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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Commerzienrath deren feuchtes Aufleuchten nannte, ja bis in die schwere Pracht des Haares flog das Roth der Wangen scheinbar hinauf – hernieder: wie roth leuchtend lagen die ringelnden Locken auf dem Sammet und in den Spitzen des Anzuges.

Ueber Bob ging ein Schauer hin; seine Augen tranken unersättlich die Schönheit des Mädchens, und Alma empfand das plötzlich und mußte in dem Gefühle ihrer Macht lächeln.

Selbst Bob begriff, trotz seiner Verwirrung, den Grund dieses Lächelns. So sagte er, als ob es gar keines weiteren Erklärens bedürfe:

„Sie fühlen, wie es um mich steht. Darum seien Sie gütig und fragen Sie sich auf’s Gewissen – nein! nicht auf’s Gewissen! Da hätte auch der Verstand mitzusprechen, und den nüchternen, kalten Gesellen wollen wir nicht über uns entscheiden lassen. Nur Ihr Herz, unser Tiefstes, Heiligstes mag Sie berathen. Alma, meine süße, einzig –“

Sie entzog ihm die Hand, welche er ergriffen hatte, und rief mit anfangs bebender, bald aber fester Stimme:

„Nein – nein! Ich habe – ich darf mich da mit Nichts berathen. Was würde Ihr Herr Vater –“

„Mein Vater? Er liebt Sie ja zärtlich. Nur er hat mir den Muth gegeben –“

„Allzu überraschend kommt es,“ unterbrach ihn Alma wie im Selbstgespräch. Dann sah sie zu ihm empor und fuhr leise, jedoch mit eigenthümlicher Schärfe fort. „Ich lebe mit meinem Vater so zufrieden; was er will, will ich – was mir Freude macht, ist wohl auch ihm lieb und angenehm. Noch mit keinem Gedanken habe ich an ein Aufhören dieses Lebens gedacht. Und so im Augenblick – wär’ es mir ganz unmöglich, das fassen zu sollen!“

Sie faltete dabei die Hände in so lieblich rathloser Weise, daß Bob dieselben wieder ergriff und stürmisch rief:

„Nichts weiter? Nur Ihr Vater steht meinen heißen Wünschen im Wege? – Vergeben Sie!“ bat er dann, indem er sich gewaltsam zu beherrschen versuchte, da Alma’s zitternde Hände ihm die tiefe Erregung des geliebten Mädchens verrieten. „Ich will Ihnen wenigstens beweisen, daß ich kein Egoist bin, aufhören kann, von mir und meinem Hoffen zu sprechen, so schwer ich auch darunter leiden werde, von Ihnen nichts – nichts über mein Schicksal gehört zu haben – Ich scheine ja nur zurückhaltend; Ihre liebe Nähe macht mich befangen. Aber glauben Sie es nur: noch kein Ton in mir hat den Klang der Jugend verloren; ich weiß, daß ich noch Alles besitze, um da Gluth wie Treue und Glück zu geben, wo ich – liebe, anbete.“

Die beiden letzten Worte hatten seine Lippen unvernehmbar herausgestoßen. Trotzdem wußte Alma ja nun Alles und überlegte eben klopfenden Herzens, ob sie – um ein Ende zu machen – wirklich preisgeben müsse, was sie noch Niemand, sich selbst kaum gestanden, als plötzlich ihr Vater in die Thür des Balcons trat. Zwar wollte er sich sofort wieder zurückziehen, doch gab sie das nicht zu, sondern rief wie erlöst:

„Ja! Hier bin ich, lieber Vater.“

Bob trat zurück und ließ sie stumm an sich vorüber eilen. Sogar etwas wie ein Lächeln fand sich, da er hörte, wie ihr Vater schalt, daß er ihr stets die Sträuße nachtragen müsse.

Als Bob später in’s Zimmer kam, hielt sie denn auch seinen Strauß nachlässig in der Hand.




Nach dem Diner pflegte der Commerzienrath noch spazieren zu fahren. Er machte auch heute keine Ausnahme von dieser Regel und ließ es sich dabei nicht nehmen, seine Gäste vorher nach Hause zu bringen. Trotz des weiten Umweges (man war auf einen von Alma bei Tische geäußerten Wunsch an einer kürzlich aufgestellten Statue vorüber gefahren) und trotz des Commerzienraths bester Laune hatte dieser sich nicht die geringste Neckerei Bob und Alma gegenüber erlaubt: er mußte bemerkt haben, daß irgend Etwas zwischen ihnen vorgefallen war, was noch der Klärung bedurfte.

Alma hatte ihm innerlich für diese Rücksicht gedankt, jetzt aber endlich mit dem Vater allein, empfand sie nur das eine Verlangen, Alles vom Herzen zu sprechen. So erwartete sie dessen Rückkehr in’s Wohnzimmer mit wahrhaft brennender Ungeduld und flog ihm, sobald er die Thür seines Arbeitscabinets öffnete, mit einem Ausruf der Freude an die Brust.

„Mein liebster Vater, wie dankte ich Dir – als Du mich erlöstest!“

„Wovon?“ fragte dieser gelassen.

„Von Bob! Er wollte wohl – er schien mir –“

„Nun, was?“

„Es war eine förmliche Erklärung,“ flüsterte Alma, noch wie verängstigt aufsehend.

„Und warum hast Du ihm nicht gleich Dein Jawort gegeben?“

„Aber –“

„Du konntest doch annehmen, daß ich Nichts gegen Eure Verbindung einzuwenden hätte?“

Alma sah verwirrt zu Boden; dann sagte sie mit schüchterner Abwehr:

„Ich muß Dich nicht verstehen. Du weißt doch sicherlich –“

„Ich weiß nichts,“ entgegnete der Vater kurz, „als daß Bob Zellina weit und breit die beste Partie ist und jedes Mädchen sich glücklich zu schätzen hätte, seine Gattin zu werden.“ Milder, beinahe überredend, setzte er dann hinzu: „Kind, sei mir vernünftig! Ist Bob nicht wahrhaft liebenswürdig, jung, ein eleganter, vornehmer Mann? Dabei voll Wärme, ja Feuer? Darf man mehr verlangen? Die Solidität des Hauses gar nicht in Anschlag gebracht!“

Es wäre mit dem Aufzählen solcher guten Dinge wohl noch eine Weile fortgegangen, wenn der Rath nicht wahrgenommen hätte, daß Alma kaum mehr zuhörte, ihre Gedanken mindestens irgendwo in der Ferne schweifen ließ.

Der Vater mußte diese Ferne kennen; denn er wiederholte, indem er die Stirn runzelte, sein Lieblingswort. „Sei mir vernünftig, Kind!“ noch einmal und strenger, als vorher.

Alma sah ihn wieder an, als müßte sie sich überzeugen, daß er im Ernst spräche; dann wandte sie sich mit einer ihrer gewöhnlichen, ruhig graziösen Bewegungen ab und schritt nach dem Pfeilertische, auf welchem die Lampen standen.

„Mache noch kein Licht an!“ sagte der Rath, während er sich in einer Ecke des Sophas niederließ. „Es dämmert ja kaum. Komm’, setze Dich zu mir! Ich glaube, daß wir auch hierbei in aller Gemüthlichkeit das Richtige finden werden, wie man es stets gefunden hat.“

Gehorsam, nur mit einer gewissen Reserve folgte Alma diesem Wunsche, that jedoch, als bemerke sie die Handbewegung des Vaters, neben ihm Platz zu nehmen, nicht, und wählte den nächsten Sessel.

Nach einer kleinen Pause, in welcher der Rath still zum Fenster hinaus aus einen Zug goldener Wolken gesehen hatte, der blaß und blasser wurde, begann er von Neuem:

„Zuerst wollen wir von Dir sprechen – nachher komme ich heran.“

Alma blickte auf.

„Ja,“ fuhr er fort, „diesmal geht mich Etwas ganz direct an. Mit Dir nun muß ich es heute machen, wie ich es in meiner Studentenzeit zu thun pflegte, wenn ich Secundant war – natürlich in einem durchaus ernsten Duell. Dann suchte ich mir vor Allem darüber Gewißheit zu verschaffen, ob einer der Contrahenten so tief gekränkt wäre, daß Blut fließen müßte. War das der Fall, so ließ ich dem Duell seinen Lauf; handelte es sich aber blos um leichte, äußere Ehrenschmisse, dann brachte ich in der Regel die rührendste Versöhnung zu Stande. Begreifst Du, wie diese Art zu handeln auch bei Dir verwendbar ist?“

Alma schwieg.

„Ich kann eben gleichfalls fragen: Fühlst Du Dich schon bis in’s Herz getroffen, oder ist es vor der Hand noch, um in meinem Jargon zu bleiben, ein äußerer Schmiß?“

Der Rath lachte behaglich.

„Dein Jargon –“ sagte Alma.

„Antworte mir noch nicht!“ unterbrach sie der Vater, „ich sehe, daß Dir meine trotzdem sehr gute Art und Weise nicht gefällt – also ohne Umschreibungen! Natürlich hatte ich bereits in Misdroy bemerkt, wie Du mit Herrn von Hollfeld öfter als mit den übrigen Officieren plaudertest, daß er sich uns gern anschloß und so weiter. Ich hielt es daher für meine Pflicht, über ihn Erkundigungen einzuziehen, und als ich nur das Beste in jeder Beziehung zu hören bekam, legte ich Eurem Verkehr keine Hindernisse in den Weg, von denen ich so wie so nichts hatte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 439. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_439.jpg&oldid=- (Version vom 19.8.2023)