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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Buchhändler, der bis zum Jahre 1879 mit nie ermattender Begeisterung den Handwerkerverein leitete, ihm zur Seite der jugendlich kräftige, leider allzu früh verstorbene Stadtgerichtsrath Lehfeldt, der niemals ermüdende Dr. Burg, der arbeitsfrohe Dr. Sklarek. Seit dem Jahre 1879 stehen Director Dr. Friedrich Goldschmidt, Dr. Sklarek und Oberlehrer Dr. Thurein an der Spitze des Berliner Handwerkervereins.

Wir haben schon erwähnt, daß der Verein dem rastlosen Eifer seines ersten Vorsitzenden Steinert den Erwerb eines besonders geeigneten Grundstückes und eines Vereinshauses verdankt, des ersten, das eigens für Arbeiterbildungszwecke in Deutschland errichtet worden ist. Nach einem im Vereine selbst festgestellten Plane aufgeführt, gewährt er den zahlreichen Mitgliedern würdige Versammlungs-, Unterrichts- und Erholungsräume. Der achtzig Fuß lange, sechszig Fuß tiefe und dreißig Fuß hohe Saal faßt über zweitausend Personen; in Verbindung mit dem daran stoßenden Garten reicht er für alle Jahreszeiten, selbst für die Festtage, an denen er auch den Familien der Mitglieder offen steht, vollkommen aus. Zwei Stockwerke des Vorderhauses bieten eine Reihe von Unterrichtszimmern, einen Zeichen- und einen Lehrsaal, sowie angemessene Räume für die Bibliothek und den Verkehr der Mitglieder. Das Erdgeschoß mit einem großen Tunnel ist für wirthschaftliche Zwecke eingerichtet.

Der Zweck des Handwerkervereins, die hohen Aufgaben, die er sich gestellt, sind heute noch dieselben, wie im Jahre 1844, da er begründet wurde, und wie sie in das Statut vom Jahre 1859 eingetragen sind: „allgemeine Bildung, tüchtige Berufskenntnisse und gute Sitte unter seinen Mitgliedern zu befördern“. Als Mittel zur Erreichung dieses Zweckes nennt das Statut: Vorträge, Besprechungen, Bibliothek und Lesezimmer, Unterricht zur Förderung allgemeiner und gewerblicher Fortbildung, sowie im Turnen und Gesang, ferner gesellige Vergnügungen, an welchen, gleichwie an den hierzu besonders bezeichneten Vortragsabenden, auch die Familien der Vereinsmitglieder theilnehmen können. Indem diese Mittel mit der allgemeinen Bildung zugleich die körperliche und geistige Gesundheit der Handwerker heben, sind sie gleichzeitig von dem bedeutendsten Einfluß auf die Verbesserung ihrer materiellen Lage. Unmittelbar gefördert wird die letztere, wie die Weltausstellungs-Denkschrift von 1867 sich ausdrückt, insbesondere durch die Verbreitung tüchtiger Berufskenntnisse, welche durch naturwissenschaftliche und technische Vorträge aller Art, durch die Erschließung der gewerblichen Literatur in Büchern und Zeitschriften, durch die persönliche Berührung mit hervorragenden Kennern der Industrie, endlich aber auch durch Specialunterricht im Zeichnen und Modelliren und in verschiedenen fachlichen Vorkenntnissen und Fertigkeiten erstrebt wird.

Gemeinschaftliche Versammlungen des Vereins finden jetzt wöchentlich dreimal statt (Montags, Mittwochs und Sonnabends). Den Mittelpunkt dieser Versammlungen, an denen, soweit der Gegenstand dies angemessen erscheinen läßt, auch Frauen theilnehmen können, bilden die Vorträge, welche alle Zweige gemeinnützigen Wissens, mit Ausschluß des politischen und religiösen Gebietes, umfassen. Alle Vorträge sind unentgeltlich und werden von den Lehrern des Vereins nach Maßgabe eines vierteljährlich festgestellten und veröffentlichten Lectionsplanes gehalten. Meist auf klare und abgerundete Erörterung einzelner Fragen angewiesen, dehnen sie sich nicht selten zu einer Reihe zusammenhängender Darstellungen aus. Die Vorträge behandeln in ihrer bei weitem überwiegenden Mehrzahl Gegenstände aus der Technologie, den Handelswissenschaften, dem Gewerbe, der Volkswirthschaft, den Naturwissenschaften.

Aber auch Geschichte, Rechts- und Staatswissenschaften, Geographie und schöne Literatur fehlten selten auf den Lectionskatalogen. Diese Vorträge finden stets ein aufmerksames, schier andächtiges Publicum, und wer die Reichshauptstadt besucht, um ihre großartige Entwickelung auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens, der Kunst und Wissenschaft kennen zu lernen, sollte ja nicht versäumen, das stattliche Vereinshaus in der Sophienstraße zu besuchen, in den mit den Bildnissen Lehfeldt’s, Steinert’s und den Büsten von Schulze-Delitzsch, Lette, Jahn geschmückten Saal zu treten, wo die Fahne mit dem sinnigen Symbol drei sich die Hände reichender Gestalten – Gelehrter, Künstler und Handwerker – herabwallt, wo dicht gedrängt die Mitglieder mit gespannter Aufmerksamkeit den Vorträgen lauschen.

Die Vortragsabende werden nach alter Sitte mit einem gemeinschaftlichen Gesange – meist eines beliebten Volksliedes – begonnen, und an den Vortrag schließt sich regelmäßig die Beantwortung und Besprechung von Fragen an. Nichts am Himmel und auf Erden bleibt von der Frage- und Forschungslust der Mitglieder unberührt. Der Spott über die vielen thörichten Fragen ist wohlfeil; faßt man aber die Gesammtheit derselben in’s Auge, so überrascht nach Carl Frenzel’s treffender Bemerkung die Theilnahme, die das Volk der Wissenschaft entgegenbringt, sein gesunder praktischer Sinn, der nicht in die metaphysische Unendlichkeit, sondern nach einer bestimmten Erkenntniß trachtet. An einzelnen Abenden finden unter der Leitung von Lehrern des Vereins Discussionen der Mitglieder über zeitgemäße gewerbliche Fragen statt; an anderen werden declamatorische Uebungen, die jetzt unter Franz Duncker’s vortrefflicher Leitung stehen, geboten.

Die Vorträge, die Fragenbeantwortung und die Besprechungen an den Vereinsabenden gewähren der Gesammtheit der Mitglieder mannigfaltigste Anregung, welche durch eine reichhaltige Bibliothek und ein Lesecabinet wesentlich unterstützt wird, in welch letzterem gegenwärtig einundsiebenzig Zeitungen und Journale, darunter viele fachlichen Inhalts, ausliegen. Der Unterricht ist dagegen dazu bestimmt, nicht der Gesammtheit der Mitglieder, sondern dem Einzelnen die Gelegenheit zu ernster Fortbildung zu bieten.

Es gilt hier, die Lücken des Schulunterrichts zu ergänzen und das, was in jahrelanger harter Arbeit an Schulkenntnissen verloren geht, zu ersetzen; es gilt, durch Unterweisung im Gesang und im Turnen geistige und leibliche Frische dem Handwerker immer rege zu erhalten; endlich ihm die Mittel zu gewerblicher Vorbildung und zur Vervollkommnung in seinem Fache zu gewähren. Nach allen diesen Richtungen hin finden seit nunmehr einundzwanzig bis zweiundzwanzig Jahren ununterbrochen Unterrichtscurse im Verein statt, an denen sich regelmäßig eine sehr große Zahl von Schülern betheiligen. Der Unterricht erstreckt sich auf Rechnen, Schönschreiben, Lesen, Rechtschreiben, Geschäftsaufsätze und Stilübungen, Briefstil, Geometrie, Vaterlandskunde, Geographie, Geschichte. Besondere Curse sind für doppelte Buchführung, französische und englische Sprache, Gesang, Bau- und Maschinenzeichnen, Turnen, Literatur und deutschen Aufsatz, kaufmännisches Rechnen, einfache Buchführung und Wechselkunde eingerichtet worden.

Dieser Unterricht wird grundsätzlich gegen Entgelt ertheilt, und die Beiträge der Lernenden fließen zur Vereinscasse, aus welcher die Lehrer besoldet und die sonstigen Kosten des Unterrichts bestritten werden. Die Honorare sind indeß sehr mäßig und decken den erforderlichen Aufwand nicht. Der von der Vereisscasse geleistete jährliche Zuschuß für den Unterricht hat seit einer Reihe von Jahren eine Erhöhung erfahren durch eine Unterstützung von 1000 Mark, welche der Magistrat, und von 500 Mark, welche der Unterrichtsminister gewährt.

Der lebhafte Wunsch der Mitglieder nach tüchtiger fachlicher Ausbildung hat ferner im Jahre 1865 zur Errichtung einer besonderen Schule für Bauhandwerker geführt. Unter Leitung von Architekten, welche der Lehrerschaft angehören, gewährt die Baugewerkschule den jungen Bauhandwerkern des Vereins die nöthige theoretische Fachbildung, sodaß sie sich in der Praxis mit Vortheil bewegen können und auch die Meisterprüfung zu bestehen im Stande sind. Die außerordentliche Vortrefflichkeit dieses Instituts, das von einem besonderen Curatorium geleitet wird, ist von den Staatsbehörden dadurch anerkannt worden, daß der Unterrichtsminister demselben eine Beihülfe von 3000 Mark für die allgemeinen Kosten und von 1000 Mark zur Beschaffung von Lehrmitteln alljährlich gewährt hat. Auch durch den gemeinschaftlichen Besuch großer gewerblicher Etablissements und Kunstsammlungen wird auf die allgemeine und die gewerbliche Bildung der Mitglieder fördernd eingewirkt.

Die Vergnügungen des Handwerkervereins ordnen sich zwanglos der allgemeinen Aufgabe unter und werden zu einem Hebel sittlicher Förderung, körperlicher und geistiger Gesundheit.

Gar häufig werden den Mitgliedern die herrlichsten Kunstgenüsse geboten und die gefeiertsten Künstler scheuen sich nicht, ihre Kunst im Saale des Handwerkervereins vor einem dankbaren Publicum zur Geltung zu bringen. Unter Leitung des königlichen Domsängers Herrn Knorre wird auch an einem der wöchentlichen Vortragsabende einstimmiger Volksgesang geübt.

Wir könnten unsere Darstellung der Mittel, durch welche der Verein seinen idealen und zugleich im eminenten Sinn praktischen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 430. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_430.jpg&oldid=- (Version vom 22.3.2023)