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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Vielleicht gestern schon – heute spätestens mußte die Hochzeit sein. – Was bedeutete es im Grunde auch, ob er Alma noch einmal sah oder nicht? Doch das Herz, wenn ihm bereits viel auferlegt worden, läßt sich nichts mehr nehmen. So bestand auch sein Herz auf diesem Einen, was er eigensinnig wie sein volles Recht empfand – wie ein Scheiden vor dem Tode, wo Alles gestattet ist – Alles. – Und wenigstens der Versuch konnte gemacht werden. Irgendwo, und wäre es auch auf dem Wege zu der Bahn, ließe sich der Wunsch doch erfüllen? – Nur noch ein Sehen!

Trotzdem zögerte Bob und zögerte, schien einmal schon entschlossen, auch jetzt noch fest zu bleiben – dann zog er aber plötzlich die Klingel und befahl dem Reitknecht, für ihn und sich Pferde zu satteln. Sobald der Befehl gegeben war, überkam es ihn wie eine Genugthuung – es war das Rechte gewesen.

Eine halbe Stunde darauf ritt er langsam, wie immer, vom Hofe und grüßte nur mit einem langen Blicke noch die Fenster, die zu Alma’s Zimmer gehört hatten. Erst jenseits des kleinen Friedhofes am Rande des Waldes, wo seine Mutter unter einem Marmorkreuze ruhte, das jetzt groß und feierlich über die entlaubte Dornenhecke emporragte, erst dort begann er rascher zu reiten. Dabei räthselte er zum ersten Male darüber, warum sein Vater ausdrücklich bestimmt hätte, nicht auf diesem Friedhofe begraben zu werden. War seine Mutter auch eine Verlassene gewesen? So früh war sie fortgestorben? Bald aber wandte er sich wieder der Gegenwart zu und grübelte und malte es sich aus, ob und wo er Alma sehen würde.

Schon kurz nach Vier traf er in der Stadt ein. Die Frau seines Verwalters, dem die Sorge für Villa und Garten übergeben worden, erzählte ihm ungefragt, daß heute ja die Hochzeit der gnädigen Frau wäre und dieselbe darauf bestanden hätte, in der Kirche getraut zu werden. Um Aufsehen zu vermeiden, solle die Trauung jedoch erst Abends stattfinden.

In der Kirche wollte sie mit Hollfeld verbunden werden! Bei ihm hatte sie sich in die Trauung zu Hause gefügt. Wie einfach sich nun aber sein Zweck erreichen ließe! – dachte er – in der Marien-Kirche gab es genug Ecken ober Pfeiler, hinter denen verborgen er den Zug vorübergehen lassen konnte.

Er sah an sich nieder: der schmutzbespritzte Reitanzug paßte allerdings kaum zu einer Hochzeitsfeier, und warum nicht selbst im Verborgenen festlich? War es doch eigentlich das höchste Fest seines Lebens!

Mit heiserem Lachen ging er nach seinem Ankleidezimmer. In einem der Schränke mußte noch sein Hochzeitsanzug hängen: wie passend der gerade war! – Ohne sich weiter zu besinnen, suchte er ihn hervor und legte ihn an.

Es war ein eigenes Gesicht – wenig hochzeitlich, das ihm aus dem Spiegel entgegenstarrte. Mehr Ruhe bedurfte er unbedingt. Ein Gang durch den Garten mochte diese Ruhe geben.

Als er hinab kam, fuhr ihm der Wind stärker als vorher entgegen – schien in Sturm übergehen zu wollen. Ihn fröstelte. Dennoch drängte es ihn vorwärts, und er schritt um das Rondel herum nach jener Hauptallee, die dem Meere zulief. Aus der Ferne wogte es grau heran; Meernebel wälzten sich näher – in der ganzen Natur war bald nichts wie Gräue und klagende Laute, als ginge es mit ihr zum Sterben. Ruhe gewann sich da nicht – so trieb es Bob vor der Zeit nach der Kirche.

Das Schweigen hier, die volle Dunkelheit, welche sich bereits über die niedrigen Seitenschiffe gebreitet hatte, berührte ihn wohlthuend: hier in einer Kirchenbank ließ sich Alles ruhig erwarten.

Lang währte es auch nicht mehr, da zündete man Lichter auf dem Hauptaltare an, einen Kronleuchter selbst und einzelne der Lampen an den Pfeilern. Ein Mädchen streute Laub und Blumen im mittleren Gange, und Bob bemerkte, wie auch der Platz am Altare durch hochstämmige Gewächse geschmückt war. Er sah das Alles, wie er meinte, unbewegt – ja er wunderte sich fast, wie viel der Mensch über sich vermöchte. Einmal freilich wollte es ihm auch scheinen, als wäre all sein heutiges Thun und Treiben so seltsam – wie das eines Wahnsinnigen: da drängte es ihn fort; es war ihm, als brenne der Anzug, den er trug.

Schon gingen die Kirchthüren unaufhörlich, und das Geräusch heranrollender Wagen drang näher. Bob erhob sich mühsam und schritt bis an einen Pfeiler, an welchem eine hohe Tafel mit weit ausgezacktem Rahmen hing. Hier mußte er für die im mittleren Gange Hinschreitenden unsichtbar sein, während er selbst Alle sah.

Und fern öffnete sich wieder eine Thür; die Frauen in den vorderen Kirchenbänken blickten der Richtung nach dem Portale zu; dann schleifte und rauschte Seide über die Fliesen hin.

Bob wurde gleichsam ein Sehen; Nichts lebte an ihm als der Blick – und dieser sah dieselbe weiße, umschleierte Gestalt, welche einst neben ihm gegangen war, nun am Arme des Andern hinschreiten. Den Kopf wie damals gesenkt – dennoch schien er anders getragen zu werden. Das Glück macht den Kopf anders senken als die Ergebung. – Hollfeld ging straff aufgerichtet: in seinen Zügen war etwas fest in sich Geschlossenes, mehr Ernst als das Strahlen des Siegers. So hatte er ihn sich gedacht.

Von der Trauung vermochte Bob nichts zu sehen – es drängte ihn auch nicht darnach. Ebenso hörte er nur Hollfeld’s „Ja“, nicht das Alma’s. Gesprochen war es jedoch. Die bald darauf folgende Unruhe der Zuschauerinnen bezeugte es ihm.

Ueber eine kleine Weile sah er den Zug dann noch einmal vorübergehen: jetzt trug auch Alma den Kopf erhoben, und auf ihrem Gesichte lag der Ausdruck, jenes heiße Leuchten, das er nur einmal gesehen, und das er noch einmal hatte sehen müssen.

Man löschte die Lampen: es wurde dunkler; nur in der Ferne tönte noch das Gerassel der Wagen – da schwankte auch Bob aus der Kirche. Der Sturm hatte die Nebel verjagt oder ballte sie in mächtige Wolken zusammen, bis auch die aus einander getrieben wurden und das falbe Licht des letzten Mondviertels niederschimmerte.

Bob kam endlich wieder in der Villa an, geisterhaft blaß und auf Nichts um sich her achtend. Da er schon vorher satteln gelassen, warf ihm der Reitknecht nur den Mantel über, dann sprengten sie vom Hofe. Als Bob die freie Straße gewonnen hatte, ging er in volle Carrière über.

Der Reitknecht vermochte auf seinem weniger tüchtigen Pferde seine Distanz nicht inne zu halten und blieb zurück: das schien Bob zu beabsichtigen – er setzte sein Jagen fort und verschwand beim Beginn des Waldes ganz den Blicken des Dieners.

Es war wohl nicht blos der Wunsch des Alleinseins, der ihn zu seinem wilden Reiten stachelte – die Gährung, in welche er körperlich und geistig immer tiefer hineingerieth, als stimme so Gleiches zu Gleichem. Die klaren Gedanken schwanden mehr und mehr; bald drang nur noch mitunter einer durch: vor Allem das inbrünstige Verlangen, der zu bleiben, als der er sich erwiesen hatte, zu zeigen, daß sein Opfer nicht größer gewesen war, als seine Kraft. Was vermochte ein rechter Mann nicht Alles! – Immer rascher verdämmerten solche Gedanken; es waren bald nicht mehr Gedanken – bloße Visionen noch.

Das junge Pferd, welches er ritt, flog dabei mehr, als daß es den Boden berührte – und flimmerte einmal ein Stamm zu licht, so versuchte er es abzudrängen, bis eine eiserne Faust dazwischen fuhr. Auf der Waldwiese gar, wo überall noch Nebel wie Geister hockten und es in Spukgestalten nebenher trieb, plötzlich emportauchte und dann wieder verschwunden war – da knirschte und schäumte das Pferd im Zügel. Auf dem fliegenden Mantelkoller hatte einmal etwas Weißes gesessen und Bob mit Augen angesehen, als wären es Alma’s Augen: schwarze Flügel waren freilich darüber zusammengeschlagen – und dann wieder bloß Nacht ringsum, vorn hinschlängelnd nur der graue Waldweg, hier und da Lachen von Mondlicht darauf!

Bob vermochte nichts mehr zu denken; selbst die heisere Stimme war endlich verstummt, die von neuem Brautglück zu flüstern gewußt – von einem neuen? Wie es da irre in seinen Gedanken, immer irrer geworden war! Wie es nur noch in lauter Feuerfunken vor seinen Augen blitzte – und der einzige Wunsch ihn beseelte, so fortzurasen – weiter, nur weiter! O bis an’s Ende!

Doch schon lag die Biegung zwischen dem Friedhofe und dem Abhange vor ihm: weich vom Monde beschienen, erglänzte das weiße Kreuz der Mutter. Unwillkürlich richtete er sich höher auf, als wollte er, wie immer, hinübergrüßen, dabei mußte aber auch der Rappe das gespenstische Kreuz erblickt haben – mit einem mächtigen Satze warf er sich nach der anderen Seite. Bob, wieder ganz an irgend ein Phantom von Gedanken hingegeben, verlor den Schluß, die Bügel – ein zweiter Sprung des Pferdes

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 527. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_527.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2023)