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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

„Das wandelbare Ding,“ sagte Elsbeth verächtlich, „sollte mehr Recht haben, als die Eltern, die mit Bedacht wählen?“

„Ich glaube, Ihr würdet auch einen wunderlichen alten Kröpel oder geizigen Wittwer zum Manne nehmen, so Eure Eltern Euch dazu bestimmten,“ höhnte Wilhalm.

Elsbeth war erschrocken über den Einwurf. Aber da sie seinen Zorn sah, wünschte sie – sie wußte nicht, warum – ihn noch mehr aufzubringen und sprach:

„So meine Eltern solches geheischt hätten, würde ich ihnen gehorsamt haben.“

Da wurde er ganz wild.

„Ich sehe wohl, daß Ihr gar nicht wißt, was zärtliche Leidenschaft ist.“

„Zärtliche Leidenschaft?“ fuhr Elsbeth auf, jetzt jäh erröthend. „Nimmer würde sich eine ehrsame Jungfrau so weit vergessen, daß sie ein solch unwürdiges Gefühl hegte. Derlei Leichtfertigkeiten stellen die Maler für und die Schreiber, die Verse schmieden,“ fügte sie wegwerfend hinzu.

„Ihr wollt Euch über die Maler und Poeten stellen?“ rief er voll zorniger Verachtung. „Ihr, die Ihr nur mit Kochtopf und Kunkel bewandert seid, über einen Tizian, einen Petrarca? Hättet Ihr geschaut, wie der Maler gleich einem Fürsten lebt, seine Tochter von Schönheit strahlt wie eine Perle in güldener Fassung! Hättet Ihr einmal in mondheller Nacht auf schwarzer Gondel die Straßen Venezias durchschifft und vernommen, wie die Gondeliere sich die zärtlichen Strophen des Poeten zusingen, dieweil unter dem Baldachin des Fahrzeuges die goldmossirten Gewänder der Frauen blitzen! Dann würdet Ihr wissen, daß es noch etwas Höheres giebt, als Eure steil aufgerichteten Gesetzestafeln über das, was sich schickt und ziemt, und Eure Fertigkeit im Backen und Brauen.“

Sie hatte aufgehorcht. Aber nicht sein bebender Ton, nicht das Neue, was er erzählte, fesselte sie. Nur der Ruhm der welschen Weiber, nur die Mißachtung ihrer selbst drang ihr in’s Ohr und tief in’s Herz. Sie sah ihn forschend an. Er blickte widerwillig auf sie herab.

Da trat sie zurück. Und jetzt lief ein Zucken über ihre Lippen, und ein ernster Blick traf ihn, als sie sprach:

„Ihr seid frei.“

Die alte Imhofin wollte begütigen, aber Elsbeth schritt zum Fenster, Wilhalm nach der Thür. Sie nahm den Wocken in die Hand und ließ die Spindel tanzen.

Wie säuberlich verstand sie den Faden weiter zu spinnen, und wie schroff hatte sie das Verlöbniß gelöst!

Wilhalm verließ das Haus. Er lachte höhnisch auf. Nun war er frei, wie sein Wunsch gewesen. Und die Elsbeth selbst hatte ihm Valet gegeben. Sie hatte sich um ihn gebracht. Mochte sie es tragen! Ihn focht es nicht weiter an.

Aber mit welchem Blicke sie ihn gemessen hatte, als sie ihn frei gab! Als ob sie sich erdreistete, eine unehrerbietige Meinung von ihm zu hegen! Einen Augenblick wallte das Blut seiner fünfundzwanzig Jahre in ihm auf. Er ballte die Faust. Dann aber hob er sein Haupt wieder stolz empor. Er stand ja mit seiner Lebenserfahrung und Weltweisheit hoch über dem, was der Kopf einer Nürnberger Geschlechterin denken konnte, die so trocken, schlicht, hausbacken und derb war wie – er suchte nach einem recht schlimmen Vergleich, aber es fiel ihm kein anderer ein, als: wie das liebe Brod.

Unterdessen waren die Rathsherren von ihrem Rundgang durch die Stadt wieder beim Rathhause angelangt, aber sie beeilten sich noch nicht heim zu kommen, sondern standen betreten umher.

„Ich hab’ einen jämmerlichen Hunger,“ klagte Herr Rotmund; „aber mit dem Spargel wird’s nun nichts.“

„Ich habe seit gestern Mittag keine rechtschaffne Speise in den Magen bekommen,“ gestand der Stadtschultheiß.

„Und wer weiß, wer weiß, was uns heute bevorsteht!“ riefen die Uebrigen sorgenvoll.

„Laßt uns in unsre Trinkstube gehen!“ schlug Herr Imhof vor. „Der Wein vom Rheinfall ist gut dort, und ich weiß, daß gestern eingesalzne Biberschwänze und frische Osterlinge angekommen sind.“

Da zogen Alle in die Zechstube.

Guter Rath kommt nicht allein über Nacht, sondern auch nach einer tüchtigen Mahlzeit.

„Ich werde etwas Schönes einkaufen,“ meinte Herr Rotmund pfiffig, als er satt war. „Ein tapfres Geschenk macht allzeit frohen Muth.“

„Das läßt sich hören,“ riefen die andern Hochweisen, und sie zerstreuten sich in die reichgefüllten Buden und Läden der Stadt.

Am Abend standen die Mägde, mit ihren großen hölzernen Kannen in der Hand, um den Schönen Brunnen, der mit seiner Spitzsäule in den dämmernden Himmel ragte, und zu dem gleichförmigen Rauschen des Wassers klang das Geklatsch über die Aufnahme, welche die tapfren Geschenke bei den Frauen gefunden hatten.

Da war in dem einen Haus ein Kessel von dem neuerfundnen Messing, das wie Gold gleißte und noch in hohem Preise stand, die Treppe hinabgerollt, daß das Ingesinde gemeint hatte, der Türke mit seiner Janitscharenmusik sei hereingebrochen. In einem andern war eine zierliche erzene Bildsäule des heiligen Sebaldus aus der Rothgießerei Peter Vischer’s angelangt, jedoch sogleich wieder als Geschenk an den Pater Aloysius abgeschickt worden. Die Barbaraköchin aber erzählte:

„Bei uns war's am schlimmsten. Als die Frau ein Paar Armbänder anlegte, so ihr der Herr verehrt hatte, verfiel sie in ein großes Geschrei; denn die Smaragden erschienen ihr verblaßt, welches Zeichen allzeit die Nähe von Gift andeutet. Sie rief immerdar, der Sturz hätte sie vergiftet, bis Herr Rotmund Reißaus nahm.“

Mit dem berühmten klaren Wasser wurde der Klatsch über den versuchten Sturz des Sturzes in alle Häuser getragen und verbreitete sich in immer weitren Kreisen, bis er neben dem Gerede von dem bevorstehenden fürstlichen Besuch alle Köpfe und Zungen beschäftigte. In der Trinkstube der Geschlechter wurde bei feurigem Ungarwein nicht eifriger über den Unwillen der Frauen gegen die ehrwürdige Kopfbedeckung gesprochen, als in der Baderstube, wo der Handwerksgesell sich den Bart scheeren ließ, der ehrbare Meister schröpfte, um bei dem großen Ereigniß des Einzugs gegen Wallung und Blutschlag gesichert zu sein. Bis in das Siechhaus drang die Mär und stiftete ein altes Weib an, daß es eines Morgens die Sonne statt mit Nebelschleiern mit einem Sturz verhüllt aufgehen sah, welches schreckliche Zeichen und Wunder am frühen Morgen in allen Backhäusern mit dem frischen, nach Fenchel duftenden Brod zugleich aufgetischt wurde.

Als abermals die Gürtelmagd der Rotmundin einen Rundgang bei den Patricierinnen anhub, sahen ihr die Leute scheu nach wie dem Krieg verkündenden Heerwurm. Der Stadtknecht, der ihr begegnete, schlug ein Kreuz und murmelte in seinen grauen Bart: „Der Regenpfeifer zeigt bös Wetter an für meine hochmögenden Herren;“ und diesen selbst war zu Muthe, als werde eine Knallbüchse in’s Haus getragen, die unvermuthet losprasseln und ihre Papierpfropfen ihnen unter die Nase platzen könne.

Die Frauen aber empfingen die Magd feierlich bei verschlossenen Thüren, und sie sprach:

„Frau Rotmundin redet durch mich; das Losungswort ist nunmehr: Seine fürstliche Durchläuchtigkeit muß helfen, es koste, was es wolle!“

Dann gab es noch langes Flüstern und Raunen. Die Augen der Frauen lachten darnach wunderbarlich aufgeklärt aus den Stürzen, und der Name der Rotmundin ward mit Preis genannt. Die Stirnen der Männer falteten sich immer düstrer. Unheimlich dünkte sie das Geflüster wie das Knistern der Kohlen unter der Asche, unheimlicher fast noch die Gleichgültigkeit ihrer Eheliebsten gegen ihre Schneider. – –

Nur in das Hans der herben Ursel, das sich am Panierberg mit seinem abgestuften Giebel stolz über seine Umgebung erhob, war noch keine Nachricht von dem dräuenden Umsturz gedrungen. Wer hätte sie auch hineintragen sollen?

Selten zog ein Besuch die Glocke an der rundbogigen Pforte, über welcher ein lebensgroßes Gemälde die Himmelskönigin im purpurnen und blauen Gewande mit goldnem Heiligenschein zeigte. Manchmal schritt der Schultheiß, der versippt mit der Besitzerin war, durch den gewölbten Hausflur, die steinerne Wendelstiege hinauf, oder ein andrer Greis aus den Geschlechtern, ein Freund ihres verstorbnen Vaters, auch wohl der alte Beichtvater gingen durch die hallenden Gänge, die nur bevölkert waren von fremdartigem ausgestopftem Gethier, das vor langen Jahren der Vater der Hausherrin von seinen Reisen aus fernen Landen heimgebracht hatte.

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