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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

weiß, daß ich nie ein anderes Mädchen als Fräulein Alma lieben könnte.“

„Aehnliches hat wohl Jeder einmal gesagt,“ antwortete der Rath, indem er eine Wolke Rauchs vor sich hinblies. „Ich bin später doch anderer Ansicht geworden, habe nicht meine erste Liebe, sondern einfach eine tüchtige Frau genommen, wurde glücklich mit ihr und denke sogar, nebenbei gesagt, bald nochmals zu heirathen. Ueber Sie, Herr von Hollfeld, möchte ich mir natürlich kein Urtheil erlauben – es soll ja Menschen geben, denen die Treue sozusagen im Blute liegt; über meine Tochter habe ich eine ganz bestimmte Ansicht, welche ich mir nicht fortdisputiren lassen würde. Sie ist nur ein Mädchen, wie es Gott sei Dank viele giebt: im Grunde häuslich, schlicht, ein wenig passiv – jedenfalls ohne irgend einen Zug des Heroinenthums. Das Einzige, was sie zu einer Ausnahme stempeln könnte, wäre, daß sie uns so unter den Händen – wie es gekommen, haben wir Eltern nie ganz ergründen können – eine Art von Schönheit geworden ist. Schönheit, wissen wir aber Beide, ist eine zweischneidige Mitgabe: in unserem Fall erschwert sie jede Treue bedeutend, da sie immer von Neuem dazu anreizt, dieselbe auf die Probe zu stellen. Habe ich darin Unrecht?“

„Wenn ich so geliebt würde, wie ich liebe – sicherlich!“ entgegnete Hollfeld, ohne sich zu besinnen. „Wirkliche Liebe läßt eine Versuchung gar nicht aufkommen.“

„Und Sie meinen,“ fragte Ruland zweifelnd, „daß auch meine Tochter eines so ausschließlichen Gefühls fähig wäre?“

„Gewiß! Sie unterschätzen Fräulein Alma.“

„Vom Vater würde das allerdings unverzeihlich sein,“ erwiderte der Rath ironisch. „Es handelt sich aber eigentlich gar nicht darum; wir sind von meinem Thema abgekommen, also – wenn Sie gestatten, zum Ausgangspunkte zurück! Ich würde mich nämlich unter keinen Umständen dazu bereit finden lassen, eine so weit aussehende Brautschaft zuzugeben. Leider lassen sich ja Väter dazu herab: doch wenn Sie sich zwingen könnten, meinen Gründen gerecht zu werden, dürften Sie mir einräumen, daß dergleichen eine menschenunwürdige Quälerei protegirt oder gar gut heißt. Sehen Sie sich heute einmal die beiden Paare an, welche die Stadt von dieser Species besitzt: ich brauche Ihnen keine Namen zu nennen. Das eine Paar ist sieben Jahre verlobt, das andere, denke ich, fünf. Sie haben wohl beide Mädchen nicht jung gekannt?“

Hollfeld schüttelte den Kopf.

„Nun ich kann Sie versichern – Beide waren frisch, anmuthig, voller Reize. Heute sind Beide, Herr Baron, abgehärmt, älterhaft, gleichsam erblichen in Sehnsucht. Die Natur läßt sich einmal nichts Aberwitziges gefallen. Dabei ist für beide Paare noch kein Ende abzusehen, ja der eine der Herren Bräutigams ist wohl eben erst Premier geworden.“

Hollfeld sprang jäh auf, ließ sich aber mit den Worten: „Verzeihen Sie!“ wieder in seinen Sessel fallen.

„Könnten Sie diese ganz ungeschminkte Betrachtung widerlegen?“ fragte der Rath mild.

„Nein!“ knirschte der Officier mehr, als er sprach.

„Und selbst das ist noch nicht Alles,“ fuhr Ruland in demselben Tone fort. „Seit etwa drei Wochen ist der Sohn meines Jugendfreundes, des Commerzienraths Zellina, nachdem er auf Wunsch des kränklichen Vaters seine Stellung bei dem Wiener Bankhause seines Schwagers aufgegeben hat, ganz hierher übergesiedelt. Dieser hatte Alma, glaube ich, nie gesehen oder nur als Kind: in den drei Jahren wenigstens, seit ich hierher versetzt bin, ist er zufällig mit ihr nicht mehr zusammengetroffen. Einen um so rascheren und stärkeren Eindruck scheint sie darum jetzt auf ihn gemacht zu haben – da er bereits um ihre Hand angehalten hat.“

„Und Alma?“ rief der Officier erbleichend.

„Alma werden Sie mir helfen vollends zur Vernunft zu bringen,“ versetzte der Rath wieder schroffer. „Deshalb kam ich her. Außerdem freilich halte ich auch Nichts davon, wenn Zwei ohne Abschied aus einander gehen: es bleibt allzu leicht Etwas zurück, das in einem sensiblen Gemüthe gleichsam nicht sterben kann. Die Erfüllung dieser Wünsche erwarte ich aber von einem Ehrenmann, der es nicht erträgt, daß der leiseste Makel an dem Namen ihm theurer Personen haften bleibt.“

„Wie soll das zusammenhängen? was verlangen Sie?“ fiel Hollfeld empört ein.

„Für mich hängt das insofern zusammen“ setzte Ruland mit besonderem Nachdruck hinzu, „daß ein Mann, welcher es mit der Familien-, der eigenen Ehre so genau nimmt, nicht an fremdem Wohl rütteln, oder gar den Gegenstand seiner Liebe mit in die eigene Misere – Vergebung für das landläufige Wort! – herabzerren kann. Glauben Sie es nur, wenn Alma Ihnen auch das Gegentheil versichert hätte – sie ist nicht für Dulden oder Entbehren und noch viel weniger für dieses schier hoffnungslose Warten geschaffen – über Kurz oder Lang würde sie das bitter machen oder müde. Und wie wollte es eine edle Natur dann tragen, schuld daran gewesen zu sein, daß der Geliebten Glück zerstört worden? Denn für uns ist Bob Zellina’s Antrag ein Glück, das überhaupt mit nichts Anderem aufzuwiegen wäre. Ich gebe zu – nach menschlich irdischem Ermessen.“

Der Rath erhob sich.

In Hollfeld, der mechanisch gleichfalls aufstand, wogte es von den widersprechendsten Gefühlen: ein heißer Schmerz hatte momentan die Oberhand. Zerrinnen, verdämmern fühlte er Alles, was er als sein Heiligstes geachtet hatte. Groll über sie stieg dabei in ihm auf, die ihn schon hingegeben haben mußte, Groll über sich, daß er die Blicke auf Unmögliches gerichtet – bald freilich wieder eine Liebe, ein so innig Umfassen und in sich Aufnehmen, als müßte noch ein letztes Mal ganz empfunden werden, was ihm doch gehört hatte in selig unvergeßlichen Stunden.

Ihr Glück aber? – durfte er ihrem Glücke im Wege stehen? Bob’s Erscheinung, sein Wesen, das ihn neulich selbst so sympathisch berührt hatte, trat noch wie fürbittend vor ihn hin. Auch der liebte, und was konnte er dagegen einsetzen? War es keine Misère, in welche er die Geliebte herabzerren wollte?

Mit einem Blick des Mitleids, halb über sich, halb über das Aermliche seines Heims, dieses getreuen Abbildes von seinem ganzen Sein, streifte er das Zimmer – sah dann nach den dunklen Fenstern hinüber. Fern schrie Etwas: wieder das Käuzchen drüben im Ahorn auf dem Wallgange! Und als müßten die Gedanken etwas haben, das sie von dem Andern ablenkte – so dachte er an gestern Abend, wo er sich vergeblich an dieses Käuzchen herangeschlichen hatte.

Der Rath, welcher einmal durch’s Zimmer gegangen war, blieb aber ungeduldig stehen, und Hollfeld wußte wieder Alles: was eben zu Grabe getragen worden und was von ihm gefordert wurde. Auch erinnerte er sich plötzlich, daß der Rath von einer Wiederverheirathung gesprochen habe: daran knüpfte er an und fragte:

„Natürlich weiß Fräulein Alma, daß sie eine neue Mutter bekommt? Und sie verehrt und liebt die Dame?“

„Das weiß ich nicht,“ entgegnete Ruland achselzuckend. „Als ich ihr eben davon sprach –“

„Eben erst?“

„Ich pflege bei Dingen. die mich allein angehen, selten vorher die Einwilligung der Meinigen nachzusuchen.“

„In einem solchen Fall, wo es sich auch um das Glück – –“

„Selbst nicht in einem solchen Fall!“ unterbrach der Rath kalt. Er wollte dieses Thema damit augenscheinlich erledigt wissen.

Hollfeld durchfuhr ein heftiger Gedanke – dieser Mann hatte etwas beleidigend Gewaltsames in seiner Art! es war aber Alma’s Vater – somit Beherrschung! Und im Recht, in seinem Recht wenigstens, war er auch, so sehr sich das Herz dagegen aufbäumte. Wenn es eine Schuld hier gab – nicht der Vater Alma’s, nicht er selbst oder Alma trugen die Schuld, allein das Verhängniß, ihr Schicksal – wie sie es nennen wollen – das sie zusammengeführt hatte. Die Ehre mußte rein bleiben. Nichts aus Anderer Leid Erwachsenes durfte er sich zu eigen machen. Das ertrüge er nicht – der Mann dort hatte in Allem Recht!

Und Hollfeld richtete sich hoch auf und sagte ohne ein Beben in der Stimme, als beträfe es irgend etwas Gleichgültiges:

„Also wie Sie befohlen haben, Herr Rath – ich werde morgen mein Heil versuchen.“

Ruland sah ihn forschend an, doch in dem umschleierten Blicke des Officiers war nichts zu lesen. Mit einem schweren Händedruck trennten sich die Männer.



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