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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

äußerliche Veranlassung, eine Uebertretung des Vereinsgesetzes, die der Richter mit der geringen Strafe von zehn Thalern ahndete, als Vorwand, den Verein zu schließen, Bibliothek und Inventar zu confisciren.

Brandenburger

G Hever & Kirmse. X. A     Pivo puvo, puvo cervene
Das Hussitenfest in Bernau: Die „Hussiten“.
Originalzeichnung von F. Wittig.

Die Fahne des Vereins aber wurde zum Bürgermeister Hedmann gerettet, und sein Geist erhielt sich in den alten Mitgliedern lebendig. Mit prophetischem Blicke in die Zukunft rief diesen im letzten Jahresberichte der wackere Vorsitzende Dr. Rieß den zuversichtlichen Trost zu: „Manches haben wir verloren, Vieles gerettet, und sollten wir uns auch ganz trennen müssen, das Volksbewußtsein, dessen Ausdruck der Verein war, bleibt und wird sich neue Formen schaffen.“

Und als die Zeit erfüllt war, da hat das Volksbewußtsein sich denn auch wirklich neue Formen zu schaffen gewußt und den im Jahre 1850 aufgelösten Verein neu und lebensvoller als zuvor wieder erstehen lassen. Ganz war er allerdings niemals, auch nicht ist der traurigen Olmützer Epoche, vom Schauplatze abgetreten; denn von den alten Mitgliedern, die voll treuen Eifers an dem Vereine hingen, wurde er auch ohne Statut, ohne Versammlungslocal aufrecht erhalten. „Wo die Sänger sangen, sagte später Rieß, „da war der Handwerkerverein“; ja, wo zwei der Alten sich trafen, da war der Verein.“

Als mit dem Antritte der Regentschaft des Prinzen von Preußen, des gegenwärtigen deutschen Kaisers, eine neue Aera des politischen und geistigen Ringens auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens begann, da mußte in den treu gebliebenen Mitgliedern der Gedanke Platz greifen, den Handwerkerverein wieder in’s Leben zu rufen. Der „Centralverein für das Wohl der arbeitenden Classen“ übernahm die Sache und übertrug dem unvergeßlichen Präsidenten Lette, der mit der Erfahrung und Besonnenheit des Greises die Begeisterung des Jünglings vereinigte, die Ausführung der schönen Aufgabe.

Unter seiner Leitung traten 1858 neun Mitglieder des 1850 aufgelösten Vereins zusammen, um die Statuten zu entwerfen und den Grundstein zu der neuen „Deutschen Volksakademie“ zu legen, zu der sich der 1859 wieder erstandene Berliner Handwerkerverein in jedem Jahre mehr und mehr entwickelt hat. Lette, der treue Freund unseres verewigten Ernst Keil, blieb bis an sein Lebensende – er starb am 3. December 1868 – seiner geistigen Schöpfung treu. So groß und umfassend sein Wirkungskreis gewesen ist, am wohlsten hat er sich stets im Handwerkerverein gefühlt, der in ihm seinen Vater verehrte. Hier fühlte er sich daheim, als Bürger unter den Bürgern.

In Wilhelm Steinert, einem echten self-made man, wie die Amerikaner sagen würden, gewann der Verein einen ersten Vorsitzenden, wie er ihn brauchte, um alsbald eine bedeutende organisatorische und erziehliche Thätigkeit nach allen Seiten hin zu entfalten. – Steinert hatte seine Lehrjahre in der praktischen Schule der Vereinigten Staaten zurückgelegt, wohin ihn das Scheitern der Bewegung von 1848 getrieben; dann war er in die alte Heimath zurückgekehrt, um hier eine unter seiner Leitung berühmt gewordene Privatschule zu begründen. Der Jahresbericht von 1875 schildert diesen trefflichen Mann, der in den Jahren 1859 bis 1865 als erster Vorsitzender wirkte, als einen Feuergeist, eine durchaus schöpferische Natur, einen Quellenmenschen von sprudelnden, nie versagenden Gedanken. Vereinssitte ist geblieben, was er vom ersten Tage an eingeführt; ihm dankt der Verein sein Vermögen, sein Grundstück, den edlen und zweckmäßigen Bau des Hauses, die Handhabung seiner Statuten, den Eifer des Vorstandes, die Gewissenhaftigkeit der Repräsentanten, den Geist, der die Lehrerschaft durchweht. Von unerschütterlicher Ueberzeugungstreue, an den Sieg der Wahrheit glaubend, ein Kämpfer der Geistesfreiheit, hatte er knappe Formen, wirkte durch lebhafte Bilder; mit feurigem Wesen verband er eine außerordentliche Selbstbeherrschung, und, streng in den Anforderungen, war er milde in der Ausübung; auch ein kleiner Zug listiger Ueberlegenheit, mit Humor angewendet, fehlte ihm nicht.

Neben ihm wirkte als zweiter Vorsitzender der feingebildete, durch eine wahrhaft rührende Begeisterung für alles Schöne und durch wahre Menschenliebe ausgezeichnete Arzt Dr. Abarbanell, bis ihn der Tod dem Verein und seinen zahlreichen Freunden allzu früh entriß. Durch die von Verwandten und Verehrern gegründete Abarbanell-Stiftung, eines Fonds, dessen Zinsen alljährlich zu Unterrichtszwecken verwandt werden, ist das Andenken des edeln Mannes in würdigster Weise gesichert worden.

In die Fußstapfen dieser Männer traten auch die späteren Vorsitzenden, Franz Duncker, der fortschrittliche Abgeordnete und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 429. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_429.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2023)