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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Rasseln und Klirren, wie arme Gefangene. Doch waren die Ketten von Gold und Silber und legten sich um Hals und Schultern. Auch hatten sie schwere Mühe, mit ihren schleppenden Damaströcken über die hohe Schwelle zu gelangen, aber sie vollbrachten das Stücklein ohne Unfall. Auf dem Haupte trugen sie beide, wie die Rotmundin, jenen Kopfschmuck der Geschlechterinnen, welcher „Sturz“ genannt wurde; es war ein dichtes, weißes Gewebe, das über die Stirn herabhing und sich um das Gesicht schlang. Nur die Augen schauten aus dem Spalt heraus – bekümmert, von sorgenvollen Falten umgeben die der Mutter; still und wie in sich versunken die blauen, von langen blonden Wimpern umsäumten Augen der Tochter. Nach der Begrüßung lüfteten sie die Schleier.

Die lebhafte Rotmundin hatte allezeit eine ärgerliche Anwandlung, wenn sie Elsbeth’s rosiges, aber allzu unbewegtes Antlitz erblickte, und wie immer, suchte sie auch heute nach einem Mittel, das kühle Blut der jungen Patricierin endlich einmal in Wallung zu bringen.

„Setzet Euch in das Chörlein!“ sprach sie zu ihr mit süßem Blick. „Da habt Ihr ein artiges Gegenüber an dem Herrn Wilhalm Haller. Was wäre lieblicher in dieser schönen Welt, als ein Augenspiel zwischen einer holdseligen Jungfrau und einem feinen Junker?“

„Solches würde sich für eine tugendsame Jungfrau nimmer geziemen,“ antwortete Elsbeth mit einer Stimme, die ruhig und antheillos klang, und dabei nahm sie wohl den ihr zugewiesenen Platz ein, saß aber so steif dem Hause gegenüber, als sei sie eine schöne Weihnachtsdocke.

Die Mutter dagegen seufzte und sagte zu der Rotmundin:

„Ihr seid allzeit guten Muthes, liebe Muhme, und scheint Euch leicht in die neuen, schlimmen Sitten zu fügen.“

„Schlimm sind sie halt nit, sondern fürtrefflich,“ antwortete die Rotmundin.

„Fürtrefflich?“ rief die Imhofin empört. „Könnt Ihr es gut heißen, wie der Wilhalm Haller gegen uns einher fährt? Wenn das sein Vater – der allmächtige Gott möge seine arme Seele pflegen immer und ewiglich! Amen! – erlebt hätt’! Der hat immer gemeint: ‚Die Elsbeth halt’ ich hoch, wird einmal eine brave Hausehre werden.‘ Und der Wilhalm war einverstanden. Wenn er auch nimmer um sie herum gegirrt hat gleich einem verliebten Tauber, sondern sich zurückhielt, wie es wohlanständig ist, so hat er ihr doch, bevor er im vorigen Jahre auf Reisen ging, alle Huld erwiesen. Beim Messerertanz machte er ihr Platz unter dem Volk, daß sie die künstlichen Gänge, so die Messerschmiede mit den Schwertern aufführten, genau beschauen konnte, und leuchtete ihr dann sittsam mit der Fackel heim.“

„Und hat er ihr auch aus der Ferne Liebesboten gesendet? Sind Brieflein zwischen dem Paare hin und her geflogen?“ fragte die Rotmundin.

„Einmal kam Botschaft von ihm, da er in Venezia war,“ berichtete die Frau Imhofin. „Unter den Waarenballen und Rechnungen, die er an seinen alten Buchhalter schickte, war ein Brieflein, darin er der Elsbeth zu ihrem Namenstage Glück wünschte und von dem neuen Firlefanz, den er dort gesehen hatte, schier verzückt erzählte. Auch die Elsbeth hat darauf ein Schreiben an ihn abgesendet. Es war wohlgestalt in Anrede und Danksagung. Sie hat darin aufgezählt, wie sie gewachsen sei in mancherhand Geschicklichkeit, wie viele Facinetlein sie ausgenäht und wie sie die Pastete zu backen erlernt habe, die er so gern ißt. Der Imhof hat den Brief dann durchgesehen, und sie hat ihn abgeschrieben fein säuberlich, Frau Bas!“

Die Rotmundin wandte sich an Elsbeth.

„Und habt Ihr dem wohlgestalten Brief auch ein zärtlich Wörtlein beigefügt, das Euer Herr Vater nit erst durchgesehen und in eine künstliche Form gepreßt hat? Oder wenigstens ein Vergißmeinnicht in den Schnörkelzug der Unterschrift?“

„Ihr scherzt,“ antwortete Elsbeth ruhig. „Welche ehrbare Geschlechterin würde so leichtfertige Geckerei üben?“

„O du Abbild der Einfalt!“ dachte die Rotmundin.

„Nein,“ sagte die Mutter, „es war ein Schreiben, an dem der strengste Merker unserer Meistersinger keinen Fehl hätte finden können. Dennoch hat der Wilhalm seitdem geschwiegen, auch jetzt noch mit keinem Schritt unser Haus betreten.“

„Ich kann mir fürstellen,“ dachte die Rotmundin, „daß ihn nimmer verlangt, den langweiligen Tugendspiegel anzuschauen.“

„Ach, das Mannsvolk ist doch eine wahre Schickung für uns Weiber,“ klagte die alte Imhofin. „Wenn sie uns mögen, müssen wir ihnen unterthan sein, und wenn sie uns nit mögen – o je! dann erst! Wenn i nur wüßt’, ob dem Haller – die allerseligste Jungfrau mög’ es verhüten! – der Verspruch leid wäre. Wenn i nur wüßt’!“

Sie seufzte tief auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn mit einem Marderfellchen, das, mit rothem Safian gefüttert, mit goldenen Krallen und Zaum versehen, an einer kostbaren Gürtelschnur hing.

„Wie könnt Ihr nur also reden, Frau Mutter!“ sagte Elsbeth fast vorwurfsvoll. „Ich kenne den Wilhalm; brav ist er, und sein Wort wird er halten. Derohalb aber, daß er so lange Zeit versäumt und Euch so in Bekümmerniß versetzt hat, wollen wir ihm Vorhalt thun, sobald er kommt.“

„Vorhalt?“ lachte die Rotmundin und sah sie fast mitleidig an. „Ihr schaut drein, als säßet Ihr auf dem Richterstuhl, den Haller zu vernehmen gleich einem armen Sünder. Setzt Euch ihm lieber in’s Herz! Von da aus regiert sich’s leichter.“

„Wenn er nur überhaupt kommt!“ seufzte die Mutter. „Denkt nur, was uns geschehen ist! Den Tag nach seiner Ankunft fügten es die heiligen Nothhelfer, daß wir uns in der Hirschelgasse vor dem türkischen Hause der Tucher begegneten. Wir wollten die junge Tucherin im Kindbett besuchen, und der Wilhalm kam vom alten Herrn, der ihn nach Venedig und Augsburg gar wohl empfohlen hat. Ich dachte, er würde uns freudig begrüßen, aber er wandte das Haupt hinweg und ging an uns vorüber. Er machte ein Gesicht – Gott verzeih’ mir die Sünd’! – als sei ihm eine Kröte über den Weg gelaufen.“

Die Rotmundin hatte aufmerksam zugehört. „Trugt Ihr vielleicht die Stürze aus den Köpfen?“ fragte sie spitz.

Die Imhofin starrte sie verwundert an. „Würden wir ohne sie ausgehen? Was denkt Ihr von uns?“

„Daß Euch recht geschehen ist,“ entgegnete scharf die Rotmundin. „Wenn eine Mutter ihrer Tochter einen Kopfputz aufsetzt, aus dem sie herausschaut wie aus einem geplatzten Kürbis, mag sie sich nicht wundern, wenn selbige gleich einem Unhold geflohen wird. Doch tröstet Euch, Frau Bas! Auch Euch wird heute eine frohe Botschaft verkündet werden. Jetzt laßt uns die Frau Schultheißin begrüßen!“

Die stattliche Frau schritt stolz über die Zimmerstufe. Hinter ihr ging ihr Page und trug ihr auf beiden Armen die schwere Damastschleppe nach. Dann zog er sich in den Hausflur zurück, wo die Diener von der Barbaraköchin mit Meth bewirthet wurden. Neue Gäste kamen, die Pfinzingin und Tucherin, die Behaimin und Holzschuherin, und wie alle die großen Patricier hießen.

Nach einer kurzen Weile saßen sie plaudernd um die Tische und naschten von den Leckereien, welche die Gürtelmagd bot. Die jüngeren schäkerten im Erker, unter welchem den Jungfrauen zur Augenweide bald ein Männleinlaufen anderer Art entstand, als das auf der Frauenkirche. Eitle Junker drehten sich in kurzen Röcken, deren seidene Aermel so lang über die Kniee herabhingen, daß die Beatrix Schreyer meinte, sie glichen den Ohren des Helfantthieres, das auf dem letzten Markte in einer Schaubude zu sehen war; übermüthige Chorherren sprangen in goldgestickten Schuhen, riesige Barette auf den Köpfen, zierlich über die Schrittsteine, und auch der junge Mönch zog den Geißelstrick fest über der seidenen Kutte, um seine schlanke Taille zu zeigen.

Da erhob sich ein Krach gegenüber; die geschäftigen Maurer und Zimmerleute stießen ein Stück Fensterwand im Haller’schen Hause ein.

„Heilige Jungfrau, bitt’ für uns!“ schrie es im Chörlein auf, während die Frauenknechte drunten vor dem stiebenden Kalk die Flucht ergriffen.

„Schaut!“ rief die alte Imhofin, „jetzt haben sie den heiligen Florian auf die Gasse gestürzt, der mit seinem Sprüchlein: ‚Schütz’ mein Haus, zünd’ ein andres an!‘ seit Jahrhunderten das Gebäu vor Feuersnoth bewahrt hat. Gedenkt der Wilham das Haus seiner Väter auf den Kopf zu stellen? Den Heiligen wirft er hinaus, aber beim Meister Vischer wird ein Brunnen für ihn gegossen, aus dem ein schamloses Weibsbild steigt.“

„Es ist die Frau Venus,“ berichtigte die Tucherin.

„Ein Name ist kein Gewand,“ verwies sie die Imhofin.

„Er will sein Haus herrichten, wie es jetzt im Land Italia bräuchlich ist,“ erklärte die Tucherin, „mit schnurgeraden Fensterreihen, weiter Eingangspforte und breiten Treppen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 491. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_491.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2023)