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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Hindernisse reizen gerade zu Compromittirungen – Wenn ich übrigens vorher sagte, daß ich nur Bestes gehört, so bezieht sich das blos auf die moralischen und meinetwegen geistigen Eigenschaften des jungen Herrn – an Vermögen besitzt er dagegen weniger als nichts, nämlich noch einige Schulden seiner verstorbenen Eltern, die er sich von seinem Gehalt abzutragen bemüht.“

„O wie ehrenwerth!“ rief Alma.

„Gewiß – höchst ehrenwerth!“ bestätigte der Rath, seine moquante Stimmung unterdrückend; „doch für einen zärtlichen Vater, der sein Kind auch äußerlich gut versorgt wissen möchte, kann dergleichen eine Partie durchaus nicht wünschenswerther machen. Dabei gehört er noch zu den Secondelieutenants, welche ihre Hintermänner, nicht einmal die Vorderleute zählen, und hat, wie er ja selbst sagte, auch keinerlei nennenswerthe Vermögensaussichten. Daß wir aber nur von meinem Gehalte leben und für uns gleichfalls auf der weiten Welt nicht die kleinste Erbschaft in Sicht, das ist Dir doch nicht unbekannt? Was denkt Ihr Euch also – wenn das Ganze eben kein Getändel, oder Ihr überhaupt schon bis zu einem Darüberdenken gekommen seid, was immerhin wahrscheinlich, da er Dich jetzt auch hier zu treffen weiß, neuerdings, wie mir scheint, sogar Fensterparaden macht? Dächtet Ihr etwa auf einander zu warten – im günstigsten Falle also fünfzehn bis sechszehn Jahre? Und ich schlösse unterdeß die Augen – meinst Du wirklich stark genug zu sein, Dich von den Zinsen der paar tausend Thaler, mit denen ich eingekauft bin, so recht kümmerlich durchzubringen – eigentlich, was man sagt, zu vegetiren?“

„Sprich nicht von Deinem Sterben!“

„O, ich denke ja in keiner Weise daran!“ rief der Rath wieder mit leisem Lachen, „Du sollst gleich schlagend überzeugt werden, wie wenig es der Fall ist! Bei einem Abwägen von Für und Wider müssen aber alle möglicher Weise eintretenden Verhältnisse berücksichtigt werden. Ich bitte nun also um volle Wahrheit! Daß ich bisher discret gewesen bin und Dich, obgleich man, wie Du siehst, Alles durchschaute, weder in Warnungen bevormundet, noch zum Vertrauen gezwungen habe, wirst Du hoffentlich anerkennen. Ich hätte es auch noch länger mit angesehen – warum Dir Deine Jugend nicht gönnen? Doch seit sich Bob so offenbar um Dich bewirbt, unterliegt Alles selbstverständlich anderen Gesichtspunkten. Räumst Du mir das ein?“

Alma ergriff mit beiden Händen des Vaters herabhängende Rechte und sagte flehend:

„Ich bin Hollfeld aber – gut – sehr gut! Und er ist noch zur Kriegsakademie einberufen, wodurch er eine viel raschere Carriere macht.“

„Wann ist diese Ordre gekommen?“

„In voriger Woche.“

„Und Du hast mir nichts davon gesagt?“

„Er wollte es Dir persönlich bei seinem Abschiedsbesuche mittheilen.“

„So bald geht er fort?“

„Schon übermorgen.“

„Im großen Ganzen,“ erklärte der Rath nach einigen Augenblicken der Ueberlegung, „ändert diese Einberufung übrigens wenig. Um ein paar Jahre – angenommen, er käme in den Generalstab – verringerte sich die Wartezeit allerdings; was bedeutete das aber? Alt und grau würdet Ihr doch, bevor an eine Vereinigung zu denken wäre. Außerdem traue ich, offen gestanden, ihm noch eher als Dir eine solche Treue zu. Es ist bei – leidlich hübschen Mädchen eine alte Erfahrung, daß der Abwesende leicht Unrecht hat.“

„Ich liebe Paul, wie er mich liebt!“ rief Alma ungestüm, „und ich könnte gar nicht weniger treu sein als er.“

„Schön!“ erwiderte der Vater vollständig ruhig. „Es bedarf ja momentan noch keines bestimmten Entschlusses; lassen wir unsere Ansichten vor der Hand also neben einander bestehen! Nur das Eine will ich Dir noch sagen, das ich vorher schon andeutete, was mich eben persönlich betrifft. Du bist mir ja stets eine liebe Tochter gewesen, sorgst vortrefflich für mich – ich entbehre fast nichts. Dennoch kann natürlich eine Tochter auf die Dauer niemals eine Gattin ersetzen, und so gedenke ich denn mich wieder zu verheiraten.“

„O mein Gott!“

Kaum hörbar war Alma’s Ausruf gewesen, doch hatte ihn der Rath verstanden. So sagte er mit all der Schärfe, welche ihm mitunter eigen war:

„Irgend einer Kritik über mein Handeln, weißt Du wohl, liebe ich nicht ausgesetzt zu werden. Ich bin mir auch heute bewußt, Alles auf’s Reiflichste erwogen zu haben, jedes Darübersprechen und besonders ein Daranherummäkeln könnte nur ganz unnöthige Verstimmungen hervorrufen, die doch nichts ändern würden. Ich bitte Dich also, Dir den Gedanken zurecht zu legen, Dein kleines Regiment hier recht bald mit einer neuen Mutter – ja, ja! einer sogenannten Stiefmutter – theilen zu müssen.“ Der Rath stand auf. „Du kennst Deine künftige Mutter, und wirst darum meine Wahl um so mehr billigen: es ist Frau von Lossen.“

„Frau von –“ Alma stockte, den Vater wahrhaft erschrocken anstarrend.

„Lossen!“ vollendete dieser kalt. – „Ich muß noch einen Ausgang machen; wenn ich zurückkomme, hoffe ich Dich von Deinem wohl nur freudigen Schrecken erholt zu finden. Adieu!“

Damit nahm er Hut und Stock.

(Fortsetzung folgt.)




Land und Leute.

Nr. 50.0 Spielzeug aus der Höhe.
Bilder aus dem Grödener Thale von Heinrich Noë.

Alles Körperliche hat sein Wiederspiel im Geistigen. Auf dieser Wahrnehmung, zu der auch ohne den Fittig mächtiger Einbildungskraft vorgedrungen wird, beruhen Lehrmeinungen, deren Propheten es ihrer Zeit ein Kleines däuchte, mit ihrer Hülfe Gott, die Welt, sich selbst und Alles zu erklären. Auch auf die Natur und das Menschenleben in dem „köstlich frischen“ Grödener Thale, in welches wir unsere Leser heute führen, darf dieser Satz angewandt werden.

Von unseren Gelehrten wissen wir, daß einst über Thälern der Alpen, auf deren Gründen jetzt der feurigste Wein heranreift, viele tausend Fuß dick und tief die Rinde graublauen Gletschereises lagerte. Die Pflanzen und die Thiere, welche damals am Rande des Eises in den Thälern lebten, haben sich, als andere Lüfte über diese ihre Welt hereinbrachen, auf die winterlichen Höhen zurückgezogen. Menschen und ihre Rede sind aus der Tiefe vertrieben und in rauhe Hochthäler gedrängt worden.

Als die Römer in das Alpengebirge Rhätiens[1] gelangten, unterwarfen sie dessen Insassen und zwangen ihnen ihre Sprache auf. Wo irgend ein Stamm der Barbaren sich mit dem Volke Latiums vereinigte, entstand alsbald durch diese Mengung eine jener Sprachen, die wir heutzutage nach ihrem durchschlagenden Hauptinhalt romanische nennen. Deren giebt es aber nicht fünf oder sechs, wie man uns in den Schulen gelehrt, sondern mehr als hundert; denn allenthalben wurde das Latein in anderer Gestalt, in verschiedenartiger Abänderung und in mancherlei Anpassung der bisherigen Muttersprache eingemengt.

Zu einer solchen romanischen Sprache bequemten sich denn auch die Bergvölker zwischen den Quellen des Inn und Rhein und den Ufern der Etsch und Piave. Ein romanisch redendes Volk wohnte im früheren Mittelalter vom Gonlasee bis in’s baierische Gebirge hinein und von Graubünden bis zu den Dolomiten von Ampezzo. In diese zusammenhängende Reihe wurden aber bald germanische Keile eingetrieben. Baiern, Alemannen und Trümmer anderer deutscher Stämme drangen in die besten der Thäler. Die „Romanen“ unterwarfen sich, nahmen die Sprache der Eindringlinge an oder verschwanden. So sind im grünen Inn- und Eisakthal nur an Namen von Gehöften, Waldstücken und Fluren die Spuren der Vergewaltigten haften geblieben – in allem Uebrigen ist das Land deutsch geworden, als ob es nie anders gewesen wäre.

Wie einst mit der Aenderung von Luft und Wetter die Thiere und Pflanzen jener tieferen Thäler sich in der alten

  1. Das heutige Graubünden, Tirol, Vorarlberg und baierische Hochgebirge.
    Die Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 440. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_440.jpg&oldid=- (Version vom 19.8.2023)