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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Auf den leuchtenden Sonnenuntergang war ein bedeckter Tag gefolgt. Etwas gewissermaßen Stillendes hatte sich über die ganze Natur gebreitet, und obgleich kaum ein Lufthauch ging, fielen zahllose Blätter, verdorrte, doch auch gelbe und rothe. Nur höher, elastischer freilich, schienen die ihres Blattschmuckes entkleideten Stämme der Bäume emporzustreben.

Das bemerkte selbst Alma, die schon eine ganze Weile am Fenster gestanden hatte, ohne an Bestimmtes denken zu können, und sie fragte sich im Stillen: ob es den Menschen wohl ähnlich erginge? Wenn aller Schmuck, alle Freude des Lebens fiele, ob auch der Mensch edler würde – höher strebte? Es war für sie wie das Ende, ein Resultat der Gedanken, welche sie über Nacht bestürmt und sie gleichsam reifer – trauriger gemacht hatten. Sie fand aber auch darauf keine rechte Antwort – und so wollte sie sich, müde geworden, wieder zu einer Arbeit niedersetzen, als ihr der Lieutenant von Hollfeld gemeldet wurde. Nur ein stummer Wink gab dem Mädchen die Erlaubniß, ihn hereinzuführen. Sie drückte die Hand auf’s Herz; die Lider senkten sich halb über die Augen; sonst wartete sie, an dem Pfeilertische lehnend, bewegungslos das Eintreten des Officiers ab.

Hollfeld, den Kopf erhoben, kam anfangs rasch auf sie zu, dann verhielt er plötzlich den Schritt und blieb ein Stück vor ihr stehen. Alles, was er sich zurecht gelegt, der feste Vorsatz, es leicht zu nehmen, da sich, trotz der gegentheiligen Andeutungen des Rathes, nach und nach die Ansicht in ihm befestigt hatte, daß die Trennung auch Alma nicht unwillkommen sein könne – das Alles kam ihm bei dem ersten Blick in ihre matten Augen, diese überwachten Züge abhanden. In denen lag nichts als Schmerz – er brauchte also nicht zu heucheln; jede Maske durfte fallen.

Ein paar Augenblicke stand er wenig gefaßter als Alma da, stützte sich sogar einen Moment lang auf die Lehne eines Stuhles – bald hob er jedoch wieder das Haupt, trat der Geliebten näher und sagte mit seiner sonoren, auch jetzt nur weich gedämpft klingenden Stimme:

„Man hat anders über uns bestimmt, als wir gedacht – gehofft hatten! Ein bloßer Traum soll es gewesen sein? Und doch! Wird uns der Traum nicht bleiben? Muß nicht etwas Unvergeßliches davon in uns Beiden weiter leben? – Ihr Vater wollte nichts davon wissen, und er meinte Sie auch zu kennen. O, nun ich Sie gesehen habe, erschien es selbst mir wie Wohlthat, wenn es so wäre.“

Alma erwiderte nichts. Sie hatte wohl kaum auf den Sinn seiner Worte, nur auf die Stimme gelauscht: auf die Stimme, welche sie fortan nie mehr hören sollte. Die Augen weit öffnend, sah sie Hollfeld mit einem Blicke an, in dem sich innigste Liebe und Ergebenheit mit einer Trauer mischte, welche etwas Starres, Verzweiflungsvolles hatte. Bald sich aber gleichsam besinnend, sagte sie eintönig und als wäre es Eingelerntes:

„Mein Vater hat mir ja keine Ausbildung geben lassen, die mich zu etwas Anderem, als zur Hausfrau befähigte. Jedes Verlangen danach schalt er thöricht – da ich heirathen würde.“

„Erlassen wir uns doch jede Entschuldigung,“ wollte Hollfeld abbrechen „die kargen Minuten, welche uns noch –“

„Nein, nein!“ unterbrach ihn Alma mit schmerzlicher Heftigkeit, ich muß von Ihnen hören, daß Sie – wenn auch nicht billigen, was ich nicht einmal hören möchte, daß Sie nur begreifen, warum ich gerade so und nicht anders handeln kann. Mein Vater mag Ihnen das Aeußere gesagt haben, von dem, was es entschieden hat, kann er nichts wissen, sonst hätte er mir nicht so viel angethan. Sie wird meine Mutter – ich habe nicht mehr das Recht zu klagen; dennoch fühle, weiß ich klar, daß hier an meines Vaters Seite gerade für uns Beide kein Platz ist. Ihr ist mein Wesen unsympathisch, wie sie es mir immer gezeigt hat, und ich – ich vermöchte ihre Kühle nicht zu ertragen, nicht dieses ewig Abgemessene. Und ich muß weichen, habe ich mich doch geirrt – mein Vater liebt mich nicht. Ohne ein wenig Liebe von Anderen kann ich aber nicht leben. Es war ja von jeher so! Die Mutter erst, später Freundinnen und dann – Sie.“

Eine Sanftmuth, eine Hingabe hatte in der Art ihres Sprechens gelegen; voll tiefer Erschütterung rief Hollfeld:

„Meine Alma!“

Vergessen war sein Versprechen, vergessen Alles, was er sich abgerungen hatte, um ihrem Glücke nicht im Wege zu stehen. Gab es hier denn ein Glück ohne ihn? Bewiesen nicht ihre Blicke, jedes ihrer Worte, daß sie ihm und nur ihm gehöre?

Doch ehe die paar Schritte bis zu ihr gethan waren, ehe sich die Hand nach der ihrigen ausstrecken konnte, sah er sie zittern und in den Augen wieder das Starre hervortreten, dabei etwas gleichsam Verängstigtes. Und ein unbezwingbares Empfinden wehrte ihm plötzlich jede weitere Annäherung. Erschien Alles auch nur wie Unwillkürliches, gerade daraus meinte er zu ersehen, daß sie sich im Herzen trotz aller Worte ihm nicht mehr zu eigen fühle, von ihr doch wohl bereits überwunden sei, was ihm noch jeden Nerv zucken machte. In einer Nacht überwunden!

Alma begann, zu Boden blickend, von Neuem:

„Nicht mehr Ihre Alma! Bin ich das überhaupt gewesen? Wohl haben Sie sich zu mir herabgelassen, doch an meiner Statt hätte eine Edlere, eine Stärkere stehen müssen, nicht ich armes schwaches Geschöpf.“

Wie im Schluchzen fuhr sie fort:

„Solche Starke hätte wohl auch hier ausgehalten oder wäre in die Fremde gegangen, dienend um ihr Glück – für Sie! Ertragen hätte sie die Vorwürfe, den Kummer des Vaters, seine Bitten verlacht und nur auf das Ende gesehen. Ich – ob ich seit gestern auch gedacht und mich zerquält habe, gebettelt um einen einzigen Ausweg – ich fand nichts. – Aber Sie!“ rief sie plötzlich, wie von neuer Hoffnung belebt, „Sie wissen einen. Ihr Blick sagt es mir! O mein Gott – wäre dieses noch möglich?“

Doch nur Hollfeld’s Liebe hatte sich nochmals emporgerungen. Erschien Alma doch beinahe noch rührender in ihrem Kleinmuth, dieser Schwäche, die einer Stütze so bedürftig war!

Schon faßte er sich aber und sagte mit höchster Selbstüberwindung:

„Auch ich weiß von keinem anderen Auswege, als dem, welcher für Sie der einfachste, der Ihrer Natur allein gemäße ist. Ihr Herr Vater wußte wohl, was er mit dem Abschiednehmen forderte. Hätten wir uns nicht mehr gesprochen, wäre auch in uns vielleicht Etwas zurückgeblieben, das uns immer geklagt: der Andere hätte einen Ausweg gewußt. Und das wäre uns wie ein stetes Weh im Herzen geblieben. Jetzt ist davon nichts möglich: Sie fragten schlicht und klar, und ich muß als Ihr Freund – der darf ich doch bleiben? – ebenso klar antworten: thun Sie nach Ihres Vaters Willen! Es ist so für Sie das Rechte.“

Er mußte bitter lächeln; mehr als solches Zusprechen hätte selbst Ruland nicht fordern können; das würde über eines rechten Mannes Kräfte gehen.

Es drängte ihn nun aber wahrhaft fort; so setzte er hastig hinzu:

„Ihr Herr Vater hat sich so tief in mein Gedächtniß gegraben, daß ich ihn niemals vergessen kann – es bedarf also keines persönlichen Abschieds mehr. Von Ihnen,“ er fuhr sich mit der Hand über Stirn und Augen, „doch ich will und kann mit nichts als Dank scheiden – für Alles, was so schön und hold gewesen. Es mag wohl in jeder Liebe so sein, daß wir viel von uns selbst dazu thun und die Geliebte dann gerade in dieser Gestalt sehen. Bald – bald werde ich Sie auch wieder so sehen; – im Augenblicke nur vermöchte ich wohl gar nicht, Allem gerecht –“

„Auch Sie denken nun klein von mir,“ fiel Alma mit zuckender Lippe ein, „ich fühle es. Doch wie ich dem Vater gesagt habe, daß ich Sie nie vergessen könnte, dieser einzige kurze Sommer mein Sommer gewesen ist, so darf ich es Ihnen sagen, trotzdem ich Bob Zellina – heirathen werde, weil ich muß, wie es so Viele von uns müssen. – Und es mag ja dann auch zum Guten werden, da ich weiß, wie ich dort geliebt bin und man Nachsicht mit mir haben, nichts anderes von mir fordern wird, als daß ich eine getreue Gattin werde. Das ist mein Hoffen.“

„Alma!“

„O haben Sie tausendmal Dank! Das war er ja noch, der alte unvergeßliche Ton.“ Sie faltete die Hände über die Brust. „Jetzt nichts mehr – nichts! Ich weiß nun doch, daß Sie mich trotz all meiner Schwachheit lieb behalten werden.“

„Nur lieb behalten?“ Hollfeld schien sie stürmisch an sich reißen zu wollen – sie hatte aber das Gesicht in den Händen verborgen.

So wandte er sich mit einem Schmerzenslaut ab und verließ, ohne sich noch einmal umzukehren, das Zimmer.



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