zu der Hochzeit am Hofe erschienen war, wurde er mit Freundschaftsbezeigungen überschüttet; der König selbst umarmte ihn, nannte ihn „Vater“ und sagte zu ihm lächelnd:

„Jetzt halten wir Sie fest; Sie werden uns nicht mehr entrinnen.“

Der Admiral wurde in alle Würden, die er früher bekleidete, wieder eingesetzt, und es gehörte zum guten Hofton, ihm die größte Ehrfurcht zu erweisen.

  1. Ueber das tragische Schicksal dieser Märtyrerin des evangelischen Glaubens hat die „Gartenlaube“ bereits im Jahre 1874, Nr. 40, einen kurzen Artikel gebracht, auf den wir hiermit hinweisen. (Anmerkung Wikisource: Vorlage: 1877)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 558. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_558.jpg&oldid=- (Version vom 7.4.2023)