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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Nachdem wir uns in Pottenstein an einem schmackhaften Gericht Forellen und ebensolchem Biere gelabt, wandern wir durch das hochromantische Püttlachthal nach dem Orte Tüchersfeld. Dieses Thal leistet an bizarrem Aufbau seiner Felsenmassen das Denkbarste und bietet dem Maler und dem Naturfreunde die reichsten, stets wechselnden Motive, die man von verschiedenen Ruhebänken aus mit aller Muße und nach verschiedensten Richtungen bewundern kann. Am merkwürdigsten gruppiren sich die Felsen in Tüchersfeld selbst. Zumal zwei hohe Kegel sind bemerkenswerth, welche einst mit Burgen bestanden waren, und zwischen welche hinein die Leute ihre Häuser gesetzt haben, während andere gleichsam den Felsen hinankriechen und sich mit Bäumen und Strauchwerk auf den Vorsprüngen des Gesteins höchst seltsam ausnehmen. Wer jemals das Dorf besucht hat, wird in dem einen unserer Bilder (vergl. S. 552) diese Tüchersfelder Partie sofort erkannt haben. Einen hübschen Hintergrund erhält der durch diese Gruppirung höchst eigenartige Ort durch das ein Stündchen entfernte, felsenumgebene Dorf Kohlstein mit Schloß und Kirche.

Bei dem oben erwähnten Dorfe Behringersmühle, zu welchem wir inzwischen zurückgekehrt sind, mündet der Ailsbach in die Püttlach, kurz ehe sich letztere mit der Wiesent vereinigt. Folgen wir diesem Bache thalaufwärts, so gelangen wir nach einer für unser durch Tüchersfeld verwöhntes Auge etwas monoton erscheinenden Wanderung in das wildromantische Rabensteiner Thal, so genannt nach dem uralten, theils in Trümmern liegenden, theils restaurirten Schlosse Rabenstein (nicht mit Rabeneck bei Waischenfels zu verwechseln), das auf 150 Fuß hohem, vielfach geborstenem und in chaotischer Trümmermasse abstürzendem Felsriffe gelegen ist. Am bekanntesten ist Rabenstein, welches eine reiche Sammlung von Petrefacten der Juraformation sowie fossilen Thierknochen besitzt, durch die in nächster Nähe befindliche und mit dem Schlosse durch gefällige Anlagen verbundene Sophienhöhle, die zweite bedeutendste Zoolithenhöhle der fränkischen Schweiz.

Dieselbe hat eine Länge von nicht weniger als 440 Metern, prachtvolle Stalaktiten, welche Decken und Wände in den verschiedensten Formen bekleiden und am günstigsten sich bei Beleuchtung mit Magnesiumdraht präsentiren, sowie einen außerordentlichen Reichthum an Knochenüberresten der ausgestorbenen Thiere. Ein großer Theil derselben ist bereits entfernt; der Rest wird sorgsam gehütet, und besondere Werthstücke werden unter Drahtverschluß gehalten. Die Höhle, eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges, um welche sich der Besitzer im Interesse des besuchenden Publicums bedeutende Verdienste erworben hat, wurde im Jahre 1833 entdeckt, nachdem eine vor ihr befindliche kleine, die Klaussteinhöhle, welche früher mit ihr durch einen schmalen Felsspalt verbunden war und jetzt ihren Eingang bildet, bereits im vorigen Jahrhundert aufgefunden worden ist.

Seitwärts von Gößweinstein befinden sich ebenfalls verschiedene interessante Punkte, welche freilich, weil etwas weiter entlegen, von der Mehrzahl der Touristen außer Acht gelassen werden, obgleich sie an pittoresker Schönheit sich vielen der bisher erwähnten Burgen und Felspartien würdig an die Seite stellen können. Es sind dies unter Anderem Schloß Egloffstein und Burg Wolfsberg, beide im Thale der Trubach gelegen, welche unsern von Ebermannstadt bei Pretzfeld ihre Wasser mit denen der Wiesent vereinigt. Schloß Egloffstein, Stammsitz der noch heute blühenden Grafen und Freiherren von Egloffstein, ist ein stattlicher und wohlerhaltener Bau in imponirender Lage; Wolfsberg hingegen, ein Stündchen weiter thalaufwärts, blickt mit öden Fensterhöhlen und längst gebrochenen, gras- und strauchbewachsenen Mauern in düsterem Ernste auf das gleichnamige Dörfchen zu seinen Füßen.

Auf dem Plateau aber, das sich zwischen dem Thale der Trubach und dem Muggendorfer Wiesentthale ausdehnt, in annähernd gleicher Entfernung von Gößweinstein wie von Wolfsberg, erhebt sich der höchste und umfassendste Aussichtspunkt der fränkischen Schweiz, der Wichsenstein, den jeder Reisende aufsuchen sollte und mit welchem wir unsere Wanderung beschließen wollen. Er ist ein steiler und schroffer Felskegel, der mitten aus dem Dorfe Wichsenstein aufsteigt und auf seinen kühn emporstrebenden Zinnen in früheren Jahren ebenfalls ein Schloß getragen haben soll, weshalb ihn die Ortsbewohner nach heute den Schloßberg nennen. Er ist durch Treppenanlagen ohne große Schwierigkeit zu besteigen und giebt uns einen Ueberblick über die weite Gegend, welche wir bisher durchstreift haben, mit all ihren Eigenthümlichkeiten und ihrer Romantik. Ragende, seltsame Felsen mit gähnenden Schluchten daneben, ist denen unter dunklen Föhren die Wasser rauschen, leuchtende Schlösser auf hoher Warte, graue Ruinen, in den grünen Thälern aber und auf den sonnigen Matten der Bergabhänge Dorf an Dorf und Ort an Ort im Kranze ihrer Obstgärten, überall frisches junges Leben und überall Reste der dunkelsten Vergangenheit – so liegt die ganze fränkische Schweiz vor unseren Augen, ein liebes unvergeßliches Bild, zu dem die fernen Berge des Steiger- und Thüringerwaldes, das Fichtelgebirge und die oberpfälzer Bergzüge den abschließenden, duftigblauen Rahmen bildend.[1]

Sinnig hat unser Künstler einen Strauß von Wald- und Wiesenblumen vor seinem Bilde vom Wichsenstein niedergelegt – auch wir nehmen einen Strauß mit von hinnen, indem wir jetzt unsere Schritte der Heimath zuwenden, einen Strauß der schönsten Eindrücke und tiefsten Anregungen, wie ihn wohl kaum ein anderes Fleckchen deutscher Erde ist gleicher Herrlichkeit und Fülle auf so engem Raume uns binden kann.





Schule und Werkbank.

Von Th. Gampe.

Eine tief eingreifende Reform in der Erziehung, besonders der männlichen Jugend, also eine Culturbewegung ersten Ranges, sendet seit einigen Jahren ihre erfrischenden Fluthwellen auch über unser deutsches Vaterland: man will die Schule mit dem Leben, die Theorie mit der Praxis, das Wissen mit dem Können inniger verschmelzen als bisher, oder mit anderen Worten: man will die Werkbank neben die Schulbank setzen; der Knabe soll die erworbene geistige Intelligenz unmittelbar praktisch bethätigen lernen, man will ihm nicht nur Güter des Wissens, man will ihm auch schwer wiegende materielle Güter mit auf den Lebensweg geben – die Intelligenz der Hand – er soll das Eine durch das Andere stützen, befestigen und erweitern lernen.

Diese Reform, so jung sie auch ist, hat ihre Geschichte, an die ich schon des Raumes wegen hier nicht herantreten kann; wer sie nachlesen will, findet in Nr. 4, Jahrgang 1880 der „Gartenlaube“ einen gedrängten Abriß aus der berufenen Feder Karl Biedermann’s. Hier sei nur wiederholt, daß der kräftigste Anstoß von Dänemark aus erfolgte, daß der gesammte skandinavische Norden mit Einschluß Finnlands unaufhaltsam von der praktischen Idee ergriffen worden ist und daß dort schon zahlreiche Handfertigkeitsschulen gegenwärtig in erfreulicher Blüthe stehen. Die Seele der Bewegung in Dänemark, der rührigste Apostel, wird den Lesern kaum mehr ein Fremdling sein – es ist der dänische Rittmeister Clauson von Kaas.

In Deutschland hat die Reform in den meistbetheiligten, in den Lehrerkreisen, vielfach Opposition wachgerufen, und auch viele Handwerker sehen scheelen Blickes auf die vermeintlichen Rivalen in den Schulwerkstätten; nichtsdestoweniger greift sie doch um sich. In Berlin, in Görlitz, in Emden beschäftigen sich Vereine damit, und in letzterer Stadt konnte bereits vor zwei Jahren ein Cursus mit sechszig Theilnehmern in’s Leben treten, der den Zweck hatte, Lehrkräfte für den Handfertigkeitsunterricht heranzubilden.[2] Den gleichen Zweck, wie in Emden, verfolgt der gegenwärtige Cursus im alten Cadettenhause zu Dresden. Die Initiative hierzu ergriffen fast gleichzeitig die beiden gemeinnützigen Vereine zu Dresden und Leipzig unter Leitung der Herren Stadtrath Bönisch,

  1. Für Touristen, welche die fränkische Schweiz besuchen wollen, dürfte unter den neueren Reisehandbüchern Band 53 von „Grieben's Reisebibliothek“ besonders zu empfehlen sein.
  2. In Leipzig wie in Dresden bildeten sich Lehrer in der Handfertigkeit bei Handwerkern aus, und unter Leitung der Herren Dr. Götze und Director Kunath sind in beiden Städten Schulwerkstätten errichtet worden, die in voller Blüthe stehen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 546. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_546.jpg&oldid=- (Version vom 8.7.2023)