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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Feminas videre non prohibemini, sed eas appetere vel ab ipsis appeti velle, criminosum est.“ („Frauen zu sehen, soll euch nicht verboten sein, aber sie begehren oder von ihnen begehrt werden wollen, ist ein Verbrechen.“)

Ihm wurde heiß, sodaß er den Hut von der Stirn nahm, und doch war die Temperatur des Tages nicht so hoch. Er hätte doch lieber nicht zusagen sollen, und bei seinem innern Zwiespalt dachte er daran, sein Wort wieder zurückzunehmen und sich zu entschuldigen.

Er betrat die Gassen des Städtchens und schritt über den kleinen Markt, wo zwischen den Pflastersteinen das Gras herauswuchs und auf welchem die Kirche stand; er entblößte das Haupt, als er an derselben vorüberging. Die Leute aber öffneten die Schiebefenster in beinahe allen Häusern, und eine Nachbarin flüsterte es der andern zu, als ob es ein Geheimniß bleiben sollte:

„Forbach’s Reinhold ist da,“ und die andere sagte darauf: „Er ist hübsch geworden — das wird ein schöner Pater,“ während ein junges, naseweises Backfischchen vielleicht hinzufügt: „Schade um ihn!“

Fast ganz an dem alten Peters-Thore mit seinen seltsamen, gothischen Zacken, einem Reste aus der Zeit, wo das Städtchen sich reichsfrei nannte, steht ein stattliches Haus mit einem Kaufmannsladen zu ebener Erde, und über dem üblichen hölzernen Citronenkranze ob der Eingangsthür steht mit solider Fractur die Firma: Gabriel Forbach. Hier war der junge Benedictiner zu Hause und war noch dazu der einzige Sohn. Er hatte anfangs Kaufmann werden sollen, die Mutter wollte aber einen Studenten aus ihm machen, und so hatte der Vater gesagt: „Meinetwegen!“, und Reinhold war auf das Lyceum zu den Benedictinern gekommen. Zwei seiner Lehrer waren bigotte, übereifrige Männer und suchten unter den Schülern Proselyten zu machen für ihren Orden; durch Talent und Fleiß ausgezeichnete Jünglinge waren ihnen zumeist verfallen, an sie hingen sie sich mit der Gier des Vampyrs und suchten aus ihren Herzen alle Weltlust und alles Streben nach irdischem Glücke herauszusaugen. So war es bei Reinhold gekommen, und seine Eltern waren mehr erstaunt als erfreut gewesen, als er ihnen seinen Entschluß mittheilte. Der Vater war indeß ein kurzer, resoluter Mann und hatte wiederum gesagt: „Meinetwegen; denn des Menschen Wille ist sein Glück,“ und die Mutter hatte sich getröstet an dem mütterlichen Stolze, der in katholischen Familien so viel daheim ist, einen „geistlichen Sohn“ zu besitzen.

Nun saßen die drei Leute um den gedeckten Tisch in der Wohnstube neben dem Laden; die Mutter nöthigte zu essen und der Vater sah dem Sohne in’s Gesicht.

„Junge, Du bist recht blaß. Wenn Du Dich nicht ganz behaglich fühlst bei der Regel des heiligen Benedict, dann ist mir’s lieber, wenn Du nach etwas Anderem greifst und den schwarzen Rock an den Nagel hängst.“

„Nein, Vater, ich bin ganz zufrieden und wünsche mir nichts Besseres.“

Es war Reinhold, als ob er in dem Augenblicke eine Lüge gesprochen hätte, und doch fühlte er, daß er seiner Ueberzeugung nach nicht anders sagen konnte. Der Alte schüttelte mit dem Kopfe und ging nach seinem Comptoir; die Mutter hatte gleichfalls zu thun, und der junge Benedictiner blieb allein in dem Gemache. Er trat an das Fenster und sah hinaus. Da drüben stand die Villa des Rittmeisters mit ihrer umgrünten Veranda. Wilder Wein wuchs an den weißen Wänden hinauf und rankte sich um die Fenster. An dem einen derselben bewegte sich die schneeige Tüllgardine, und ein Mädchenkopf trat wie ein plastisch-schönes Bild zwischen den Rahmen. Der Kopf, um welchen sich das wellige Haar wie eine duftige Wolke legte, war gesenkt und die Augen hefteten sich wohl auf eine tiefer liegende Arbeit. Reinhold konnte den Blick nicht von dem Bilde abwenden; er stand in der Mitte der Stube und stützte sich mit beiden Händen fest auf die Tischplatte: Ob es wohl doch ein anderes Glück geben mochte, als jenes in der regula S. P. Benedicti? Ob auf jenen sanft gerötheten Wangen, in jenen jetzt niedergesenkten Mädchenaugen nicht auch ein ewigaltes Evangelium geschrieben stand, das da gepredigt ward, so lange Menschen gehen auf der Erde, und das darum auch ein Ausfluß der Gottheit sein muß?

Eva blickte in diesem Momente auf, sie schien herüberzuschauen, und Reinhold ließ jählings die Tischplatte los und murmelte: „Apage, Satanas! Herr, führe mich nicht in Versuchung!“ Er wendete sich ab von dem Fenster und schritt in dem Gemache auf und nieder; ihn faßte Scham und Reue über seine Gedanken, und er beschloß, am nächsten Morgen durch eine Beichte sich frei, durch die Communion sich stark zu machen. Er wollte darum heute schon den Pfarrer besuchen und griff nach seinem Hute.

Als er vor die Thür trat, merkte er, wie der Mädchenkopf über der Straße drüben sich zwischen den grünen Rebenranken zum offenen Fenster herausbeugte, aber er grüßte nicht und sah nicht hin, und als ob er einen großen Sieg über sich selbst errungen hätte, fühlte er mit einem Male wieder die Brust weit und frei und leicht.

Das Pfarrhaus stand in der Nähe der Kirche auf dem grasbewachsenen stillen Marktplatze; das Wasser plätscherte vor demselben in dem hölzernen Röhrbrunnen; ein verwittertes Heiligenbild stand auf dem altmodischen Giebel, und neben dem großen braunen Eingangsthore war eine Steinbank.

Es hatte etwas Idyllisches, das alte Pfarrhaus, von außen sowohl wie von innen: die Flur war breit, mit rothen Ziegeln belegt, und geschwärzte Heiligenbilder hingen an der weißen Wand; zu der geöffneten Hofthür aber nickten die Sträucher des Gartens herein mit ihrem jungen Grün.

Eine ältliche, freundliche Frau mit weißer Haube und Küchenschürze begrüßte den Jüngling zuerst:

„Ach, Herr Reinhold, das ist schön, daß Sie zuerst zu uns kommen; ich habe Sie heute schon vorbeigehen sehen mit Ränzchen und Stecken; der Herr Pfarrer wird sich freuen, wenn Sie ihn aufsuchen; er ist in seiner Studirstube.“

Sie hatte die Hand an der saubern Schürze abgewischt und streckte sie ihm mit jener vertraulichen Freundlichkeit entgegen, die sie dem jungen Theologen zeigen kannte: er war ja als Knabe und als Schüler oft und oft nach der Pfarre gekommen, und die Jungfer Gertrud hatte ihm manchen Leckerbissen aus der Küche aufgehoben. Er drückte ihr denn auch herzlich die Hand und ging nach einigen freundlichen Worten die weißgetünchten Steintreppen hinauf. Ueber einer braunen massiven Thür stand: „Der Herr segne deinen Eingang!“ und hier trat Reinhold ein. Das Gemach war freundlich trotz seiner geschwärzten alterthümlichen Möbel; das machten vielleicht die schneeweißen Fenstergardinen, oder die Bilder an den Wänden, oder die Gypsbüsten auf dem alten geschnitzten Bücherschranke, die gleich guten Genien herabsahen: Schiller, Goethe, Lessing. Der Theologe, welcher den Lessing in seinem Studirzimmer hat, ist ein Priester, welcher nicht schlecht sein kann und gewiß seines Amtes im Geiste und in der Wahrheit waltet; es gehört nur mitunter Muth dazu, als geistlicher Herr sich zu Lessing zu bekennen.

Auf dem Sopha mit schwarzer Lehne und braunen Polstern saß ein alter Herr mit grauen Locken über der hohen, schönen Stirn und mit einem Paar wunderbar klarer, geistestiefer Augen. Er hatte seine Lectüre weggelegt und den jungen Standesgenossen mit herzlichem Wort auf den Sitz neben sich niedergezogen. Und so wie es der Vater Reinhold’s gethan, so sah auch er dem Jüngling forschend in’s Gesicht, und wie jener sprach er:

„Du bist recht blaß, Reinhold.“

Der junge Benedictiner fühlte, wie er jetzt roth ward.

„Vielleicht von dem Studium der letzten Wochen, Herr Pfarrer, vielleicht von der Reise — mir ist ganz wohl.“

„Du bist also zufrieden?“

„Ich bin es.“

„Wohl Dir, mein Sohn, daß Dir der Druck des Priesterlebens bisher erspart geblieben ist, aber kommen wird er noch, wenn Du ein guter Hirte und kein Miethling werden willst, und dann sorge, daß er Dich nicht niederbeugt. Was sagen denn Deine Lehrer von dem da?“ Er deutete nach dem Bilde Lessing’s.

Reinhold erhob das Auge; dann sagte er etwas verlegen in Ton und Miene:

„Ein Atheist! Ein Frevler am Heiligthume der positiven Kirche!“

Ein wehmüthiges Lächeln spielte um den Mund des Greises:

„Sie sind also heute noch, wie ehedem. Sieh, Reinhold, ich bin gemaßregelt worden, weil ein Protestant mein bester Freund war, mit dem ich täglich verkehrte und von welchem ich trotz der Ermahnung des Consistoriums nicht lassen mochte, weil ich keinen

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