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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Zweck zu erreichen strebt, noch viel weiter ausdehnen, ohne erschöpfend zu sein, da der Verein nicht still steht, sondern sich immer weiter entwickelt. Wir fügen nur noch hinzu, daß die Mitgliedschaft des Berliner Handwerkervereins jedem unbescholtenen Manne freisteht, welcher das siebenzehnte Lebensjahr vollendet hat und einen monatlichen Beitrag von dreißig Pfennig zahlt.

Die großen politischen Ereignisse des letzten Jahrzehnts, die Entwickelung des politischen Vereinswesens insbesondere, haben leider in den letzten Jahren nicht unerheblich dazu beigetragen, einen Rückgang in der Mitgliederzahl unseres Vereins, die gegenwärtig indeß immerhin noch 1500 bis 2000 betragen mag, herbeizuführen.

Es ist indeß zu erwarten, daß, wenn erst die politische Krisis, in welcher sich unser Vaterland gegenwärtig befindet, überwunden sein wird, wenn die Tage der ruhigen stetigen Entwickelung unseres staatlichen Lebens zurückgekehrt sein werden, auch der Handwerkerverein wieder in umfassenderer Weise sein wird, was er stets gewesen: eine Volksakademie für jeden aufstrebenden Gewerbetreibenden, Handwerker und Arbeiter, für jeden Mann aus dem Volke, der im Verkehr mit gleichgesinnten Genossen seinen Gesichtskreis zu erweitern und unter der Anleitung von Gelehrten und Künstlern sowohl allgemeine wie auch gewerbliche Bildung zu erlangen strebt.

Heinrich Steinitz.     




Der „ewige Friede“ – ein Menschheitsideal.

„Ein furchtbar wildes Schreckniß ist der Krieg,“ ruft der Dichter, und doch hat dieses Schreckniß bestanden, so lange Menschen und Völker bei einander wohnen. Schon für den Einzelnen weckt der Eingriff in die Sphäre seines Ich den Trieb zum Widerstande, und so entstand nach der biblischen Legende schon in der zweiten Generation des Menschengeschlechts das furchtbare Verbrechen des Brudermordes. Als sich die Ichsphäre des Einzelnen dann erweitert hatte zu dem Begriffe des Volkes und der Nation, entstand in dem Kampfe des einen geschlossenen Ganzen gegen das andere der Krieg. Den Drang nach Erweiterung der Grenzen von Besitz und Macht, also den Krieg, löst andererseits wieder der Drang nach Erhaltung des Gewonnenen ab – und das bedeutet den Frieden. Dieser Sehnsuchtsdrang nach Frieden geht durch die ganze Geschichte der Menschheit hindurch. Je älter sie wird, desto stärker wird dieser Drang, genau wie im Leben des Menschen. Er wird in einem Volke um so anhaltender und mächtiger, je mehr dasselbe culturell sich entwickelte und je mehr alsdann durch einen Krieg die geistigen und materiellen Güter auf’s Spiel gesetzt werden. Seit Langem schon geloben sich daher die kriegführenden Parteien in ihren urkundlichen Friedensschlüssen „ewigen Frieden“ – aber hinter den Pactirenden steht mit ironischem Spotte der Mephisto der Weltgeschichte und lächelt über das papierne Gelöbniß, das noch Niemand gehalten hat.

Aber alle Mißerfolge haben den Ruf nach einem dauernden ewigen Frieden nicht zum Schweigen gebracht. Gerade in unserem Jahrhundert ist er lauter und tönender erklungen als je, nachdem ihm der große Weise in Königsberg, Immanuel Kant, einen maßgebenden Ausdruck verliehen. Kant hat mit seiner Schrift über den „Ewigen Frieden“ zuerst die Gewalt der „öffentlichen Meinung“ auf den zur Lösung der großen Frage geöffneten Kampfplatz geführt. Vordem fehlte es auch nicht an Versuchen, das Problem zu lösen, aber diese Lösungen basirten alle auf der äußeren politischen Macht, auch erwies sich das als die größte Garantie, aber da alle Machtverhältnisse immerfort etwas Schwankendes haben und der Zeit unterworfen sind, so blieb diese Garantie stets eine unsichere, abgesehen davon, daß dieses Recht des Stärkeren vielfach in die Lage kam, sich den Frieden erst durch den Krieg zu erzwingen. Hielten daher auch große politische Weltreiche, wie das römische, den Krieg im Innern von sich ab, so tobte er meist um so heftiger an den beständig bedrohten Außengrenzen.

Aber schon bei der späteren Nachgründung der römischen Weltherrschaft durch die deutschen Kaiser spielte neben dem Kriege draußen in Wälschland und dem Morgenlande beständig der kleine Krieg im Innern, und man hatte Noth, wenigstens in den der Kirche geweihten Zeiten den „Gottesfrieden“ aufrecht zu erhalten. Schoß dieses Fehdewesen einmal zu stark in die Blüthen, so streckte der Kaiser dräuend seine Hand aus und gebot den „Landfrieden“. Hier hatte alle Fehde auch gesetzmäßig ein Ende – „für ewige Zeiten“ lautete das Gebot, in Wahrheit aber nur bis dahin, wo eine Erneuerung des Gebots dringend wieder nothwendig wurde. Eines der wichtigsten dieser kaiserlichen Friedensinstrumente war der auf dem Reichstage zu Worms durch Kaiser Maximilian den Ersten im Jahre 1495 ausgebrachte ewige Landfriede. Hier hatte der Begriff des ewigen Friedens bereits eine urkundliche Fassung erhalten.

Eine weitere Ausdehnung erhielt derselbe im Kopfe des durch seine Toleranz- und Humanitätsideen ausgezeichneten Königs Heinrich des Vierten von Frankreich. Er drängte in ihm nach Verwirklichung, und Heinrich fand dieselbe in der Form eines christlichen Staatenbundes, der alle europäischen Staaten mit Ausnahme Rußlands und der Türkei umschließen sollte, nachdem zu diesem Zwecke die einzelnen Territorien eine entsprechende annähernd gleichmäßige Abrundung erfahren hatten.

Dabei sollte freilich Frankreich nicht blos am besten wegkommen, sondern auch die Führerschaft im Bunde erhalten. Heinrich dachte allen Ernstes daran, die abenteuerliche Idee zu verwirklichen. Ein zwischen Protestanten und Katholiken über die Erbfolge in Cleve ausgebrochener Streit sollte ihm zunächst die Gelegenheit geben, zu Gunsten der Ersteren zu interveniren und damit den Anfang für weitere Thaten zu gewinnen, und schon waren alle Zurüstungen fertig, als der mörderische Dolch des Jesuiten Ravaillac den königlichen Urheber des kühnen Plans und damit diesen selbst vernichtete.

Auch der große Heros des Krieges, Napoleon der Erste, bezeichnete gern als Ausgang seiner kriegerischen Thaten die Gründung eines allmächtigen Friedensreichs. Das Reich Karl’s des Großen sollte unter seinen blutigen Händen wieder erstehen und durch den Hochdruck seiner Macht die kriegerischen Leidenschaften der Völker fortan in Fesseln legen.

Eine weitere politische Kundgebung der Idee des ewigen Weltfriedens war die Gründung der „Heiligen Allianz“. Nach den langen, schweren Kriegsjahren machte sich das Friedensbedürfniß mächtiger als je fühlbar, und unter diesem Gefühle schlossen die kriegsverbündeten Herrscher von Oesterreich, Preußen und Rußland jenen ganz auf mystischer, frommer Grundlage auferbauten Dreibund. In der Vertragsurkunde vom 26. December 1815 erklärten die Verbündeten, „sowohl in der Verwaltung ihrer Staaten, wie in den politischen Verhältnissen mit jeder anderen Regierung blos die Vorschriften jener heiligen (das heißt christlichen) Religion zur Richtschnur zu nehmen, nämlich die Vorschrift der Gerechtigkeit, der christlichen Liebe und des Friedens“. Sie luden auch alle anderen Mächte, welche von der gleichen Einsicht getragen würden, „daß die christlichen Wahrheiten künftig auf die menschlichen Schicksale gehörig Einfluß haben würden“, zur Theilnahme an dem Bunde ein. Nur den Papst und die Pforte hatte man von vornherein ausgeschlossen, während der König von England den Beitritt unter Berufung auf seine verfassungsmäßige Unselbstständigkeit ablehnte.

Die Aufnahme des seltsamen Actenstückes im Volke war eine sehr gemischte. Man muthmaßte vielfach, daß es dabei weit weniger darauf ankam, Frieden unter den Völkern zu stiften, als gewisse liberale Regungen zu unterdrücken, und ging in dieser Vermuthung auch nicht fehl.

Als ein weiterer Versuch, im Wege der Machtstellung den Frieden dauernd herbeizuführen, hat die Gründung des durch die fünf Großmächte im Lothe gehaltenen europäischen Gleichgewichts zu gelten, das sehr bald an der eigenen gegenseitigen Eifersucht zu Grunde ging.

Eine der hauptsächlichsten äußeren Friedensgarantien ist – so sehr auch die Sache sich selbst widerspricht – die gegenseitige Kriegsbereitschaft der Völker, die auf dem alten Grundsätze beruht: „si vis pacem, para bellum“ („Willst du den Frieden, so rüste zum Kriege“)! Aber, gerade dieser „gerüstete Friede“, der dem Wohlstande der Länder oft härtere Wunden schlägt, als die Kriege, hat die Sehnsucht nach dem „Ewigen Frieden“ nur immer lebhafter angefacht.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 431. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_431.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)