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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

eine Prise bei ihm, was wohl des Tages mehrmals vorkam, da ich als Führer des ersten Zuges vorn beim Hauptmann ritt, in dessen unmittelbarer Nähe wieder Sturm als erster Trompeter sich aufzuhalten hatte.

Daß unser Held sich beim Ausrücken aus der Garnison mit einer ganz gehörigen Munition an Schnupftabak versehen hatte, braucht wohl nicht erwähnt zu werden.

Wir waren etwa in der Gegend von Soissons angekommen, als Sturm plötzlich einsilbig wurde. Sein langer dunkler Bart hing noch schlechter als gewöhnlich in den Mundwinkeln herab; Sturm sah aus, als ob er bittere Erlebnisse gehabt hätte; er saß nicht, wie sonst, straff im Sattel; er hing auf seiner Sahra wie ein erschossener Mann.

„Was ist Ihnen, Sturm,“ rief ich ihm zu, als wir Morgens anspannten, „sind Sie krank?“

„Herr Lieutenant, der Schnupftabak ist alle geworden,“ antwortete er mit einer wahren Grabesstimme.

„Nun, die Sache wird wohl nicht so schlimm werden,“ meinte ich „vielleicht können wir irgendwo welchen kaufen oder uns schenken lassen.“

Nur ein trübes, ungläubiges Lächeln war seine Erwiderung. Er mochte das ihm bevorstehende Schwere wohl schon ahnen — in der That war trotz aller Bemühungen keine Prise aufzutreiben. Wir näherten uns jetzt Paris; die Einwohner der Ortschaften, durch welche wir zogen, waren größtenteils geflüchtet; die Kaufläden durch Requisition bereits gänzlich geleert oder durch Gesindel aller Art und Marodeurs, die vor unserem Eintreffen die Gegend vor Paris besonders belebten, ausgeplündert. Von da ab wurde Sturm nachlässig, träumerisch, energielos, unzuverlässig — kurz, der alte schneidige Soldat war aus ihm verschwnuden; ja, mehr als einmal mußte er von dem sonst allezeit gegen ihn gütigen Batteriechef hart angefahren werden, was bei Sturm etwas Unerhörtes war. Das plötzliche Versiegen der Quelle langjährigen Genusses hatte den alten Trompeter, wie der Hauptmann sich ausdrückte, „demoralisirt“!

So lagen wir nun schon mehrere Wochen vor Paris, und noch immer war keine Aussicht auf Beendigung des Feldzuges. Sturm hatte sich nicht wieder ermannen können; er blieb, was er seit Pensionirung seines „Torfkastens“ war, „demoralisirt“.

Da wurde eines Tages bekannt gemacht, daß die Feldpost auch Briefe schwereren Gewichtes und kleine Paketsendungen an die im Felde stehenden Truppen befördern dürfe. Frau Sturm, die sonst nicht übertrieben zärtliche und aufmerksame Gattin des alten Haudegens, hatte aber gewußt, womit sie ihren theuren Ehegemahl am meisten erfreuen konnte. Sie schickte umgehend ein einpfündiges Paket seiner Leibprise Bolongaro — „Balloncaro“ — wie Sturm ihn nannte!

Am Abend des Eintreffens jener bedeutungsvollen Sendung — es mochte wohl schon einhalb elf Uhr gewesen sein — lag ich in meiner comfortablen Villa in Montmorency bereits im Bett, als plötzlich hastige, schwere Tritte die Treppe heraufklirrten, in wilder Hast die Thür aufgerissen wurde und eine lange dunkle Gestalt in das Zimmer stürmte.

Bei dem hellen Mondlichte erkannte ich sofort den alten Sturm.

„Was ist los, Sturm, Alarm?“

„Nein, nein, Herr Lieutenant, meine Alte hat eine frische Prise geschickt. Ich wollte nur eine kleine Probe davon bringen.“

In seiner namenlosen Freude hatte der alte vortrefflich erzogene Soldat alle Subordinationsrücksichten vergessen, hatte sich nicht melden lassen, war, ohne zu klopfen, in der Nacht bei mir eingedrungen und stand nun in höchster, freudiger Erregung mit einem Tassenköpfchen voll „Balloncaro“ vor meinem Bette.

Am folgenden Morgen erzählt mir der Futtermeister, dem Sturm wohl seine Aufmerksamkeit gegen mich mitgetheilt hatte:

„Wollen der Herr Lieutenant es wohl glauben? Sturm hat sich gestern Abend gar nicht zu Bett gelegt, sondern sich auf die Treppe gesetzt und bis heute Morgen zum Futterschütten ‚geprist‘!“

Von nun an war Sturm wieder der beste Trompeter und Soldat, den sich die Batterie nur wünschen konnte.

J[WS 1]. A.




C. G. Hellqvist. Dieser Name des in seinem Vaterlande sehr berühmten schwedischen Malers ist auch den Lesern der „Gartenlaube“ wohl bekannt, da wir schon mehrmals Gelegenheit hatten, unser Blatt mit Holzschnittreproductionen seiner trefflichen geschichtlichen Gemälde zu schmücken. Wir erinnern hier nur an das fesselnde Bild „Die Strafe der Prälaten“ (Jahrg. 1880 S. 692 und 693), welches den schimpflichen Einzug des Bischofs Sunanwäder und des Propstes Kunt in Stockholm im September 1526 darstellt und welches sich jetzt im Musenm zu New-York befindet. Indem wir heute unsern Lesern ein anderes hervorragendes Werk des Künstlers (vergl. Seite 448 und 449) vorführen, das ebenfalls der schwedischen Geschichte entnommen ist und den im Hauptblatte ausführlich geschilderten tragischen Tod des Reichsverwesers Sten Sture des Jüngeren auf dem Eise des Mälarsees zur Anschauung bringt, glauben wir, durch die Veröffentlichung nachstehender biographischer Notizen nur einen schon lange gehegten Wunsch der Freunde unseres Blattes zu erfüllen.

Carl Gustav Hellqvist wurde im December des Jahres 1851 zu Kungsör, einem kleinen Dorfe an der Südwestspitze des Mälarsees, geboren. Schon früh zeigte sich in dem lebhaften Knaben die Neigung, alles, was er sah, nachzuzeichnen und Holzfiguren zu schnitzen. Um diesen rohen Gebilden seiner kindlichen Phantasie Leben zu geben, suchte er sich auf alle möglichen Weisen Farbstoffe zu verschaffen, mit denen er seine Producte bemalte. Dies veranlaßte wohl den Vater Hellqvist’s, den inzwischen zwölf Jahre alt gewordenen Jungen zu einem Stockholmer Maler in die Lehre zu geben.

Damit begann für den Künstler die harte Schule des Lebens, in welcher schließlich das Talent des Jünglings alle Hindernisse besiegte. Nach vollendeter Tagesarbeit zeichnete er bis spät in die Nacht hinein und lieferte Illustrationen für mehrere Zeitschriften, um sich die Mittel zum Besuch der Stockholmer Kunstakademie zu verschaffen.

Dieses Ziel zu erreichen, gelang ihm schon mit seinem sechszehnten Lebensjahre, und bald hierauf malte er ein Bild „Auffindung der Leiche Gustav Adolph’s“, das im Holzschnitte reproducirt wurde und die Kunstakademie veranlaßte, den strebsamen und talentvollen Künstler durch Stipendien zu unterstützen. Im Jahre 1875 errang er sich mit dem Bilde „König Gustav Wasa tritt in die Versammlung der sich gegen ihn verschwörenden Bischöfe“ den höchsten Preis der Akademie, und erhielt später das große Stipendium des schwedischen Staates.

Nach einem längeren Aufenthalte in Paris kehrte Hellqvist 1877 nach Stockholm zurück und ging noch in demselben Jahre nach München, wo er sich bis jetzt aufhält. Hier entstanden auch seine in der „Gartenlaube“ reproducirten Bilder.

Das neueste große Gemälde Hellqvist’s: „Die Brandschatzung der Stadt Wisby aus der Insel Gotland“ ist gegenwärtig auf der internationalen Kunstausstellung zu Wien ausgestellt.




Laienhülfe bei Erforschung von Gewittererscheinungen. Die alljährlich wiederkehrenden, oft mit Hagelschlag und anderen verwüstenden Erscheinungen verbundenen Gewitter sind noch so wenig erforscht, daß man bis jetzt keinen klaren Einblick in die Entstehung und Bewegung, sowie das Wesen derselben hat erlangen können. Darum haben auch die zahlreichen meteorologischen Stationen es sich zur Aufgabe gemacht, über diese Naturerscheinung die genauesten Beobachtungen anzustellen und so ein Material zu sammeln, auf Grund dessen man die Bildung der Gewitter mit der größten Sicherheit voraussagen könnte. Der Schaden an Eigenthum wird zwar hierdurch schwerlich verhindert werden können, aber solche Vorhersagen würden genügen, um bei rechtzeitiger Warnung wenigstens Menschenleben zu hüten, da ja die Erfahrung bewiesen hat, daß diesem oft gerade dort Gefahr droht, wo man es kaum erwartete.

Das königlich sächsische meteorologische Institut zu Chemnitz, welches von Herrn Dr. Paul Schreiber geleitet wird, richtet nun in dieser wichtigen Angelegenheit folgende Aufforderung an die Einwohner Sachsens und der angrenzenden Länder:

„Es ist erwünscht,“ schreibt uns der oben genannte Herr, „daß in jeder Stadt und jedem Dorfe und jeder sonstigen bewohnten Ortschaft wenigstens eine Person sich bereit finden könnte, welche sofort nach einer Gewittererscheinung Meldung nach Chemnitz (Adresse: „Meteorologisches Institut in Chemnitz“) gelangen lassen wollte. Nur wenige Worte genügen. ‚Heute fand um die oder die Stunde ein Gewitter statt,‘ das hat für uns schon großen Werth. Wenn dabei aber noch angegeben wird, woher das Gewitter kam, wohin es zog, ob es stark regnete, blitzte und donnerte, woher der Wind vor, bei und nach dem Gewitter kam, welche Zerstörungen angerichtet wurden, so wird dies natürlich um so dankbarer begrüßt werden.

Auf eine Correspondenzkarte läßt sich so ein großes, wichtiges Material zusammenbringen. Aber auch die einfachere Form genügt, und selbst wenige Worte, welche nur das Factum melden, sind erwünscht. Wer sich fern von seiner Heimath befindet, auch er sollte die Gelegenheit, einige Worte auf eine Correspondenzkarte zu werfen und an das meteorologische Institut zu senden, nicht vorüber gehen lassen. Hauptsache ist dabei stets Ort und Zeit. Es möge Niemand glauben, daß die Meldung aus einem andern Orte kommen würde und er dieselbe deshalb unterlassen könne. Es hat sich nämlich gezeigt, daß die Gewittererscheinungen sich oft auf kleine Bezirke beschränken, daß gewisse Gegenden häufig von ihnen betroffen werden, während andere nahe Striche mehr verschont bleiben. Deshalb können nicht genug Beobachtungen eingesandt werden. Die Meldungen werden in unserem Institut auf geeignete Weise verarbeitet und die erreichten Resultate sobald wie möglich zur allgemeinen Kenntniß gebracht werden. Zur Erreichung meines Zweckes muß ich mich an die Redactionen der Zeitungen unsers Landes wenden und dieselben um Unterstützung bitten. Es ist ja die Tagespresse bei uns eine Macht geworden, mit deren Hülfe sich manches wird erreichen lassen, was sonst unmöglich erschien.“

Indem wir diese Aufforderung des Herrn Dr. P. Schreiber auf das Wärmste unterstützen, hoffen wir, daß der in Sachsen und den benachbarten Ländern wohnende Theil unserer Leser sich dieser wenig mühevollen, aber sehr wichtigen und ehrenden Mitarbeiterschaft an der Lösung einer wissenschaftlichen Frage gern und gewissenhaft unterziehen wird. Wir hoffen aber auch, daß andere meteorologische Institute dem Vorgange der Chemnitzer Wetterwarte folgen werden, und erklären uns gern bereit, die betreffenden Adressen an dieser Stelle zur Kenntniß unserer Leser zu bringen. — Es geschieht im Allgemeinen selten, daß Gelehrte vom Fach die große Masse des Volkes zur Mitarbeiterschaft einladen, wo dies aber gewünscht wird, dort sollte das Volk der Aufforderung in gewissenhaftester Weise Folge leisten; denn die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung gereichen schließlich der gesammten Nation zum Nutzen.




Entwischt! (Mit Abbildung S. 453.) Es ist schade, daß man sich nicht in der Seele dieses versteckten Kerls mitfreuen kann und darf — dazu steht gegenwärtig das Vagabundenthum in zu starker, empörender Blüthe — und das ist der einzige Fehler des Bildes. In anderen Zeiten und unter anderen Umständen wurde das Gegentheil stattfinden. Hätten wir ein Bild aus wildbewegter Zeit und in dem plötzlich der Gefahr Entgangenen einen sogenannten „politischen Verbrecher“ vor uns, so schauten auch wir dem davonreitenden Gensd’armen mit dem Lächeln der Genugthuung nach und freuten uns mit dem Geretteten. Wir — sage ich — denn wir setzen voraus, daß unsere Leser allezeit zu denen gehört haben, welche dem Siege der Reaction keine Kränze wanden. In dem vorliegenden Fall bringt uns die Stoffwahl des Künstlers um dieses angenehme Mitgefühl. Dagegen steht es uns frei, zu bewundern, wie stark oft die Fuchsnatur im Menschen ausgebildet ist, und das ist das Interesse, das wir an der gelungenen Darstellung des im Getreideschober verborgenen Schlaumeyers nehmen.


Redacteur: Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Die Großbuchstaben J und I sind nicht zu unterscheiden.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 456. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_456.jpg&oldid=- (Version vom 10.7.2023)