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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Leidenschaft ausartet. Es liegt eben eine unbeschreibliche Selbstbefriedigung in diesen selbstgefertigten Dingen, und zuweilen wird die Eitelkeit noch genährt durch übermäßige Anerkennung und Bewunderung seitens der Umgebung.

Auch die Handwerker werden zuweilen von dieser verhängnißvollen Leidenschaft ergriffen; sie vergessen über ihre Lieblingsarbeiten den Erwerb und die Brodarbeiten, und mir selbst sind Tischlermeister bekannt geworden, die an eingelegten Tischplatten zu Grunde gingen. Weit öfter verbeißt sich natürlich der Laie in seine Liebhabereien, und bei ihm ist das doppelt gefährlich, weil diese in der Regel gar nichts mit seinem sonstigen Beruf zu thun haben. Doch auch diese Gefahr kann mich nicht irre machen; wer wollte eine gute Sache verdammen, weil damit Mißbrauch getrieben werden kann? Auch giebt es Viele, denen das Schicksal in ihrem Beruf wenig Geld und reichlich freie Zeit zumaß; bei ihnen wird diese Leidenschaft zum Segen werden; sie schmücken sich ihr Heim mit selbstgefertigten Arbeiten aus, machen sich’s dadurch lieber und werther und pflegen so unbewußt die Tugend der Häuslichkeit.

Und nun den längst versprochenen Gang nach der neueingerichteten Dresdener Lehrwerkstätte!

Gleich beim Eintritt begegnen wir Meister Clauson von Kaas, dem Ausbauer des Fröbel’schen Erziehungssystems. Der Leser wird den liebenswürdigen und charaktervollen Kopf auf dem beigegebenen Bilde ebenso leicht herausfinden, wie man ihn sofort an Ort und Stelle als das Haupt der großen Werkstätte erkennt. Mit Unverdrossenheit beantwortet er die tausend technischen Fragen seiner dreiundsechszig Scholaren und mit freundlicher Ruhe waltet er seines Amtes bald als Lehrer, bald als Rathgeber, bald als Vermittler oder Schiedsrichter, um darauf sofort wieder an seinen Schreibtisch zurückzukehren; denn er führt genau Buch und Rechnung über Alles, was in der Werkstätte geschieht. Nebenher verfaßt er Repliken und Vertheidigungsschriften für seine Reform – nicht stark und streitbar, aber tief durchdacht und immer getragen von einer wahren und anheimelnden Humanität.

Wir wissen, wir haben keine Meister, sondern Anfänger vor uns, und darum können auch die Einzelarbeiten keinen Anspruch auf eingehende Beschreibung erheben; um so voller genießt das Auge den Gesammteindruck. Vor Allem ist es die großartige Betriebsamkeit, von welcher die ganze Schaar erfaßt worden ist, und dann sind es die eigenartigen Arbeitergruppen. Hier setzt ein Schuldirector seinen Hobel an und hobelt Alles gleich; dort flicht ein würdiger Cantor in derselben feierlichen Haltung, mit der er des Sonntags die Orgel spielt, einen Kartoffelkorb, und daneben setzt ein Candidat der Theologie die Drehbank mit einer so überlegenen Sicherheit in Bewegung, als hätte er im Leben nichts gethan, als Feilenhefte gedreht, und von dem „Schlossersgesellen“, der nach dem Volkslied „gar langsam gefeilt hat“ und der gar nicht so selten sein soll, ist hier keine Spur zu entdecken. Die frohmüthige Rührigkeit hat den Brüsseler Professor van Kalken, den die belgische Regierung nur zur Berichterstattung hierher sandte, so unwiderstehlich ergriffen, daß er selbst den Schurz vorband und die Hemdsärmel aufstreifte, um den ganzen Cursus mitzumachen, und ich habe ihn mit Hobel und Säge hantiren sehen, daß es eine Lust war.

Am Schleifstein. Bildschnitzer. Laubsägearbeiter. Cantor Mohr a. d. Drechselbank.
Papparbeiter. Arbeitssaal. H.N. van Kalken Prof. a. Brüssel. Buchbinder.
Tischler. Rittmeister Clauson v. Kaas. E. Limmer gez. Metallarbeiter. Korbmacher.
An der Drechselbank • Wird die Zeit nicht lang.
Eine Schnitzebank • Schützt vor Müßiggang.
Originalsprüche d. Dresdner Schülerwerkst.

Der Handfertigkeits-Cursus für Lehrer in dem großen Saale des alten Cadettenhauses zu Dresden.
Für die „Gartenlaube“ gezeichnet von E. Limmer.

Die Theilnehmer zahlen für den sechswöchentlichen Cursus insgesammt 40, beziehentlich 60 Mark für Wohnung, für Materialverbrauch und als Lehrgeld; natürlich deckt das die Kosten bei

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 548. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_548.jpg&oldid=- (Version vom 4.4.2023)