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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Alle drängten sich an ihn heran, um einmal mit ihm zu trinken, Fragen an ihn zu richten und dafür selbst wieder Auskunft über Dieses oder Jenes zu ertheilen. Man trank und trank. Brauner wurden die Physiognomien, lebhafter die Gespräche, dichter der Tabaksrauch und ausgelassener das Lachen und die Scherze, welche die gehobenen Gläser begleiteten.

Knut war wieder der Alte. Sein Frohsinn war erwacht. Seine Erzählungen von fernen Ländern würzte er wieder mit tollen Schalksreden, durch welche er einst die Jugendgenossen an sich fesselte, alle Mädchen des Dorfes auf seine Seite brachte. Auch vom Heirathen sprach man gelegentlich, und daß es für Knut an der Zeit sei, mit einer rechtschaffenen Frau sein Haus neu zu beleben. Einzelne riethen ihm, wahr zu machen, was man anfänglich geglaubt habe, nämlich daß die Engelid ihm bereits angetraut worden. Andere priesen dagegen des Mädchens ruhige Würde und Sittsamkeit und ihren eine ehrsame Frau gefällig kleidenden Ernst. Manche, die ihr am Tage begegnet waren, wollten sie kaum wiedererkannt haben, so stattlich sei sie ihnen erschienen, und Alle wunderten sich, wo sie nur die langen Jahre verlebt habe.

Da erklärte Knut, über’s Heirathen sei er hinaus; vom Wasser habe er aber genug, und in’s Gebirge hinauf wolle er, um von der Jagd zu leben, in’s Gebirge, wo Niemand ihn um seine Wege befrage, wie’s selbst der besten Weiber Art. Die Engelid sei nebenbei eine stille, verschlossene Natur; er aber, wenn er jemals freie, müsse Jemand haben, der ihn aufheitere, ihm die Grillen vertreibe, und das Leben erleichtere.

„Nichts mehr von Engelid!“ brauste er auf und dabei stürzte er ein Glas Wachholderbranntwein hinunter, und mit der Faust schlug er auf den Tisch, daß alle Gläser klirrten und die alten Genossen heimlich meinten, er sei auf seinen Weltfahrten wohl gar ein wüster, arger Geselle geworden.

„Ich weiß übrigens,“ fuhr er fort, „aus des Mädchens eigenem Munde, daß ihr Sinn nach einem Anderen steht, und das ist der alte Müller Ornesen im Lärdal.“

„Unmöglich! Dann hätte sie ihn vor Jahren genommen, als er um sie anhielt,“ hieß es aus verschiedenen Richtungen zurück.

Und, wiederum schlug Knut mit der Faust auf den Tisch, indem er bei seinem ehrlichen Namen betheuerte, daß sie schon folgenden Tags nach dem Lärdal wolle, um mit dem Ornesen Alles in Richtigkeit zu bringen.

„Tag und Nacht am Bett eines alten kranken Mannes zu sitzen!“ warf ein Anderer ein; „schon damals war’s eine Thorheit von dem Müller, noch an’s Heirathen zu denken. Jetzt aber, da er fast immer bettlägerig und mürrisch ist, müßt’s eine barmherzige Heilige sein, die sich dazu verstände.“

„Um’s Geld thut Mancher Vieles,“ antwortete Knut geringschätzig die Achseln zuckend; „der Müller gewinnt an der Engelid eine sorgsame Pflegerin, die Engelid durch ihn eine ordentliche Sicherheit für die Zukunft, und da haben Beide ihren Vortheil davon. Zum Teufel mit solchen Reden! Die dienen am wenigsten dazu, eine rechte Lustigkeit aufkommen zu lassen. Lustig aber will ich sein in der ersten Nacht, die ich in dem Lyster-Fjord verbringe, und sollt’s mich die letzte Krone kosten!“

Das war noch ein Wort, welches ringsum einen guten Widerhall fand. Geräuschvoller wurde die Gesellschaft; wilder glühten die wettergebräunten, harten Gesichter, und verwegener schauten alle Augen, indem man die Heimkehr des alten Genossen in vollen Zügen feierte. Man schien der Lust kein Ende finden zu können.

Die Mitternachtsstunde war längst vorüber, als man sich endlich von einander trennte. Durch’s Dorf erhielt Knut zahlreiches Geleite; dann schritt er, eine muntere Melodie in die kühle Nacht hinauspfeifend, der einsamen Heimstätte zu; er Pfiff so lange, wie er glaubte, daß die alten Cameraden ihn hörten. Dann neigte er das Haupt auf die Brust, und war er kurz zuvor der Ausgelassenste im Kreise der Zechgenossen gewesen, so überfiel ihn jetzt bittere Unzufriedenheit mit sich selbst und der ganzen Welt.

Tief verdroß ihn, daß man ihn mit Engelid hatte zusammenreden wollen, mit derselben Engelid, die so lange geglaubt hatte, daß er ihr angehören müsse; tiefer noch, daß sie so leicht und schnell sich entschloß, einen alten kranken Mann zu heirathen und für ein günstiges Testament vielleicht noch einige Jahre die barmherzige Schwester zu spielen.

So grübelte er, indem er den Weg heimwärts verfolgte, bis er endlich sein Haus vor sich liegen sah. Ein Weilchen betrachtete er den in nächtliche Schatten gehüllten kleinen Bau, der sich von der hinter ihm emporstrebenden Felswand kaum unterschied. Stärker und deutlicher, als am Tage, drang das Rauschen und Brausen der fernen und nahen Sturzbäche zu ihm herüber, die heute, wie vor zehn Jahren, ihren Weg in den stillen Fjord hinab suchten. Da ertönte das dumpfe unheimliche Dröhnen, mit welchem hoch oben im Gebirge die Eisfelder barsten, nachdem sommerliche Gletscherwasser sie unterwühlt hatten. Knut richtete sich auf, als wäre es ein Ruf gewesen, der ihm gegolten habe. Sein Blick streifte Engelid’s Boot. Wie dadurch friedlich berührt, kehrte er sich ab, und gleich darauf umringte ihn die Dunkelheit seiner Wohnung. Nur matt schimmerten ihm die beiden Fenster auf der Wasserseite entgegen. Wo sollte er eine Lampe oder eine Kerze finden? Doch er kannte jeden Winkel im Hause, wußte, wo sein Bett stand. Nur wenige Secunden brauchte er Helligkeit, um die über einander geworfenen Decken, Laken und Pfühle ein wenig zu ordnen, und was lag ihm überhaupt an Bequemlichkeit? Nachlässig setzte er ein Schwefelholz in Brand, und indem er nach einem Kienspan suchte, bemerkte er auf dem Tische die Stubenlampe. Schnell zündete er sie an, und jetzt erst entsann er sich, daß sie, als er das Haus verließ, nicht dort gestanden hatte. Sogar reichlich Oel fand er in derselben vor. Während seiner Abwesenheit mußte also Jemand das Haus betreten und ihm diese Aufmerksamkeit erwiesen haben. Und wer konnte es anders gewesen sein, als Engelid? Er sah um sich. Sein Bett war wieder geordnet. Er blickte in die Küche. Auch dort hatte eine freundliche Hand gewaltet. Wie Bedauern kam es über ihn – und wiederum flackerte sein Zorn über die unverlangten Dienste empor. Grollend löschte er die Lampe aus; wie vor Tagen in der Schärenhütte, warf er sich auch hier unentkleidet auf’s Bett. Sein Kopf brannte; fieberhaft jagte das Blut durch seine Adern. Die Folgen des Gelages drohten ihm den Schlaf während des kurzen Nachtrestes zu rauben. Dazu der Duft der Kräuter, welcher sich den Decken und dem Linnen mitgetheilt hatte und ihn beständig an Engelid erinnerte. Nun, sie befand sich ja noch im Dorf, und wenn sie kam, ihr Boot zu holen, wollte er ihr für die letzte ihm erwiesene Aufmerksamkeit danken, damit er ihr nichts mehr schuldig; denn Geld, oder Geldeswerth würde sie bei ihrem einfältigen Stolz nimmermehr von ihm angenommen haben. Beruhigend wirkte dieser Gedanke. Er schloß die Augen, allein neue Betrachtungen stürmten auf ihn ein, daß der Schlaf ihm fern blieb, und zu diesen gesellten sich Bilder, deren er sich mit aller Macht, jedoch vergeblich, zu erwehren suchte.

Er sah Engelid, wie sie das aus einander gerissene Bett betrachtete, wie sie auf dem Herd die Spuren der verbrannten Kräuter und des Kranzes entdeckte und damit den Beweis, daß ihre freundliche Fürsorge ihm widerwärtig gewesen. Wie ihr das wohl durch die Seele geschnitten haben möchte! Doch wer hatte sie geheißen, ihm Kränze zu winden, als ob er bereits der Ihrige gewesen wäre?

So peinigte und folterte er sich selbst. In einem Mittelzustande zwischen Träumen und Wachen hatte er die Empfindung, als ob ein Alp auf seiner Brust kniee und ihm mit höhnischem Grinsen die einsame Schärenhütte zeige. In deren Thür gewahrte er Engelid, wie sie die Arme ihn entgegenbreitete, sich selbst, wie er sie zärtlich an sich drückte, sie küßte und ihr dankte, daß sie sein Andenken treu bewahrt und mit einem einzigen Blick die Rinde geschmolzen habe, die sich im Laufe langer Jahre und in dem Bewußtsein, als heimathloser Fremdling die Welt durchirren zu müssen, um seine Brust gewebt hatte. Thränen entstürzten ihren Augen, indem sie gelobte, ihm zu dienen und unterthan zu sein, ihn zu lieben bis über das Grab hinaus.

Ja, so hätte es sein können, und im Lyster-Fjord bei Freunden und Bekannten wäre große Freude gewesen – – aber er hatte sie von sich gestoßen, verspottet und verhöhnt, und sie hatte Alles hingenommen, still, ergebungsvoll und ohne Klage.

Neue Bilder verdrängten die alten. Den kranken hinfälligen Müller vergegenwärtigte er sich, wie seine matten Augen beim Anblicke Engelid’s aufleuchteten, ihm vor Rührung die Sprache versagte, als er vernahm, daß sie nunmehr sein eigen sein wolle.

Ha, wie das ihn wurmte, und doch gestand er sich, daß sie nur handelte, wie ihr goldenes Herz es ihr eingab. Noch mehr wurmte ihn, daß sie mit einer herben Erinnerung an ihn in das

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