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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

von zahllosen Booten umschwärmt, aus welchen sich braune, zerlumpte Gestalten erheben und unter Geschrei und lebhaften Gesticulationen den Reisenden ihre Dienste anbieten. Aber man bemerkt unter ihnen auch elegantere Fahrzeuge, deren Bootsleute die Namen der berühmteren Hôtels, wie „Hôtel de l’Europe“, „Hôtel Canal de Suês“ etc. in großen Buchstaben auf der Brust aufgenäht haben; manche von ihnen schwenken auch Fahnen, auf welchen in Riesenlettern die Namen der Gasthöfe zu lesen sind. Kaum hat nach einigen kurzen Formalitäten der Sanitätsofficier das Schiff verlassen, so stürzt diese Rotte auf’s Deck und sucht sich des Gepäcks der Passagiere zu bemächtigen. Da heißt es, ein wachsames Auge zu haben und sich Hab und Gut von diesen Nachkommen der Pharaonen, griechischen und arabischen Sprößlingen nicht verschleppen zu lassen. Bevor wir uns aber unter dem Schutze eines dieser Gesellen der Stadt selbst nähern, werfen wir noch einen Blick auf den Hafen, der eine interessante Vergangenheit aufweist.

Plan von Alexandrien.

Im Alterthum ragten hier zwei Landspitzen gegen die Insel Pharus hervor, welche eine für die Schiffe sichere Bucht bildeten. Heute sucht das Auge dieses Eiland vergebens. Ptolemäus Soter verband nämlich das Festland mit der Insel durch einen mit zwei Durchfahrten versehenen und sieben Stadien (1300 Meter) langen Damm und trennte so den Hafen in zwei Theile, von denen der östliche den Namen der „große Hafen“ erhielt, während dem westlichen, in den wir soeben eingefahren sind, der Name Eunostos (das heißt der Hafen der glücklichen Heimkehr) beigelegt wurde. Dieser nach seiner Länge Heptastadion getaufte Damm, der zugleich den auf der Insel sich erhebenden Stadttheilen als Wasserleitung diente, verfiel mit der Zeit und wurde durch die in’s Meer geworfenen Trümmer der alten Stadt und herangeschwemmten Schlamm in eine etwa 1500 Meter breite Landenge verwandelt. So ist hier die Insel Pharus verschwunden und so entstanden die beiden auf der obigen Karte angegebenen Häfen, von denen gegenwärtig fast ausschließlich der „alte“ benutzt wird, da die Türken den „neuen“ durch Hineinwerfen des Ballastes unbrauchbar gemacht haben.

Es wird mit Recht behauptet, daß für den Touristen ein Tag genügt, um die Sehenswürdigkeiten Alexandriens in Augenschein zu nehmen*[1]. In der That sind auch von dem früheren Glanze der Stadt nur geringe Spuren übrig geblieben, und im Großen und Ganzen trägt sie nur in ihrem nördlichen, arabischen Viertel das orientalische Gepräge, während das nach dem Süden hin sich ausbreitende Frankenviertel sich von den europäischen Städten nicht wesentlich unterscheidet.

Früher ging der Tourist von dem großen Platze des Mohammed Ali, auch Platz der Consuln genannt, welcher mit der Reiterstatue des um Aegypten hochverdienten Regenten, zwei Fontainen und Baumpflanzungen geschmückt ist, an das Meeresgestade, wo in der Nähe des Bahnhofes, auf dem Hofe einer Steinmetzerei, die „Nadel der Cleopatra“ stand und wo neben ihr ein anderer Obelisk auf dem Boden lag. Heute sind diese beiden Sehenswürdigkeiten aus Alexandrien entführt, und der eine Obelisk ist im Jahre 1877 nach London, die Nadel der Cleopatra dagegen im Jahre 1880 nach New-York gebracht worden. Auf dem neblig-ruhigen Themsequai behagt es nicht dem Symbol des glänzenden Sonnenstrahls, und man fürchtet, daß der riesige Stein, der in Aegypten dem Zahne der Zeit durch Jahrtausende trotzte, in London verhältnißmäßig rasch von Wind und Wetter zernagt werden wird.

Wir haben von unserem Consul eine Einlaßkarte zu dem Schlosse des Vicekönigs auf dem Râs-et-Tin, dem Feigencap, erhalten, und nachdem wir an der Pforte desselben noch den üblichen Bakschisch entrichtet haben, treten wir in dasselbe ein. Die Gemächer bieten wenig Interessantes, schön ist dagegen von hier der Ausblick auf das Meer, auf die stillen Gebäude des „Harîms“, den Leuchtthurm und die Festungswerke. Welchen traurigen Anblick mag wohl heute dieses Palais bieten, das englische Bomben in Brand steckten, welchen Anblick die regelmäßigen Forts, deren Leib Hunderte von Geschossen durchwühlten?

  1. Vergl. „Meyer’s Reiseführer durch den Orient“, ein neu erschienenes Buch, dessen Lectüre heute allen denjenigen zu empfehlen ist, die sich über die ägyptischen Verhältnisse zu unterrichten wünschen.      D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 497. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_497.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2023)