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verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

(angeschwemmtes Land), theils auf der sandigen Geest (Urboden) belegen, wenn es jene Juwelen nicht aufweisen könnte!

Dieselben blenden und entzücken wohl auch den blasirtesten Touristen, der aller Erdtheile Wunder gesehen. Ist doch die Binnenalster einzig in ihrer Art; wo sonst noch fände man eine Stadt, die einen See von 2300 Schritt Umfang in ihre Mauern einschließt? Ein unregelmäßiges Viereck bildend, auf drei Seiten umschlossen von mächtigen Häuserfronten – theils Patricierwohnungen, theils Hôtels ersten Ranges – auf der vierten Seite von dem grünen Laub der Gartenanlagen des ehemaligen Stadtwalles eingerahmt, gewährt die Binnenalster einen herrlichen Anblick, imposant im Sonnenglanze, märchenhaft schön aber in klarer Mondnacht.

Begeistert singt Geibel im „Fragment“ der Juniuslieder:

„Die Nacht ist lau; die Schwäne kreisen;
Entschlummert scheinen Blüth’ und Blatt;
Lehn’ dich auf des Geländers Eisen –
Dort zeigt am schönsten sich die Stadt.
Siehst du den Häuserkreis, den dunkeln,
Aus welchem tausend Lichter funkeln,
Und tief sich spiegeln in der Fluth?
So ist’s, wenn mit geschliff’nen Kanten
Ein Kranz von blitzenden Demanten
Auf blauen Sammetkissen ruht.“

Die unzähligen Gasflammen auf den Promenaden, verbunden mit der reichen Erleuchtung der Kaufläden und Cafés des „Jungfernstieges“, strahlen, verstärkt durch den in langen Linien zitternden Wiederschein des in leichten Wellen sich kräuselnden Wassers, in so mächtigem Glanze, daß der Irrthum eines kleinen deutschen Fürsten verzeihlich war, welch Letzterer, als er auf abendlicher Durchreise über die Lombardsbrücke fuhr, seinen ihn begleitenden Consul freundlich schalt:

„Aber ich reise doch im strengsten Incognito – weshalb haben Sie eine Illumination veranstaltet?“

Wirkliche festliche Erleuchtungen der meist vier- bis fünfstöckigen Häuser, ferner Böte mit farbigen Lampions, bengalische Flammen und sonstiges Feuerwerk auf dem Wasser bringen hier zauberische Wirkungen hervor, wie sie die Feder auch nicht annähernd zu schildern vermag.

Wesentlich andersartig präsentirt sich die Außenalster. Ihre Umgebung besteht zum weitaus größten Theil aus schmucken Einzelvillen, die kokett zwischen den Baumkronen der Parks hervorlugen; zwischen ihnen und dem Ufer erstreckt sich gewöhnlich noch das „Bowling-Green“, ein nach englischer Art stets kurzgeschoren gehaltener und reichlich bewässerter Rasenplatz von sammetartigem saftigem Grün, zu Cricket, Netzball und dergleichen Spielen geeignet und viel benutzt. Auch im Uebrigen sind diese reizenden Landsitze selbstverständlich mit all den Schätzen der Gartenbaukunst ausgeschmückt, den die Bankconten der „königlichen Kaufleute“ gestatten; hierin wird diese Gegend freilich von einzelnen Villen am Elbufer bis Blankenese, in denen die hervorragendsten Millionenbeherrscher residiren, noch übertroffen. Aber mögen letztere majestätischer sein, idyllischer ist die Außenalster; namentlich ihre Buchten und Seitenarme bieten allerliebste Veduten, unter denen die Umgebung des seinen Namen mit Recht führenden Feenteiches, nahe der „Schönen Aussicht“ auf der Uhlenhorst, als die Perle gelten darf.

Auf diesen tiefblauen Fluthen, in denen sich die weißen Wasserrosen spiegeln, pflegen zartbesaitete Gemüther poetisch gestimmt zu werden. Solche sind indessen in der nüchternen Kaufmannsstadt verhältnißmäßig selten; die Mehrzahl der Einwohner faßt die Vorzüge „ihrer“ Alster aus anderen Sehwinkeln auf, und eine sehr zahlreiche Fraction, Jung und Alt, betrachtet dieselben kaum als etwas Anderes, denn einen ausgezeichneten Tummelplatz für den edlen Wassersport, für Ruder- und Segelregatten.

Beide, nach dem von England gegebenen Vorbilde seit den vierziger Jahren dieses Jahrhunderts hier eifrig cultivirt, bieten die interessantesten Schauspiele auch für den Nichtkenner. Nach vielen Tausenden zählt das zuschauende Publicum, und bei solchen Gelegenheiten geräth der sonst so kalte und reservirt „zugeknöpfte“ Hamburger ganz aus dem Häuschen.

In Momenten, wie dem aus unserer Abbildung (S. 500) dargestellten, bei scharfem Kampfe um die Siegespalme, besonders bei den Ruderconcurrenzen, geberden sich die Menschen am Ufer und auf den längs der Bahn liegenden Fahrzeugen so leidenschaftlich, wie die heißblütigsten Südländer; die unzähligen Zurufe des Beifalls und der Ermunterung bringen einen unbeschreiblichen Lärm hervor, der die Gruppe der Wettbewerber fortwährend begleitet. Selbst solide alte Börsenherren auf den escortirenden Dampfern brüllen unter heftigsten Gesticulationen ihr: „Bravo Jungens! Fest ‚Mathilde‘! Hurrah für ,Titania’!“ und Aehnliches mit vollster Lungenkraft – die ruhigen Bürger sind wie umgewandelt; wer dergleichen je erlebt hat, kann uns bezeugen, daß wir nicht im mindesten übertreiben.

Eine gehörige Dosis von Begeisterung für dieses männlich-kräftigende Vergnügen muß aber auch schon bei den Nächstbetheiligten herrschen, um die großen hier aufgewandten Opfer an Zeit, Mühe und Geld zu ermöglichen. Schon das geschickte Segeln unter bester Verwerthung der Windeskraft und vortheilhaftester Benutzung der Wasserbahn erfordert nicht geringe Uebung und Sachkunde. Vollends aber der Ruderer hat sich zum Wettkampfe durch etwa sechs Wochen außerordentlicher Strapazen und Entbehrungen würdig vorzubereiten, und zwar durch „Trainirung“.

Der junge Mann, welcher „under train“ ist, hat folgende Lebensweise genau zu beobachten: Des Morgens wird so frühzeitig aufgestanden, daß um 5 Uhr die Uebung beginnen kann. Die Mannschaft bringt das Boot, welches während der Zeit der Nichtbenutzung im Boothause auf dem Trockenen und im Schatten lagert, zu Wasser, und während mehrstündiger Fahrt lehrt der „Trainer“, wie man ein Ruder mit der nöthigen Feinheit eintaucht, wie man ihm Schwung und Federkraft giebt, wie ein schneller oder langsamer Schlag auszuüben ist etc.; die Kraftentwickelung allein genügt nicht: Ausdauer, Geschicklichkeit und einheitliches Zusammenwirken sind wesentlichstes Erforderniß. Einige Ruderclubs verschreiben sich eigene „Trainer“ (die das Trainiren als Geschäft betreiben) aus England, was natürlich recht hohe Kosten verursacht, während bei anderen erfahrene ältere Mitglieder die Uebungen leiten.

Der Trainir-Rudertour folgt kalte Abreibung und ein Frühstück, bestehend etwa aus einem Glase Sherry oder Portwein und gehacktem, rohem Beefsteak mit Eigelb; denn der Trainirende hat eine unglaublich strenge Diät zu halten. Er macht eine Art Banting-Cur durch: nichts „Fettbildendes“ darf er zu sich nehmen; beispielsweise Bier, Milch, Zucker, Kartoffeln, Reis, Fett, Mehlspeisen sind ihm verboten. Schwach gebratenes oder rohes Fleisch, weniges in Wasser gekochtes Gemüse, ein Bischen Zwieback oder Cakes sind seine Hauptnahrung; guter, alter Wein in mäßiger Quantität sein Getränk; alles unnöthige Fett soll aus dem Körper entfernt, Sehnen und Muskeln sollen ausgebildet werden. Ferner darf der Trainirende nicht rauchen (schweres Opfer für Manchen!), und muß überhaupt alles Entnervende und jegliche Excesse vermeiden. Daß er diese Gebote hält, dafür bürgt sein Ehrenwort; bräche er dieses, so wäre er natürlich als Mitglied eines Gentleman-Ruderclubs unmöglich und würde unbedingt ausgeschlossen.

Das Trainiren ist übrigens weniger schlimm, als es den Anschein hat; denn an die Entbehrungen gewöhnt sich der junge Mann bald; die harte Arbeit ist dem sonst an das Schreibpult Gefesselten eine angenehme Abwechslung, und reichlich entschädigend wirkt das stete Steigern körperlicher Kraft, deren Vollgefühl ihn schließlich mit unbeschreiblichem Wohlbehagen erfüllt.

Dazu kommt noch als Sporn die Hoffnung, die heiß ersehnte Siegesehre davon zu tragen. Ausschließlich um die Ehre wird jetzt auf den Alsterregatten gekämpft; denn eingelegte Concurrenzen um Geldpreise zwischen professionirten Ruderern (Matrosen, Schiffern), wie sie früher üblich waren, finden nicht mehr statt. Die Ehrenpreise sind gewöhnlich recht werthvoll: silberne und selbst goldene Humpen, Pokale, Tafelaufsätze und dergleichen, für welche die beiden größeren Vereinigungen von Freunden des Wassersports, „Allgemeiner Alster-Club“ und „Norddeutscher Regatta-Verein“, namhafte, nach manchen Tausenden von Mark sich beziffernde Summen aussetzen. Neben den Werthstücken, welche den gewinnenden Clubs anheimfallen, lohnen Medaillen, Tuchnadeln, Ehrenzeichen etc. die einzelnen Sieger.

Ueber die Ruderböte selbst möge Einiges gesagt werden. Man unterscheidet hauptsächlich, abgesehen von kleineren Nuancen, zwischen der „Touren-Gig“ und dem eigentlichen „Race-Boot“. Erstere, von solider Bauart, sechs- und zwölfruderig, dient neben dem Wettrudern auch zu Ausflügen auf die Elbe und die Bille; ein solches flaggen- und wimpelgeschmücktes Fahrzeug, oft zum Schutz der „Passagiere“ nahe dem Steuer noch mit einem hübschen Zeltbaldachin versehen und von den Ruderern in ihrer idealisirten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1882, Seite 499. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_499.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2023)